An der Laterne vorm Haus hängt er schon – sein Konterfei auf einem Wahlplakat –, nun treffen wir ihn direkt zum Auepost-Quartiergespräch: Martin Pavel, Bürgermeisterkandidat der CDU in Wunstorf. Auch wenn er Anzug trägt, kommt er mit dem Fahrrad zum Termin. Radverkehr ist eines seiner Themen. Ob er damit nicht Wahlkampf für die Grünen macht, wollen wir direkt wissen, denn auch weitere Stellen in seinem Programm klingen recht „grün“: Moderne Verkehrskonzepte entwickeln, Umweltschutz und Bürgerbeteiligung. „Wer heute Klimaschutz nicht erwähnt, liegt falsch“, entgegnet Pavel. Das werde das Leben massiv bestimmen. Anspruch und Tun liegen aus seiner Sicht hier noch viel zu oft auseinander. Bei Stadtratssitzungen würde er beobachten, dass er nur einer von fünf sei, die mit dem Fahrrad kommen – Klimaschutz hin oder her. Mit Bürgerbeteiligung ist wiederum nicht die Neuauflage von direkten Demokratieelementen wie das ehemalige Online-Portal Wunstorf-Direkt gemeint, für das sich auch wegen seiner Komplexität niemand wirklich interessierte. Pavel will stattdessen den Wunstorfern das Rathaus öffnen, die Wege zum Bürgermeister und der Verwaltung kürzer und unkomplizierter machen. Eine klassische Bürgermeistersprechstunde würde es mit ihm nicht mehr geben, stattdessen würde er die Online-Kanäle ausbauen, sich Fragen in offener Runde direkt am Bildschirm stellen.
„Ich bin schon konservativ“, sagt Pavel, „wenn auch progressiv“. Die Bezeichnung als „Bürgerlicher“ empfinde er deswegen nicht als herabsetzend. Kirche, Familie, Schützenfest – das ist ihm wirklich heilig. Er ist regelmäßiger Kirchgänger, gehört der Stiftsgemeinde an. Der „Spirit“ ist ihm wichtig im Leben, auch als Gegenpol zum Alltag. Nur als wegen Corona das Singen verboten wurde, habe er zum Pastor gesagt: „Herr Milkowski, es tut mir leid, ich komme erst wieder, wenn das Singen wieder erlaubt ist.“ Privat limitiert die Zeit seine Hobbys. Sie bleibt hauptsächlich für zwei Dinge: Politik und Radfahren. Und er koche gern, verrät Pavel: Mindestens einmal die Woche Pasta an Pesto à la Genovese mit Speck und Parmesan. Die Frage, wer besser koche, er oder seine Frau, können wir uns nicht verkneifen. „Meine Frau kann dafür besser backen“, verlässt Pavel kurz das konservative Rollenklischee.
Zur CDU ist er früh gekommen: Schülerunion mit 15, Junge Union mit 16, mit der Volljährigkeit CDU-Mitglied, Stadtrat mit 26. Engagiert in der CDA, der Arbeitnehmerschaft der Partei. Die Entscheidung für die politische Heimat sei „ein bisschen familiär geprägt“. Die Eltern waren immer CDU-Wähler gewesen. Die typische Opposition – wenn die Eltern konservativ wählen, schlägt das Kind nach links aus – fiel im Hause Pavel aus. Als Jugendlicher habe er sich nach der Kohl-Ära zwar auch mit Gerhard Schröder auseinandergesetzt, der Anziehungskraft ausübte – „cooler als Kohl“ –, doch bei seinen eigenen Positionen war er näher dran an der CDU als an der SPD. Christliche Werte, Wirtschaftsthemen, das war ihm wichtig.
