Der Neujahrsempfang in Wunstorf ist etwas Besonderes, denn er findet traditionell nicht in einem städtischen Saal statt, und auch nicht der Bürgermeister lädt dazu ein. Der Neujahrsempfang findet für Stadt und ihren größten Arbeitgeber gemeinsam statt: auf dem Fliegerhorst, beim Lufttransportgeschwader 62 der Bundeswehr. Der Kommodore des LTG 62 lädt ein.
Die Stadtprominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit Rang und Namen sowie Angehörige des LTG 62 und Ehrengäste kommen in diesem festlichen Rahmen zusammen, um auf das vergangene Jahr zurückzublicken und einen Ausblick auf das kommende zu geben.
Den organisatorischen Rahmen dafür stellt das LTG, den musikalischen das Wunstorfer Musikschulorchester unter Leitung von Elisabet Heineken. Nach dem formalen Teil mit Musik und Ansprachen bleibt Zeit für persönliche Gespräche und Austausch in der rund dreistündigen Veranstaltung.
Neben dem Kommodore des Fliegerhorstes, Oberst Markus Knoll, standen Bürgermeister Carsten Piellusch, der Kommandierende General des Luftwaffentruppenkommandos, Generalleutnant Günter Katz, der Programmleiter A400M von Airbus Defence and Space, Gerd Weber, auf der Rednerliste. Im Rücken, hinter der großen Glasfront der Hangartore, schimmerte ein geparkter A400M hindurch.
Mehrere Jahreszahlen wurden in diesem Januar bedeutend: Kommodore Knoll führt das LTG 62 seit nun einem Jahr – und das „neue Arbeitspferd“ des Lufttransportgeschwaders, der A400M, hatte just Jubiläum gehabt: Seit 10 Jahren wird er am Standort geflogen. Kommodore Knoll wurde im Rahmen des Neujahrsepfangs von Generalleutnant Katz besonders ausgezeichnet.
Im Fokus stand das Jubiläum der militärischen Airbusmaschine – das wurde im ebenfalls traditionellen Einspielfilm deutlich. Es wurde darin nicht nur auf das vergangene Jahr beim LTG 62 zurückgeblickt, sondern auf die Entwicklung des gesamten letzten Jahrzehnts: Von den ersten Flügen über die ersten großen Einsätze und Missionen, der Teilnahme an den großen Manövern bis hin zum aktuellen Geschehen bei den Transportfliegern der Luftwaffe.
Das LTG hatte dazu viele Informationen bereitgestellt, auf Schautafeln war die Historie des Flugzeuges am Wunstorfer Standort anschaulich gezeigt.
Und dann war da natürlich noch der Film zum Jubiläum. Die Neujahrsempfangsgäste konnten dabei gleich den neuen Projektor in der Halle begutachten – erstmals wurde das Video nicht auf einer Leinwand abgespielt, sondern direkt an die große Hallenwand des Hangars geworfen, der als Empfangssaal fungierte.
Die Rede von Wunstorfs Bürgermeister zum Neujahrsempfang stach heraus. Bereits im vorletzten Jahr hatte Carsten Piellusch bedeutende Worte gefunden, auch im Vorjahr war es ernst geworden – nun sprach er das LTG, die Stadt und das Weltgeschehen noch staatsmännischer an. Piellusch bezeichnete die Stationierung des A400M vor 10 Jahren als den Beginn „einer neuen Ära“ für das LTG, die nationale Sicherheit und die Stadt gleichermaßen.
Als Piellusch auf die internationale politische Lage und das Weltgeschehen zu sprechen kam, schien sich mancher Gast nicht mehr sicher zu sein, ob hier gerade wirklich noch Wunstorfs Bürgermeister sprach. Piellusch fand Worte, als würde der Verteidigungsminister oder der Kanzler persönlich zur Halle sprechen.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der China-Taiwan-Konflikt, die Konflikte im Gazastreifen und im Libanon wurden genannt. Piellusch verband die internationale Politik mit den Aufgaben und der Bedeutung des LTG 62 für die Rolle der Bundeswehr und schlug dabei sogar auch gleich noch den Bogen zurück zum Wunstorfer Stadtgeschehen. Der Übergang von Weltpolitik zum Kommunalen schien fließend.
