Tabea Bauch ist Inhaberin eines Wunstorfer Pflegedienstes. Bis vor kurzem war sie mit ihrem Betrieb als „Tabeas Pflegehelden“ unterwegs, doch eine Markenrechtsverletzung führte nun zur Namensänderung. Als sie sich 2018 selbstständig machte, war in kleiner Runde nach einem witzigen Namen gesucht worden – und „Pflegehelden“ klang mal nach etwas anderem als Pflegeteam, Pflegedienst oder Ambulante Pflege. Dabei wollte Bauch ihren eigenen Namen eigentlich gar nicht in der Firmenbezeichnung haben, „so was macht man doch nicht“, sagt sie. Doch in gewisser Weise nahm sie damit namentlich das vorweg, was nun in Corona-Zeiten dem Pflegepersonal als Sympathiewelle entgegenschlägt.
Dummerweise waren andere auch schon auf diese Idee gekommen. Eine Firma, die ein Franchisesystem zur Vermittlung von polnischen Pflegekräften betreibt, hatte sich den Namen sogar als Marke schützen lassen. Eines Tages kam direkt ein Brief vom Anwalt. „Herzlichen Glückwunsch, Sie dürfen jetzt Geld bezahlen“, fasst sie das Schreiben zusammen. Bauch nahm sich selbst einen auf Markenrecht spezialisierten Anwalt und kommt nun mit einem finanziellen blauen Auge aus der Sache wieder heraus. Sie war letztlich einfach nicht davon ausgegangen, dass sich jemand einen solchen Begriff schützen lassen könnte. Die Firma zwang sie nicht zur Namensänderung, doch sie hätte hohe Lizenzzahlungen leisten müssen. Daher firmiert Bauch nun schlicht unter „Tabeas Pflegedienst“. Fast noch mehr als die Kosten für die rechtliche Auseinandersetzung ärgert sie der Verwaltungsaufwand, der nun durch die Umfirmierung entsteht: Nicht nur auf den Visitenkarten muss der Name geändert werden, sondern zum Beispiel auch für die 10 Autos der Fahrzeugflotte.
Eigentlich wollte Tabea Bauch Bürokauffrau werden und aufs Wirtschaftsgymnasium gehen. Doch während eines Praktikums wurde ihr klar, dass das nicht ihrer Vorstellung von Arbeit entsprach: Immer nur herumsitzen, Dinge in den Computer eintippen und Telefonate annehmen, das fand sie „schrecklich langweilig“. Ein berufsvorbereitendes Jahr schloss sich an, und während diesem schnupperte sie in die Pflege hinein, wo bereits Freundinnen von ihr arbeiteten – und war sofort begeistert. „Das war so schön, das hat so viel Spaß gemacht“, erinnert sie sich. Die unterschiedlichen Menschen, die verschiedenen Krankheitsbilder, es war immer Abwechslung da. „Das isses“, beschloss sie für sich. Nach ihrer Ausbildung hat sie für Pflegedienste und auch in der stationären Altenpflege in Wunstorf und Hannover gearbeitet. In der Großstadt seien Altenheimbewohner anspruchsvoller als in der Kleinstadt oder auf dem Dorf, erzählt sie. Da werde mehr Flexibilität verlangt, strenge Frühstückszeiten etwa nicht toleriert. Doch ohne klare Strukturen und feste Taktungen geht es in der stationären Altenpflege meist nicht.
„ Das isses“
Inzwischen ist sie ihre eigene Chefin. Bauch muss sich hundertprozentig auf ihr Team verlassen können. Das ist 15 Köpfe stark – und soll es auch bleiben. Die jetzige Größe wäre perfekt. Hundert Patienten könne man so versorgen – und habe dabei noch zu jedem Namen ein Gesicht und eine Adresse. Das „Wir-Gefühl“ soll erhalten bleiben. Bauchs Bauchgefühl hat sie dabei bisher nicht getrogen – nur ein einziges Mal hat sie sich in einem Mitarbeiter getäuscht und sich wieder von ihm getrennt. Denn die persönliche Haltung der Pflegekräfte muss stimmen: Ohne Menschlichkeit und Zuverlässigkeit geht es in der Pflege nicht, sagt Bauch. Man könne nicht „seine acht Stunden abreißen“ und dann nach Hause gehen. „Da gehört ein bisschen mehr dazu.“ Nachbereitung, Rufbereitschaft – und mit dem Kopf sei man immer vor Ort.
