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Vor 100 Jahren: Schaufenster mit Fäkalien und 100-Mark-Scheinen zugekleistert

20.06.2023 • Aufrufe: 1300

Vor 100 Jahren wurde das Geld so schnell wertlos, dass man es plötzlich für ganz andere Dinge als zum Bezahlen benutzen konnte. Nicht immer zur Freude der Empfänger …

Pressespiegel 100 Jahre

So richtig klar kamen die Menschen noch nicht mit der beginnenden Hyperinflation vor 100 Jahren. Denn es konnte schnell passieren, dass eine bestellte Ware, die sich leicht verspätete, dann plötzlich schon das Doppelte wert war. Was tat also ein Käufer aus Bokeloh, als der ihn beliefernde Händler statt 5.000 Mark für ein paar Kartoffeln nun 10.000 Mark haben wollte? Er rief die Polizei. Die sorgte schließlich dafür, dass die Ware zum ursprünglich vereinbarten Preis den Besitzer wechselte. Die damalige Leine-Zeitung berichtete am 18. Juni 1923:

Ein Händler aus Münchehagen hatte Ende Mai zwei Ladungen Kartoffeln, den Zentner für 5.000 Mark, einschließlich aller Unkosten nach Bokeloh zu liefern. Da nun die Kartoffeln 10 Tage unterwegs waren und der Dollar in dieser Zeit bedeutend höher gestiegen war, verlangte der „Gute Mann“ 10.000 Mark für den Zentner. Die Kartoffeln wurden infolgedessen von der zuständigen Landjägerei beschlagnahmt, und der Zentner wurde für 5.000 Mark verkauft. Die Angelegenheit ist dem Wuchergericht zur Anzeige gebracht worden.

Aber auch die Leine-Zeitung selbst musste wenige Tage später eine saftige Preiserhöhung für ihre Abonnenten ankündigen:

An unsere Leser! Infolge der in diesem Monat wiederholt eingetretenen Lohnerhöhung – die letzte Steigerung betrug allein 100 Prozent – ist für Juni eine Mindestnachzahlung von 1.000 Mark erforderlich. Wir werden diesen Betrag, der nur einen kleinen Teil der neuen großen Lasten deckt, durch unsere Boten einziehen lassen. Die Leser, die unsere Zeitung durch die Post erhalten, bitten wir, den Betrag durch die heute beigefügte Zahlkarte überweisen zu wollen.

Ob jemand aus der Leserschaft nun ebenfalls die Polizei zu Hilfe rief, ist nicht überliefert. Dabei waren 1.000 Mark geradezu noch ein Schnäppchen beim Nennwert. Im August 2023 kostete das Monatsabo der Leine-Zeitung schon 140.000 Mark.

In Neustadt war man offenbar mit den Preisen im Einzelhandel ebenfalls nicht einverstanden. Die Leine-Zeitung berichtete im Folgemonat, am 16. Juli 1923:

In der Nacht zu Sonnabend haben gemeine Kerle – die Bezeichnung ist noch viel zu gelinde! – einem hiesigen Geschäftsmann einen unerhörten Streich gespielt: In einer Weise die jeder Beschreibung spottet, beschmierten die Drecksfinken die Schaufenster mit Kot und klebten die von ihnen als Klosettpapier benutzten Hundertmarkscheine auf die Scheiben!! Es wird gerade in diesem Falle von unserer Polizei zuversichtlich erhofft, dass es ihr gelingt, die Saububen zu entdecken, um sie gerechter Bestrafung zuzuführen.

Wir schreiben das Jahr 1923. Wunstorf ist eine kleine, landwirtschaftlich geprägte Ortschaft in der preußischen Provinz Hannover.

Wunstorf vor 1100 Jahren

Das Ende des Ersten Weltkriegs liegt noch nicht lange zurück, die Menschen erleben viele Umbrüche in der ersten deutschen Demokratie. Die „Goldenen Zwanziger“ sind noch nicht angebrochen, es herrscht Hyperinflation: Zum Jahresende wird ein Brot über 200 Milliarden Reichsmark kosten. Der Humorist Loriot wird geboren. Der Diesel-Lastwagen wird erfunden. Der erste deutsche Rundfunksender startet mit einem Radioprogramm.


veröffentlicht am: 20.06.2023 • Aufrufe: 1300
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