Die wenigsten Gewerbetreibenden würden wohl mit einem Blutfleck auf den Firmenwagen um Kunden werben. Thorsten Leder tut genau das: Der Inhaber einer Wunstorfer Gebäudereinigungsfirma ist zwar im wahrsten Wortsinne ein „Saubermann“, ein Allrounder, der vom Rasenmähen und der klassischen Gartenarbeit über Entrümpelungen und Putzdienste bis hin zum Fenster- und Türeneinbau vieles anbietet – doch seit kurzem hat sich ein besonderes Segment hinzugesellt: die Tatortreinigung. Eine Leiche haben wir gerade nicht im Keller, aber der 42-Jährige kommt trotzdem zum Quartiergespräch in die Redaktion. Seine graue Dienstkleidung weist ihn als Chef aus – seine Mitarbeiter tragen sonst blaue Montur.
Ursprünglich wollte er einmal Polizist werden, machte dann aber ein Schulpraktikum bei einem Handwerksbetrieb und war so begeistert, dass er sich gleich dort einen Ausbildungsvertrag erkämpfte. So lernte er Rollladen- und Jalousiebauer – heutzutage nennt sich das Sonnenschutzmechatroniker. Bevor Leder in die Selbstständigkeit durchstartete, die ihn nun auch zur Tatortreinigung führte, war er bei der DLRG – unter anderem als Rettungsdienstleiter konnte man ihn in Mardorf an der Weißen Düne, am Nordufer des Steinhuder Meers, treffen. Die Polizeikarriere hatte er wegen des fehlenden Realschulabschlusses aus den Augen verloren, nach Ausbildung und Bundeswehrzeit zog es ihn dafür zur Wasserrettung – zunächst ehrenamtlich, später hauptamtlich. Dort fuhr er dann LKWs zur Leerung von Altkleidercontainern. Da Leder die entsprechenden Scheine hatte, bekam er schließlich das Angebot, Rettungsdienstleiter zu werden. In die Selbstständigkeit war er schon 2004 nebenbei gestartet, musste sich 2008 dann aber entscheiden: ganz in die Rettungsdienstleiterschiene fürs Steinhuder Meer oder ganz in die Selbstständigkeit. Es wurde die Selbstständigkeit.
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„Alles außer Gas/Wasser/Dach/Elektrik“, beschreibt Leder sein Portfolio. Die Zeiten, in denen er Altkleider umherfuhr und nach Ertrinkenden Ausschau hielt, sind damit lange vorbei. Heute sind er und seine Mitarbeiter mit acht eigenen Firmenwagen plus einem LKW unterwegs zu ihren Einsätzen, ein großes Lager befindet sich in der Wunstorfer Bahnhofstraße. Doch die weitere Firmenentwicklung war auch vom Zufall geprägt: Seit acht Jahren ist Leder vor allem als Gebäudereiniger am Markt, als er das Geschäft von einem Bekannten mit übernahm, der nach einem Unfall den Beruf nicht mehr ausüben konnte. „Wenn mir früher einer gesagt hätte, dass ich mal Gebäudereinigung mache, hätte ich gesagt: Du willst mich verarschen“, beschreibt er seinen Werdegang. Einige größere Firmen und Organisationen in Wunstorf und Hannover sind Kunden, aber Leders Firma macht auch „viel Kleinkram“. Ehrenamtlich ist er nebenbei noch bei den Johannitern aktiv. Die Tatortreinigung kam Ende 2021 hinzu. Dazu ließ sich Leder in einem Lehrgang zertifizieren – nicht jeder darf einfach so als Tatortreiniger arbeiten – und ging quasi noch einmal in die Lehre: bei einem Tatortreiniger in Hamburg hospitierte er.