Von vornherein fest stand für Pavel jedoch, dass nur eine der großen Volksparteien in Frage kam: „Wenn, dann will man später auch mal die Möglichkeit haben, Bundeskanzler zu werden“, beschreibt er lachend seinen damaligen pragmatisch-jugendlichen Enthusiasmus. Das hat sich längst geändert: Über den Bürgermeister hinaus kommt für ihn nichts in Frage, landes- oder gar bundespolitische Ambitionen hegt er nicht. „Ich wollte immer nur Kommunalpolitik machen.“ Und: „Ich kenne keine andere Tätigkeit, die so vielfältig ist wie die des Bürgermeisters.“ Pavel ist lokal verwurzelt und will es auch bleiben. In seiner Kindheit und Jugend ist er öfter umgezogen – aber immer innerhalb von Wunstorf. Die Stadtteile kennt er in- und auswendig, und das ist keine Floskel. Bei nahezu jedem Thema, das wir anschneiden, kennt er die passende örtliche Geschichte – und das auf die Hausnummer genau.
„Ein Bürgermeister ist dafür da, die Blocker zu lösen“
Floskelhaft klingt allerdings sein Wahlslogan, wie eine beliebige Zusammenstellung aus dem Baukasten des Bürgermeisterwahlkampfes von vorgestern: „Entscheiden – anpacken – umsetzen.“ Auf die scheinbaren Worthülsen angesprochen, reagiert Pavel erfreut, dass endlich mal jemand nachfragt. Denn das habe sich keine Agentur ausgedacht, sondern er selbst habe sich viele Gedanken dazu gemacht. Entscheiden stehe für die Verwaltungsprozesse, die beschleunigt werden müssten. Wenn einmal eine Entscheidung getroffen worden sei, müsse sie aber auch umgesetzt und nicht nur an einen Sachbearbeiter delegiert werden – „anpacken“. Als Bürgermeister würde er auch unbequeme Fragen stellen: Warum sind die Prozesse im Bauamt oder Bürgeramt so, wie sie sind? Warum ist die Webseite so, wie sie ist? Projekte müssten schließlich auch zu einem Ende geführt werden. „Wir müssen schneller sein.“ So erklärt Pavel seinen eigenen Slogan.
Authentizität ist ihm wichtig. Ob es ein Coaching für ihn gab als Vorbereitung für den Wahlkampf, wollen wir wissen. „Wenn man so lange Jahre dabei ist in der Wunstorfer Öffentlichkeit, dann braucht man kein Coaching“, verneint Pavel. Verbiegen lassen würde er sich ohnehin nicht: Angesprochen auf den Umstand, dass er oft eine lässig wirkende Haltung, eine mit verschränkten Armen einnimmt – die wohl jedem Kommunikationstrainer Magenschmerzen bereiten würde, da man dem Wähler so keine Offenheit und Zugewandtheit signalisiert –, winkt Pavel ab. So sei er eben, und alles andere würde künstlich wirken.
Dabei muss er viele noch überzeugen bis zur Wahl, vor allem die Älteren: Denn der Vorstellung von einem jungen Bürgermeister stehen nicht alle aufgeschlossen gegenüber. Oft werde er auf seine 36 Jahre angesprochen, erzählt Pavel. Auf dem Wochenmarkt wurde er gerne gefragt: „Wie alt sind Sie eigentlich?“ Doch die dahinterstehenden Bedenken könne er schnell entkräften: Dass er schon lange Jahre dabei ist, wissen viele nicht – bei seiner kommunalpolitischen Erfahrung kann ihn keiner seiner Bewerber übertrumpfen, und Mehrheiten organisieren, das sei seine Stärke. Genau das müsse man als Bürgermeister können, um etwas zu bewegen. Dass er kein Verwaltungsjurist ist, sondern aus der Wirtschaft kommt samt lokalpolitischer Erfahrung, sieht Pavel daher klar als Vorteil. Bei einigen, das merke er durchaus, habe sich allein aufgrund seines Alters festgesetzt: „Den wähl ich nicht.“ Das würde man spüren. Aber es gebe auch Gegenbeispiele wie „Junge Leute müssen ran!“. Die jüngeren Wählerkreise sieht Pavel auf seiner Seite. Dass die Sichtweise eines jungen Familienvaters ins Rathaus getragen würde, fänden viele gut.
