Wunstorfer Auepost
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„Manchmal darf man ein wenig fliegen“

29.09.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 2528

Claudia Michelsen liest im Stadttheater aus „Momo“, dem Buch über die Zeit, Autor: Michael Ende. Der Redaktion gab sie freimütig Auskunft über Krimis, Motorradfahren und den unvergessenen Götz George.

29.09.2023
Achim Süß
Aufrufe: 2528
Claudia Michelsen | Foto: Mathias Bothor

Claudia Michelsen gehört seit langem zur ersten Garde deutscher Schauspielerinnen. Die Reihe ihrer Filme und Fernsehauftritte scheint fast endlos, die Liste ihrer Auszeichnungen beginnt beim Ophüls-Preis, geht über Goldene Kamera und Grimme-Preis bis zur Goldenen Henne. Die 54-jährige gebürtige Dresdenerin ist präsent wie wenige – auf dem Bildschirm, im Kino, im Hörbuch-Studio, bei Lesungen wie in Wunstorf. Am Sonntag, den 1. Oktober, kommt sie um 18 Uhr nicht allein auf die Bühne. Ihr kongenialer Partner ist Stefan Weinzierl. Dessen Musik und dessen Instrumentarium sind ein Genre für sich. Orchesterschlagwerk oder kleine Effektinstrumente: Die Klänge sind einzigartig. Der Perkussionist entwirft sie für energiereiche Bühnenproduktionen und für Auftritte mit Schauspielern und Schauspielerinnen wie Ulrike Folkerts, Devid Striesow oder Rolf Becker. Michelsen und Weinzierl haben sich zu einer Art Liebeserklärung an Endes Roman von 1973 zusammengefunden. Sie zeigen, was mit sinnreicher Literatur, empathischer Interpretation und Präsentation möglich ist. Ihr leidenschaftlicher Appell zum Zuhören wird vom Kulturring präsentiert und zeigt: „Momo“ ist mehr als ein spannendes Jugendbuch über ein Mädchen, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbringt. Die Schauspielerin wandlungsfähig zu nennen, wäre eine Platitüde. Ihre Rollen sind so unterschiedlich wie ihr Aussehen. Die Haare offen oder hoch gesteckt, streng zurückgekämmt oder lockig, die Augen manchmal leicht zusammengekniffen, mit Brille oder Zigarette, in Abendrobe oder Bikerkluft: Michelsen beherrscht die Kunst der Abwechslung. Auch in ihren Rollen: Kommissarin, Richterin, depressive Ehefrau oder Tanzschul-Chefin. Und die Art, wie sie ihre rechte Augenbraue – ganz selten und ganz leicht – hochzieht, sucht ihresgleichen. Für die Auepost nimmt sie sich Zeit, ein paar Fragen zu beantworten, während sie in Hamburg dreht.

Auepost: Frau Michelsen, Sie arbeiten gerade an der neuen Serie „Informant“ mit Jürgen Vogel. Haben Sie eine Vorliebe für Krimis und Polit-Thriller?

Claudia Michelsen: Nein, das habe ich nicht. Aber der Krimi ist halt tatsächlich schneller im Drama, und auch dadurch ist vieles anders möglich. Aber es gibt keinerlei Vorlieben, was die verschiedenen Genres betrifft. Eher ist für mich die Konstellation wichtig: Mit wem darf ich hier arbeiten? Und das ist im Falle von Jürgen Vogel und Matthias Glasner ein Geschenk und ein großer Glücksfall.

Es ist eine illustre Runde von Kollegen und Kolleginnen, mit denen Sie gedreht haben. Darunter war auch Götz George. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zusammenarbeit mit einem solchen Giganten?

Ich hatte das Glück, mehrmals mit Götz arbeiten zu dürfen, und das war jeweils ganz großartig für mich. Götz in seiner unfassbaren Professionalität und Verantwortung dem Produkt gegenüber. Ich hab ihn in einer fast väterlichen Verantwortung erlebt, ein Lehrer auch. Er fehlt.

Manche beschreiben das Film- und TV-Geschäft als Haifischbecken. Ist das auch Ihre Erfahrung? Tragen Sie eine Rüstung?

Ja, es ist eine eigenwillige Branche, die auch sehr launisch sein kann. Es gibt Moden, die kommen und gehen. Erfolg ist vergänglich. Aber manchmal hat man eben das Glück, an Projekten beteiligt sein zu dürfen, die eine besondere Energie haben, und dann darf man gemeinsam ein wenig fliegen im kreativen Sein.