Das Gemeinsame, die gegenseitige Wertschätzung und wechselseitige Unterstützung von Stadtgesellschaft und Lufttransportgeschwader wurde herausgestellt.
So sah es auch Oberst Markus Knoll, der in seiner Rede zuvor ebenso das gute Verhältnis zwischen Bundeswehrstandort und der Stadt betont hatte. Dass das Fliegerhorst-Schwimmbecken derzeit ganz pragmatisch als Notfall-Schwimmbad als Ersatz für das noch geschlossenen Hallenbad für den Schulschwimmunterricht dient, fand als Beispiel selbstverständlich Erwähnung.
Auch das Ende des formellen Teils blieb traditionell: Nach den Klängen des Radetzkymarsches von Johann Strauss ging man zum Stehempfang über – jedoch nicht, bevor Orchesterleiterin Heineken Blumen überreicht bekommen und der Kommodore die Einladung für einen exklusiven Fliegerhorstbesuch an die Musiker ausgesprochen hatte.
Klimaziele in Konflikt: Wunstorf zwischen Fortschritt und Belastung
Die Stadt Wunstorf hat ehrgeizige Klimaziele: Von der Förderung von Balkonsolaranlagen bis zur Modernisierung des städtischen Fuhrparks setzt Bürgermeister Piellusch auf Nachhaltigkeit. Doch ein gigantischer Zielkonflikt bleibt ungelöst: Der Fliegerhorst Wunstorf und seine A400M-Flotte.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Während ein kompletter Umstieg der 21.000 PKW der Bürger auf E-Fahrzeuge rund 50.400 Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen würde, emittieren 18 A400M bei moderatem Flugbetrieb etwa 486.000 Tonnen – nahezu das Zehnfache. Selbst eine völlige Abschaffung aller Autos in der Stadt könnte diesen enormen Ausstoß nicht kompensieren.
Es bleibt die Frage, ob das Streben nach Klimaneutralität mit der gleichzeitigen Akzeptanz solcher Emissionen vereinbar ist. Der Bürgermeister hebt die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Lufttransportgeschwader hervor, doch gerade diese Kooperation verstärkt den Widerspruch. Während die Bürger auf Nachhaltigkeit umstellen sollen, wird ein CO₂-intensiver Flugbetrieb fortgeführt.
Dieser Zielkonflikt bedarf einer ehrlichen Diskussion. Kann eine Stadt, die Nachhaltigkeit ernst nimmt, eine solche militärische Präsenz weiterhin unterstützen, ohne ihren Klimaversprechen untreu zu werden? Der Übergang zu umweltfreundlicher Mobilität ist ein guter Anfang, aber der Blick muss auch auf die größeren Emissionsquellen gelenkt werden. Ohne klare Antworten bleibt der Klimaschutz in Wunstorf ein halber Erfolg.
Es ist zu betonen, dass hier geschätzte Annahmen als Berechnungsgrundlage verwendet wurden. Die Anzahl Flugstunden pro A400M kann aber deutlich über der Annahme von 300 Flugstunden pro Jahr liegen.
@HP48-UPN Freund: Ihre Überlegungen zur CO2-Neutralität teile ich nicht, da Sie diese wohl auf Wunstorf beziehen – ein CO2-Molekül kümmert sich jedoch nicht um Stadtgrenzen, so dass eine Bilanzierung letztlich global gesehen werden muss.
Zudem beteilige ich mich nicht an der CO2-Hysterie, da der Anteil des CO2 in der Luft zu gering ist, um die unterstellten Auswirkungen zu haben.