„Bei den Älteren muss man die ein oder andere Skepsis bekämpfen“
Was geschähe, wenn er nicht Bürgermeister wird, fragen wir. „Dann geht’s normal weiter in der Lokalpolitik.“ Als Parteivorsitzender in Wunstorf würde er weiter öffentlich in Erscheinung treten. Das war ihm schon einmal nicht zugetraut worden, die Altgedienten in der Partei hatten Vorbehalte gegen seine Parteikandidatur, dachten, dass er sowieso irgendwann ins Ausland gehen und Wunstorf verlassen würde. Er hat das Gegenteil bewiesen. Längst erreicht er einstimmige Nominierungen.
Wenn er gewinnt, würde sein Angestelltenverhältnis ab dem 31. Oktober ruhen. Seinen Tätigkeitsbereich bei seinem Arbeitgeber E.ON müsste jemand anderes übernehmen. Dort habe man sich aber gefreut, dass er den Mut hatte, sich aufstellen zu lassen, und ihn unterstützt. Vor dem Wahlkampf konnte er Überstunden aufbauen. Was er im Job derzeit tagsüber wegen Terminen nicht schafft, arbeitet er abends nach. Sollte er nach dem Einzug ins Rathaus nicht wiedergewählt werden, hätte er nach 5 Jahren ein Rückkehrrecht. Aber davon geht er nicht aus: „Wenn man gewählt wird, sich Mühe gibt, fleißig ist und das ernst nimmt, wird man auch wiedergewählt.“
Ein Jahr Einarbeitungszeit, die man neuen Bürgermeistern nachsagt, will er sich nicht gönnen. „Ich glaube nicht, dass das ginge.“ Es seien so viele Projekte in der Pipeline, die man gleich weiterführen müsse. Ihm geht vieles bislang zu langsam. Vion-Gelände, Jahnplatzbebauung, Hallenbad – „still ruht der See“, sagt er. Diese Metapher benutzt er oft, um träge Abläufe anzuprangern. In der Verwaltung gebe es zu viele Evaluationen, Abstimmungsrunden, Arbeitskreise – um alles von möglichst allen Seiten zu beleuchten und Risiken auszuschließen. „Das kann man im Leben aber nicht, jedenfalls nicht, wenn man auch schnell sein will“, sagt Pavel. „Beim Jahnplatz passiert: nichts. Beim Elements passiert: nichts. Und die anderen Städte lachen sich kaputt, investieren und ziehen uns die Kunden weg.“
Gibt es ein Bauprojekt, das er ganz anders gemacht hätte? „Das Hallenbad“, nennt er nach zwei Bedenksekunden. Das hätte er an die Hochstraße zwischen Luthe und der Kernstadt gebaut. Doch das nur theoretisch, zu viel Geld sei bereits in den heutigen Standort geflossen, da sei die Stadt „committed“. Investiert werden soll daher weiter in die Barne, und das – natürlich – schnell: „Mit Kindern wird einem hier nichts geboten, die Leute fahren nach Seelze, Garbsen und Neustadt.“
Den Ball von Eberhardt will er direkt weiterspielen. Im Gegensatz zu einem seiner Konkurrenten um das Amt, der den praktischen Rathaus-Bonus hat, hat Pavel den parteilichen Amtsvorgänger-Bonus. Eberhardt ist Vorbild für ihn, und seinen Kurs würde er fortsetzen wollen. „Wenn ich mir eine Scheibe abschneiden könnte, dann die Beharrlichkeit: Immer wieder nachfragen, immer am Ball bleiben.“
Einen gravierenden Unterschied gibt es zwischen den Parteikollegen: Während Eberhardt Amazon-Fan ist und die bevorzugten Lieferungen des Versandriesen gerne nutzt, hat Pavel dort nicht einmal einen Account: „Ich habe noch nie was bei Amazon bestellt.“ Das Lokale habe für ihn immer Vorrang, und hier will er unter anderem auch ansetzen: Die Pläne für eine „31515-Handelsplattform“ stehen in seinem Programm. Es soll eine Online-Bestellmöglichkeit für die Stadt werden, denn das fehle ihm bislang: die Möglichkeit, vom Sofa aus etwas zu bestellen und liefern zu lassen, aber von den örtlichen Händlern, und das auch nicht nur beschränkt auf die Wunstorfer Werbegemeinschaft, sondern für alle in der Stadt: Aalrestaurantgutscheine aus Steinhude, Hemden aus der Kernstadt, Spielwaren aus Kolenfeld. Eine lokale Bestellplattform für den Wunstorfer Postleitzahlenbereich – mit Wunstorfer Händlern für die Kundschaft in der Stadt und Umgebung, kombiniert mit einem lokalen Logistikkonzept, das ist seine Vorstellung. Dabei müsse dann sichergestellt sein, dass nicht dreimal der Lieferwagen ausrückt für eine Bestellung. Ein Warenlager oder Umschlagplatz müsse zwischengeschaltet sein, meint Pavel.
