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Vor 100 Jahren: Rüpel-Radfahrer schlägt Spaziergänger im Hohen Holz krankenhausreif – 3 Millionen Mark Belohnung ausgesetzt

21.10.2023 • Aufrufe: 1600

Früher war alles besser? Vor 100 Jahren war an Fahrrädern noch keine Klingel vorgeschrieben. Stattdessen ließen Radfahrer schon mal die Fäuste sprechen, wenn Fußgänger im Weg waren. Die damalige Zeitung schrieb gar von einer „Radfahrerplage“.

Pressespiegel 100 Jahre

Wenn sich Fußgänger und Radfahrer im Straßenverkehr zu nahe kommen, dann sind Konflikte vorprogrammiert. Wer hat sich in der Fußgängerzone nicht schon darüber geärgert, wenn er von einem rasenden Radfahrer umkurvt wurde? Oder welcher Radfahrer hat sich nicht schon darüber geärgert, wenn Fußgänger mitten auf den Radwegen laufen? Wer nun denkt, dass das Probleme unserer heutigen Zeit sind, irrt: Schon vor 100 Jahren beschwerte man sich über Rowdy-Radfahrer. Radfahrer hingegen konnten sich noch nicht über zugestellte Radwege beschweren. Es gab damals noch gar keine in Wunstorf. Wenn die Radfahrer stattdessen auf den Wegen der Fußgänger fahren wollten, konnten Begegnungen schnell eskalieren.

Am 15. August 1923 berichtete die Leine-Zeitung sehr emotional über einen Vorfall zwischen Wunstorf und Steinhude:

Der schöne Fußweg durch das „Hoheholz“ nach Steinhude wird den Fußgängern durch die Überhandnahme der Radfahrerplage fast unmöglich gemacht. Gestern nachmittag gegen 4 Uhr ging ein Herr aus Hannover mit Frau und Schwiegermutter diesen Weg, als ein Rudel Radfahrer, ohne rechts auszubiegen, unmittelbar auf sie losfuhr. Der Herr hielt das Rad des Spitzenfahrers fest, um nicht überfahren zu werden. Der Radler fiel darauf sofort über ihn her, warf ihn zu Boden, entriss ihm seinen Stock und schlug ihm ins Gesicht und über den Kopf, sodass er blutüberströmt zusammenbrach und auch seine gute Kleidung von Blut besudelt wurde. Die ältere Frau wurde zu Boden gestoßen und verstauchte sich den Fuß. Von den drei Angreifern trugen zwei braune Khakijacken, der eine braune, der andre blaue Schirmmütze, der dritte hatte einen dunklen Manchesteranzug, alle trugen kurze Hosen und hohe Strümpfe; die Rohlinge waren kräftig gebaut, die ersten beiden gut mittelgroß, der dritte groß; Alter etwa 35 bis 45 Jahre. Der Überfallene hat eine Belohnung von 3 Millionen Mark für die Namhaftmachung der Radler ausgesetzt.

Was heute selbstverständlich ist, nämlich dass der Waldweg durchs Hohe Holz als Radweg genutzt wird, war damals noch gar nicht erlaubt. Der Artikel endete mit einem Appell:

Wann wird endlich den Radfahrern begreiflich gemacht, dass der Weg für sie nach Steinhude nicht durch das Hoheholz, sondern über Klein-Heidorn führt? Die Polizei in Wunstorf und Steinhude sollte in schärfster Weise gegen diese und ähnliche Übertretungen vorgehen.

Die so hoch wirkende Summe der ausgelobten Belohnung war in Wirklichkeit gar nicht so hoch – die Hyperinflation griff weiter um sich.

Wir schreiben das Jahr 1923. Wunstorf ist eine kleine, landwirtschaftlich geprägte Ortschaft in der preußischen Provinz Hannover. Das Ende des Ersten Weltkriegs liegt noch nicht lange zurück, die Menschen erleben viele Umbrüche in der ersten deutschen Demokratie. Die „Goldenen Zwanziger“ sind noch nicht angebrochen, es herrscht Hyperinflation: Zum Jahresende wird ein Brot über 200 Milliarden Reichsmark kosten. Der Humorist Loriot wird geboren. Der Diesel-Lastwagen wird erfunden. Der erste deutsche Rundfunksender startet mit einem Radioprogramm.


veröffentlicht am: 21.10.2023 • Aufrufe: 1600
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