Ich grüße den HP48-Freund
als HP41CX- (seit 1988, funktioniert wie am ersten Tag, nur der Kartenleser hat den Geist aufgegeben) und HP50g-Nutzer ;-)
@Andreas R. Niepel
es freut mich sehr zu sehen, dass wir nicht nur die Begeisterung für UPN teilen, sondern auch bei der Frage der CO₂-Neutralität eine identische Einschätzung haben. In meinem ursprünglichen Kommentar ging es mir darum, die Relationen aus der Perspektive Dritter darzustellen. Die Formulierung „Die Stadt Wunstorf hat ehrgeizige Klimaziele“ verdeutlicht für mich genau diesen eklatanten Widerspruch: Einerseits werden solche Ziele gelobt, andererseits werden fragwürdige Maßnahmen als „alternativlos“ umgesetzt.
Wenn wir das Thema global betrachten, wird – wie Sie sicher ebenfalls erkennen – die Absurdität vieler Ansätze besonders offensichtlich. Tatsächliche Ziele sollten uns nicht nur zum Nachdenken anregen, sondern auch kritische Fragen aufwerfen, die weit über uns beide hinausgehen.
Übrigens bin ich ebenfalls seit 1988 ein treuer Freund dieser bemerkenswerten Taschenrechner. Mein Weg begann mit dem HP 28S, bevor ich 1990 zum HP 48SX wechselte – beide erworben bei Brinkmann in Hannover. Mein 48SX ist auch heute noch im Einsatz, wenngleich er mittlerweile durch die Emulation iHP48 auf meinem Rechner unterstützt wird. So bleibt er mir immer zur Hand. Mit Glück wird mir mal ein HP35 (rote LED Anzeige) in die Hände fallen.
Ihnen weiterhin alles Gute!
@Andreas R. Niepel: Ihr Kommentar illustriert in faszinierender Weise ein weit verbreitetes soziokognitives Phänomen: die Polarisierung der Wahrnehmung. Sie kritisieren (implizit) die Tendenz, Kritiker sofort ideologisch zu verorten, verkennen dabei jedoch, dass diese Dynamik tief in psychologischen und soziologischen Mechanismen verwurzelt ist.
Was Sie beschreiben, ist ein klassischer Fall von sozialer Kategorisierung (Tajfel & Turner, 1979): Menschen ordnen sich und andere in Gruppen ein, um Komplexität zu reduzieren. Wer Kritik übt, wird fast zwangsläufig einer existierenden Dichotomie zugeordnet – ob er das möchte oder nicht. Dies ist nicht nur eine kognitive Abkürzung, sondern auch eine Strategie zur Reduktion kognitiver Dissonanz (Festinger, 1957): Anstatt sich mit Ambivalenzen auseinanderzusetzen, werden Kritiker entweder als „Befürworter“ oder „Gegner“ eingeordnet.
Zudem manifestiert sich hier der Attributionsfehler (Ross, 1977): Statt sachliche Kritik als isolierte Meinungsäußerung zu betrachten, wird eine zugrundeliegende ideologische Motivation vermutet. Das zeigt sich auch in Ihrer eigenen Argumentation: Sie sprechen von „CO₂-Hysterie“ – eine Form der Framing-Effekte (Tversky & Kahneman, 1981), die ein wissenschaftlich breit belegtes Phänomen durch eine emotionale Konnotation relativiert.
Interessant ist auch Ihr abschließender Verweis auf HP-Taschenrechner. Aus kommunikationspsychologischer Sicht könnte man dies als Versuch der sozialen Distanzreduktion interpretieren – möglicherweise eine Strategie zur Abmilderung des konfrontativen Tons. Gleichzeitig dient es der Gruppenidentifikation, indem eine gemeinsame Interessensbasis mit dem vorherigen Kommentator geschaffen wird.
Kurzum: Ihr Kommentar zeigt, dass in gesellschaftlichen Debatten neutrale Positionen oft nur in der Theorie existieren. In der Praxis werden sie durch kognitive Verzerrungen, soziale Identitätsprozesse und narrative Rahmungen fast zwangsläufig in ein bestehendes Meinungsspektrum eingegliedert. Vielleicht sollten wir alle – anstatt sofort Positionen zuzuweisen – mehr Wert auf epistemische Neugier (Litman, 2008) legen und hinterfragen, warum wir bestimmte Meinungen als „Parteinahme“ empfinden.