Unseren Hinweis, dass von der öffentlichen Hand betriebene Alternativen zu Handelsplattformen der Wirtschaft bisher früher oder später immer krachend gescheitert seien, lässt Pavel nicht gelten. Natürlich könne man das nicht ausschließen, und die Stadtverwaltung sei auch nicht dafür da, der zweite Jeff Bezos zu werden, aber es gehe zunächst um einen Anschub. Mit Leben gefüllt werden müsste der Marktplatz dann ohnehin von den Akteuren selbst. Wenn von hundert Unternehmen nur drei mitmachten, könne es nicht funktionieren. Das müsse es jedoch. „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, das hinzubekommen, werden es die inhabergeführten Läden in Zukunft schwer haben“, ist sich Pavel sicher. Sogar die Älteren hätten in Coronazeiten gemerkt, wie einfach und bequem Online-Bestellungen wären. Das würde sich nicht wieder ändern.
„Die anderen Städte lachen sich kaputt“
Eine Lösung für Wunstorfs Parkplatzprobleme soll das ausdrücklich nicht sein, versichert Pavel, nur eine Ergänzung: „Wir haben nicht genug Parkplätze. Punkt“, sagt er energisch. Die 31515-Plattform soll nicht die Kundschaft aus der Fußgängerzone fernhalten, sondern diejenigen dazuholen, die sonst gar nicht lokal einkaufen würden. An den Parkplatzplänen seiner Partei hält Pavel daher fest: Es müsse unbedingt ein Parkdeck ans Bauamt, das sei der einzige Standort, der realistisch sei und Sinn ergebe. „Wenn das Parkdeck nicht kommt, stirbt die ganze Südstraße aus“, ist sich Pavel sicher. Und eine tote Südstraße würde sich wie eine ernste Krankheit weiter ausbreiten. Das – dauerhafter Leerstand im Zentrum – müsse man unbedingt verhindern, und das ginge nur mit mehr Parkplätzen. Auch ein Parkdeck auf dem Nordwall sei mit ihm zu machen. Wenn politisch eine Mehrheit da wäre, würde er es angehen. Auch gegen Widerstände aus der eigenen Partei, die die Sicht auf die Wasserzucht nicht zerstört sehen wollen. Das Matratzengeschäft sei auch deshalb fort, weil die Leute ihre gekauften Matratzen nicht mit dem Bus nach Hause fahren. Ironie an der Situation: Das Schaufenster des ehemaligen Bettgestellzubehörladens ist zur Zeit an Pavel vermietet – für Wahlwerbung.
Wenn er im September nicht Bürgermeister wird, wird er es nie. Eine zweite Chance würde er nicht nutzen, sagt Pavel, 2026 nicht noch einmal kandidieren. Fünf Jahre in Lauerstellung zu sein, das könne er als Familienvater und neben dem Beruf nicht schaffen. Daher entscheide sich nun mit der Wahl, wie sein Lebensweg weiter verlaufe – als Hobbypolitiker oder Hauptamtlicher.
Interview: Daniel Schneider/Achim Süß
Text: Daniel Schneider
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