„es ist eine eigenwillige Branche, die auch sehr launisch sein kann“

Wir nehmen an, dass Sie singen können. Mit wem würden Sie gern mal ein Duett aufnehmen?

Nein, das kann ich nicht … also ich singe lieber nur für mich … alles andere wäre verwegen.

Sie haben schon 20 bedeutende Rollen gespielt. Haben Sie es je bereut, dass Ihre Freundin Christine Hoppe Sie überredet hat, Schauspielerin zu werden?

Wo haben sie denn diese Unwahrheit her?

Ist im Internet über Sie zu lesen …

Lustig. Christine hat mich nicht überredet. Wir sind quasi gemeinsam durch ihren Vater Rolf Hoppe im Dresdner Staatstheater aufgewachsen. Die Schauspielschule war eine logische Folge dessen. Wir wollten dabei sein, auf der Bühne. Das war ein gemeinsamer Traum, nur hatte ich tatsächlich den Wunsch, nach dem Schauspielstudium noch mit Opernregie weiterzumachen. Es hat sich anders ergeben, wie das eben so ist mit den Plänen, die man im Leben hat.

Sie kommen mit „Momo“ nach Wunstorf. Wie ist Ihr Bezug zu dem Buch und zu Michael Ende? War es Ihre Idee?

Nein, Stefan Weinzierl, Percussionist und mein musikalischer Partner, ist auf mich zugekommen mit der Idee. Und erst dachte ich, das Kinderbuch Momo … ja, warum nicht. Und beim näheren Beschäftigen damit – natürlich kannte ich das Buch –, wurde mir klar, wie aktuell und tatsächlich zeitlos dieses wunderbare Buch von Ende ist, vor allem für Erwachsene. Ein Abend, der einen auffordert und mitnimmt. Wunstorf ist erst unsere 4. Aufführung, aber ich kann sagen, die ersten 3 waren ganz großartig, das ist jedenfalls das, was uns vom Publikum gespiegelt wird.

Etliche Kolleginnen und Kollegen sind mit Lesungen unterwegs. Zehrfeld, Koeberlin oder Meret Becker sind nur ein paar Beispiele. Sie arbeiten eng mit ihnen zusammen. Wie wichtig sind Ihnen solche Auftritte und die Kooperation?

Mit Meret hatte ich das Glück, schon zweimal an verschiedenen Abenden arbeiten zu können. Ihre eigenen Abende sind natürlich nochmal etwas ganz anderes und jeweils ein kleines musikalisches Wunderwerk. Mit ihr und Matthias Koeberlin, Ronald Zehrfeld, Thomas Loibl und Devid Striesow gibt es tatsächlich einen Abend, der „Die Unmöglichen“ heißt. Diesen Abend gibt es im November tatsächlich schon seit 5 Jahren, und es ist noch kein Ende in Sicht. Auch für nächstes Jahr gibt es schon einige wenige, neue Termine. Für mich ist es herrlich, in verschiedenen Kombinationen arbeiten zu können.

„Ich habe einen Heidenrespekt vor allen mutigen Motorradfahrern, verstehe aber auch die Faszination.“

Kommen Sie dazu, Bücher zu lesen? Welches würden Sie aktuell empfehlen?

Das neue Buch von Sabine Bode. (Geschwister im Gegenlicht, Anm. d. Red.)

Im Magdeburger „Polizeiruf“ fahren Sie immer mal wieder Motorrad. Tun Sie das privat auch? Mit welcher Maschine?

Tatsächlich haben wir das Motorrad in Magdeburg erst einmal verabschiedet. Und privat fahre ich auch nicht, da ich tatsächlich auch gar keinen Motorradführerschein habe. Ich habe einen Heidenrespekt vor allen mutigen Motorradfahrern, verstehe aber auch die Faszination.

Frau Michelsen, Sie sind längst auch „im Westen“ eine arrivierte Darstellerin. Verstehen Sie ostdeutsche Landsleute, die 33 Jahre nach der Vereinigung eine große Kluft sehen zwischen West- und Ostdeutschen?

Oh, dieses Thema zu behandeln, würde tatsächlich den Rahmen dieses Gespräches sprengen. Nur so viel dazu: Ja, ich verstehe den Unmut, der seit Jahren im Raum steht. Die Politik hat vieles versucht, aber auch vieles versäumt, und tut es leider immer noch.

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