Warum jemand mit mangelndem Engagement und fachlichen Nachlässigkeiten trotzdem den Pflegeberuf ergreift, das kann sie sich nicht erklären. Denn so etwas falle schnell auf. Es mache sich immer mehr eine „Scheiß-egal-Einstellung“ breit, beobachtet Bauch. Doch mit jemandem, der morgens verschläft oder später kommt, weil er sich nicht gut fühlt, kann sie nicht arbeiten. Die Verantwortung für die Menschen lässt das gar nicht zu. Kritik übt sie auch an den Bewertungssystemen und Pflegekompassen der Krankenkassen. Sie selbst hat die Note 1,2 bekommen, doch eigentlich würde niemand solche Einstufungen ernsthaft beachten, weswegen sie auch nicht damit wirbt. Einerseits würde die Pflegesituation verzerrt abgebildet, da etwa auch die Außenanlage eines Pflegeheims in die Bewertung mit einfließe. So könne die eigentliche Pflege verbesserungsbedürftig sein, was aber nicht offensichtlich werde, weil „der Garten eben so wunderschön ist“. Andererseits wären die Leute oft froh, überhaupt einen Pflegedienst oder einen Heimplatz zu bekommen. Echte Empfehlungen würden ohnehin über Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben.
Für die Patienten ist der Pflegedienst oft der einzige Kontakt am Tag. Gerade jetzt in Corona-Zeiten ist man bemüht, so viel Normalität wie möglich in den Alltag zu bringen. Denn viele wollten trotz Einsamkeit lieber zu Hause bleiben und nicht in eine Pflegeeinrichtung. „Doppelzimmer oder sich ein Badezimmer teilen müssen – wer möchte das schon?“, bringt Bauch es mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt. Erst wenn eine gewisse Selbstständigkeit nicht mehr da ist, wird dann von selbst eingesehen, dass es im eigenen Zuhause nicht mehr geht. Vier bis fünf Einsätze am Tag könne ein Pflegedienst gewährleisten, die Nacht ausgenommen.
„Wer möchte sich schon ein Badezimmer teilen?“
Doch manchmal scheitert es irgendwann allein schon an der Wohnsituation. Vor allem bei den alten Mehrparteienhäusern des Bauvereins, in denen Bauch oft Patienten besucht, sieht sie die Probleme. Als alter Mensch sei es eine Qual, in diesen typisch älteren Wohnungen zu leben: Keine ebenerdigen Zugänge, rollatorfeindliche Enge, viele Treppen, mindestens vier Stufen, um überhaupt in die erste Etage zu kommen. Auch mit Modernisierungen könne man da nur wenig verändern. Früher habe man darauf nicht geachtet, stattdessen wurden wenige Extra-Altenwohnungen gebaut. Das Umdenken habe erst Ende der 1990er Jahre eingesetzt.
Aber auch wenn heute Einfamilienhäuser neu geplant werden, wird unter dem Gesichtspunkt der Altersgerechtheit immer noch wie in den 50er Jahren gebaut – man denkt viel zu kurzfristig. Für die junge Familie sei das Gäste-WC im Erdgeschoss zunächst toll, doch später würde eigentlich dort ein großes Badezimmer gebraucht – weil man als alter Mensch einfach die Treppe in den 1. Stock nicht mehr hochkommt. Das eigene Altern werde verdrängt und nicht langfristig gedacht. Ihre Arbeit lässt sie anders über das eigene Altwerden denken. Bauch selbst wohnt zur Miete im Doppelhaus mit kleinem Badezimmer – und wenn sie es kaufte, würde sie zunächst umfangreiche Umbauten vornehmen, um auch im Alter dort wohnen zu können.