„Ich ruf dich an, wenn ich was richtig Ekliges, Spezielles habe, damit du gleich die volle Ladung kriegst“, habe der gesagt. Es ging darum, einen authentischen Einblick in die Materie zu bekommen, und nicht etwas, wo „nur zwei Stunden eine Leiche herumliegt“. Und es wurde wie versprochen eklig. Denn die Einsätze eines Tatortreinigers fallen sehr unterschiedlich aus. Tatorte, Leichenfundorte, Suizide oder Unfälle – überall, wo Verwesungsgeruch entsteht oder Blut klebt, rückt der Tatortreiniger an. Nicht immer muss deswegen jemand gestorben sein: Auch Haushaltsunfälle können unschöne Spuren in einer Wohnung hinterlassen, und auch die Säuberung einer Messiewohnung gilt im Grunde genommen als Tatortreinigung. „Weil desinfiziert werden muss“, erklärt Leder, Insekten werden nicht nur von Toten angezogen. Aber manchmal muss eben tatsächlich mit einem Spachtel das Gehirn von der Wand abgekratzt werden. „Es klingt makaber, ist aber so“, sagt Leder.
Dabei ist das erst der Anfang. Mit einer oberflächlichen Beseitigung ist es in der Regel nicht getan, wenn Leder und seine Mitarbeiter einmal vor Ort sind. Die Polizei ist dann schon weg, der Tatort ist freigegeben. Leder hält vor jedem entsprechenden Einsatz enge Rücksprache mit der Polizei. Dann kann es losgehen, je nach Art des Falles: Mal wird der Putz von der Wand abgestemmt, mal wird der Fußboden weggerissen, wenn dort Blut eingesickert ist. Manchmal lassen sich Dinge desinfizieren, wenn etwa Angehörige bestimmte Gegenstände des Toten behalten möchten, die in der Wohnung waren – aber sobald Körperflüssigkeiten eingezogen sind, wird in der Regel direkt entsorgt. Teilweise werden Elektrogeräte aufgeschraubt, um nachzusehen, ob sich dort Maden oder andere Schädlinge verstecken. Bisweilen muss die Polizei trotz Tatortfreigabe noch einmal tätig werden: Werden bei den Reinigungsarbeiten noch Leichenteile gefunden – zum Beispiel Gliedmaßen hinter einem Schrank –, dann werden wieder die Ermittler gerufen und die Reinigungsarbeiten unterbrochen, bis der Tatort erneut freigegeben wurde. Bis zu drei Tage inklusive Planung kann die Tatortreinigung einer Wohnung dauern. Alles wird ausgeräumt, und sogar die bei der Reinigung verwendeten Werkzeuge werden nach einmaligem Gebrauch entsorgt – egal, wie teuer sie waren.
Grund dafür ist der Infektionsschutz. Tatortreiniger können nicht wissen, welche Erkrankungen ein Verstorbener möglicherweise hatte. Was sich nicht desinfizieren lässt, kommt weg. Die Dokumentationspflichten sind auch nicht zu unterschätzen: Der Abschlussbericht einer Tatortreinigung kann schon einmal zentimeterdick ausfallen. Fotos werden von jedem einzelnen Gegenstand gemacht – vor und nach der Reinigung. Dazu kommt am Ende eine spezielle Abnahme. Der anfallende Schutt landet als Sondermüll – mit der Kennzeichnung Biogefährdung – in einer zertifizierten Müllverbrennungsanlage. Dafür muss man bis nach Hameln fahren. Das alles treibt die Kosten nach oben: Die Tatortreinigung einer Zwei-Zimmer-Wohnung kann zwischen 10.000 und 12.000 Euro kosten. Viele Hausverwaltungen sind mittlerweile entsprechend versichert, denn diese sind es meistens neben privaten Eigentümern, die den Tatortreiniger auch bestellen – betroffene Wohnungen sollen schnell wieder vermietet werden. „Ich glaube, ich könnte das nicht“, höre er von vielen, die von seiner Tätigkeit erfahren, und sie haben damit wahrscheinlich gar nicht einmal Unrecht: Selbst professionelle Reinigungskräfte, die die Zusatzausbildung erfolgreich absolviert haben, können manchmal anschließend die Arbeit nicht ausführen, weil sie mit dem Geruch doch nicht zurechtkommen. Auch einer Kollegin von Leder ist das passiert.