Genau. Warum tackern die nicht einfach ein Balkonsolarkraftwerk an den A400M und sparen sich die Emissionen? Der Bürgermeister als Oberbefehlshaber der Wundeswehr sollte das unbedingt vorschlagen.
@Foristin: Ihr sarkastischer Kommentar illustriert ein klassisches Beispiel für Ironie als diskursives Mittel der Delegitimierung. Anstatt auf die inhaltlichen Argumente von Uwe H. und HP48-UPN Freund einzugehen, greifen Sie zu einer Reduktion ad absurdum, indem Sie eine offensichtlich unrealistische Lösung – das „Balkonsolarkraftwerk am A400M“ – vorschlagen.
Diese Strategie kann aus einer kognitionspsychologischen Perspektive als Abwehrreaktion interpretiert werden, die dazu dient, kognitive Dissonanz zu reduzieren. Wenn eine Person eine grundsätzliche Sympathie für eine Institution wie die Bundeswehr empfindet, kann eine kritische Perspektive als unangenehm empfunden werden. Die Ironie dient dann als psychologischer Schutzmechanismus, um die Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Informationen zu vermeiden.
Soziologisch betrachtet ist Ihr Kommentar ein Beispiel für symbolische Grenzziehung im Diskurs. Indem Sie die Debatte ins Lächerliche ziehen, positionieren Sie sich außerhalb der kritischen Perspektive und setzen ein sozialkommunikatives Signal, das möglicherweise Gleichgesinnte anspricht. Humor – insbesondere Sarkasmus – fungiert in solchen Kontexten als sozialer Marker, der eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe signalisieren kann.
Allerdings wäre eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten Ihrer Vorredner zielführender als eine ironische Zurückweisung. Die Frage, ob eine Stadt, die Klimaneutralität anstrebt, gleichzeitig einen emissionsintensiven Flugbetrieb unterstützen kann, ist eine legitime und diskussionswürdige Problematik. Es wäre daher interessant zu erfahren, welche konkreten Argumente Sie gegen diese Kritik ins Feld führen würden – jenseits ironischer Zuspitzungen.
Leider zu kurz gedacht. Im Verteidigungsfall bleiben die Maschinen dann am Boden. Bravo.
Bürgermeister Pielusch betont regelmäßig, wie zentral die Klimapolitik für seine Amtsführung ist. Doch wie passt das zu seiner nachdrücklichen Unterstützung des LTG 62 und der Jubiläumsfeier des A400M? Die Maschine steht symbolisch für immense Ressourcenverbräuche – sei es durch Produktion oder Betrieb. In seiner Neujahrsrede verknüpfte Pielusch geschickt globale Herausforderungen mit kommunaler Verantwortung, erwähnte jedoch mit keinem Wort die ökologischen Auswirkungen der intensiven militärischen Nutzung des Fliegerhorstes. Haben die Bürger etwas verpasst? Fliegt man wolmöglich schon mit Solar-Energie?
Gerade in Zeiten, in denen Kommunen Vorbilder für Nachhaltigkeit sein sollten, erscheint dieser Widerspruch schwer vermittelbar. Das Engagement für erneuerbare Energien und die Förderung von Balkonsolaranlagen verliert an Glaubwürdigkeit, wenn auf der anderen Seite ein erheblich emissionsintensives System wie der A400M gefeiert wird, ohne diese Problematik offen zu adressieren. Sollte nicht auch hier die Klimapriorität gelten?
Es stellt sich die Frage: Sind Pieluschs Klimaversprechen nur dann verbindlich, wenn sie keine politisch heiklen Themen wie die Bundeswehr betreffen? Der Bürgermeister ist es den Bürgern schuldig, klare Antworten zu geben – nicht nur auf globaler Bühne, sondern auch vor der eigenen Haustür.
Bezogen wird sich hier auf den Artikel:
„Vom Bürgermeister und seinen Blöcken“ speziell der Block „Klima und Umwelt“
„https://www.auepost.de/magazin/dokumentation/vom-buergermeister-und-seinen-bloecken-87384/