Bauchs Pflegedienst versorgt dabei nicht nur ältere Patienten, die jüngsten Kunden sind um die 50. Das Waschen bei der sogenannten „großen Pflege“ dauert 20–30 Minuten. Das Gerücht von der Unattraktivität des Berufs, weil man so viel körperlich arbeiten müsste, hält sich hartnäckig, berichtet Bauch. Dabei habe man beispielsweise für das Heben viele Hilfsmittel. Was vielen allerdings nicht bewusst ist, sind die langen Arbeitszeiten in Folge: „12 Tage arbeiten, 2 Tage frei.“ Das sei der normale Standardrhythmus einer Vollzeitpflegekraft. Der Grund dafür ist, dass die Wochenenden abgedeckt sind. Dazu kommt Feiertags- und Schichtarbeit. Obwohl chronische Personalknappheit herrscht, glaubt Bauch nicht, dass man deswegen Pflegekräfte aus dem Ausland holen müsste. Sie kann nicht nachvollziehen, warum es nicht gelingt, Arbeitslose an den Beruf heranzuführen. Eine Umschulung zur Fachkraft dauert 3 Jahre – zum Altenpflegehelfer geht es noch schneller, hier ist man schon nach einem halben Jahr fertig ausgebildet.
Es entscheiden sich aber auch immer wieder Ältere für den Berufseinstieg: Bei Bauch hat gerade jemand mit Mitte vierzig den Berufseinstieg gewagt. Die neue Mitarbeiterin kam ebenfalls aus einem Bürojob. Altenpflege bleibt jedoch ein typischer Frauenberuf. Nicht mehr als 20 Prozent Männer arbeiteten in der Altenpflege, schätzt Bauch. Viele weibliche Patienten bestünden aber auch darauf, nicht von einem Mann gewaschen zu werden. Männer müssten sich umgekehrt fügen.
Die Arbeit mit Menschen würde viel zurückgeben, sagt Bauch. Viele sind dankbar, dass jemand „kommt, macht und sich kümmert“. Man werde manchmal sogar Teil der Familie, zu Geburtstagen eingeladen. Das würde es in anderen Berufen so nicht geben. Emotional versuchen Pflegekräfte aber eigentlich Abstand zu ihren Patienten zu halten, erklärt Bauch. Das gelinge aber nicht immer, es gebe auch Kunden, über deren Tod man selbst sehr traurig sei. Man gehe dann auch zu den Beerdigungen.
„Wenn die Zeit da ist, ist die Zeit da“
Bauch selbst kann mit kirchlichen Beerdigungen jedoch nicht viel anfangen – sie sind ihr zu ritualisiert und unpersönlich. Bauch glaubt an Vorbestimmtheit, das ist ihre Philosophie. Alles habe einen tieferen Sinn, auch der Zeitpunkt des Todes. „Wenn die Zeit da ist, ist die Zeit da.“ Mit dem bevorstehenden Tod gingen alte Menschen sehr unterschiedlich um. Sehr viele würden krampfhaft am Leben festhalten – weil sie sich noch nicht verabschieden möchten, um anderen keinen Schmerz zuzufügen oder weil sie das Gefühl haben, noch etwas erledigen zu müssen. Wieder andere warten auf das Ende und meinen, dass ihre Zeit doch nun gekommen sei. Auch Sterbebegleitung gehört zur Aufgabe eines Pflegedienstes, man ist hier vor allem aber für die medizinische Seite zuständig. Gerne zieht man daher ergänzend Hospizdienste hinzu. Gemeinsam kümmert man sich intensiv um die Sterbenden.
Bauch ist jetzt 35 Jahre alt, den Job will sie bis zum Lebensende machen – über die Rente hinaus. Es ist und bleibt ihr Traumjob. Vor kurzem hat sie überlegt, ob sie ganz mit der Pflege aufhören und sich nur noch um Verwaltung und Koordination ihrer Firma kümmern sollte. Allein dieser Gedanke bereitete ihr jedoch so viele schlaflose Nächte, dass sie davon schnell wieder Abstand genommen hat. Jedes zweite Wochenende ist sie weiterhin selbst im Einsatz am Patienten.
Interview: Mirko Baschetti/Daniel Schneider; Text: Daniel Schneider
Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost #9 (06/2020)
Zitat: „Man könne nicht „seine acht Stunden abreißen“ und dann nach Hause gehen. „Da gehört ein bisschen mehr dazu.“ Nachbereitung, Rufbereitschaft – und mit dem Kopf sei man immer vor Ort.“
Also sucht die Dame Volldeppen, die in Ihrer Freizeit noch an die Firma denken. Kostenlos versteht sich.
Nein Danke. Auf so eine Firma hätte ich auch keine Lust.