Ob er selbst Hemmungen hat, möchten wir wissen. Wie ist das mit dem persönlichen Ekelfaktor beim Anblick der Tatorte? Leder schüttelt den Kopf und sagt: „Der beißende Geruch ist schlimm.“ Das sei tatsächlich das entscheidende Kriterium. „Wer den Geruch nicht erträgt, kann es nicht machen. Man muss hart sein“, erklärt der gebürtige Hagenburger und versucht eine Beschreibung: „So ein herber Nachgeruch, süßlich-markant, wie eine eitrige Wunde oder wenn ein alter Mäusekadaver herumliegt.“ Die Zeit arbeitet dabei gegen die Tatortreiniger: Je länger eine Leiche liegt, desto mehr riecht es. Denn der Verwesungsprozess findet in mehreren Schritten statt – der menschliche Körper, zu einem Großteil aus Wasser bestehend, verflüssigt sich, erklärt Leder. „Und das geht in die Poren rein“ – und das muss dann irgendwie auch wieder raus aus den Materialien. Leder ist hart. Aber wie lange, das weiß auch er nicht. „Vielleicht zwei Jahre, vielleicht zwanzig Jahre, vielleicht nur noch zweimal“ – so etwas könne man im Voraus nie sagen. Aber für sensible Naturen – für jemanden, der kein Blut sehen könne – sei es definitiv kein Job.
Emotionale Distanz ist ebenso wichtig: Bei Bekannten oder im familiären Umfeld könnte er niemals eine entsprechende Reinigung durchführen, sagt Leder. Der persönliche Bezug ist der springende Punkt, auch bei Kunden: Wenn Angehörige vor Ort sind, schickt Leder sie nach Möglichkeit weg: „Geben Sie uns den Schlüssel, fahren Sie nach Hause, trinken Sie eine Tasse Kaffee – wenn wir durch sind, rufen wir Sie an.“ Die Auftraggeber sehen am Ende dann nur noch eine leere Wohnung. Den Anblick, wie mit dem Vorschlaghammer Möbel zertrümmert werden, an denen womöglich viele Erinnerungen hängen, soll den Klienten erspart bleiben. „Hammer raus, kaputtkloppen, weg“, beschreibt Leder einen Hauptaspekt der Tatortreinigung. Es gab schon den Fall, dass eine Angehörige dennoch blieb und beim Anblick der Arbeiten kollabierte. Nicht nur bei Tatorten, auch bei Entrümpelungen gilt das. „Jetzt weiß ich, was Sie meinen“, bekam das Team einmal von einem anderen Gebliebenen zu hören. Davor will Leder die Leute schützen.
Dennoch gibt es immer wieder Auftraggeber, die einen persönlichen Bezug zur Wohnung haben und unbedingt dabeibleiben wollen – doch auch die halten selten länger als eine Stunde durch und gehen dann doch, plaudert Leder aus dem Nähkästchen. Der längste Zeitraum, den eine Leiche gelegen hatte, bevor Thorsten Leder mit der Reinigung begann, betrug bei ihm bislang drei Monate. „Der gute Herr war wie Blätterteig“, beschreibt Leder die sich ihm bietende Szene, „regelrecht ausgetrocknet und mumifiziert.“ Fliegen hatten ihre Larven in die sterblichen Überreste gesetzt. Der Geruch jedoch bleibe trotzdem immer. „Gerade, wenn die Fenster zu sind.“ In den schweren Fällen hilft dann die Technik und das entsprechende chemische Arsenal.
„Hammer raus, kaputtkloppen, weg“
Die giftigsten Reinigungsmittel benutzt der Chef nur persönlich, „die geb ich nicht aus der Hand“, sagt Leder. Bestimmte Mittel, die bei der Arbeit genutzt werden, kann er nur im Ausland kaufen – weil sie gar nicht in Deutschland hergestellt werden. Dafür muss er jedoch seine Zertifizierung als Tatortreiniger vorlegen – verkauft wird nicht an jeden. „Ich kaufe Reinigungsmittel ein, damit ziehe ich jeden Blutfleck so raus, da findet die Polizei hinterher nicht mehr raus, dass da was war“, beschreibt Leder die Tiefenwirkung der Präparate. Doch auch mit den schärfsten Mitteln bekommt man den Geruch nicht aus den Räumen heraus. Dann hilft oft nur noch eine Ozonisierung, das letzte, aber wirkungsvollste Mittel bei olfaktorisch belasteten Tatorten. Bei dem Verfahren wird einem Raum der gesamte Sauerstoff entzogen, womit auch der gesamte Geruch von Kot und Urin oder Leichengeruch verschwindet. Auch das ist nicht ungefährlich, alles Organische überlebt diesen Prozess ebenso wenig wie die Gerüche. „Eine Pflanze wird sofort braun“, beschreibt Leder, der bei solchen Einsätzen mit Gasmaske hantiert, die Anwendung. „Zwei Atemzüge, dann bist du tot.“ Mit speziellen Messgeräten wird die Ozonkonzentration kontrolliert, um Gefährdungen beim Wiederbetreten auszuschließen. Bis zu 700 Euro kann eine Ozonisierung pro Raum zusätzlich kosten, aber „damit kriegen wir den Gestank dann auch raus“, sagt Leder. Bei starkem Verwesungsgrad, wenn ein Toter lange in einer Wohnung gelegen hat, ist es das Mittel der Wahl. Bei nur wenigen Tagen „Liegezeit“ ist es dagegen ausreichend, ein Fenster zu öffnen, um den Geruch zu beseitigen.
Dass manche Kunden auf Reinigungspersonal von oben herabschauen, das ist auch im 21. Jahrhundert noch keine Vergangenheit. „Du machst hier nur sauber“, diese Einstellung bekommt Leder durchaus bisweilen zu spüren, seine Tätigkeit ist nach wie vor klischeebehaftet. Bei Wünschen wie „Schick doch mal die Putze vorbei“ reagiert er entsprechend energisch und setzt die Leute „auf den Pott“: So etwas gebe es bei ihm nicht, er besteht auf den Terminus Reinigungskräfte. Denn der Beruf ist vielschichtiger und bringt mehr Verantwortung mit sich, als die Gesellschaft in der Regel annimmt. „Ich muss mich kümmern“, beschreibt Leder das Unabdingbare im Reinigungsgeschäft. Es geht um Zuverlässigkeit und Sicherheit: Bei Hygienefragen ist es essentiell, dass auch so geputzt wird, dass die entsprechenden Kriterien erfüllt sind. Gerade in sensiblen Bereichen kann es zu großen Problemen führen, wenn im doppelten Sinne unsauber gearbeitet wird.
Letztlich ist ein Reinigungsunternehmen gegenüber seinen Auftraggebern in der Pflicht – man stelle sich den Fall vor, wenn eine Aufsichtsbehörde Hygienemängel feststellt, weil ein Gebäudereiniger mangelhaft gearbeitet hat. „Ich bin für die Hygiene zuständig“, heißt das für Leder. Konkurrenz sieht Leder positiv als Mitbewerber, doch er kennt auch Fälle, wo Dienstleister Arbeit „unter aller Kanone“ abgeliefert haben. Am Ende werde dann bei ihm angerufen und gefragt ob er den Pfusch wieder in Ordnung bringen könne. „Das können wir dann aber nicht“, zuckt Leder entschuldigend mit den Achseln und nennt als Beispiel die schief geschnittene Hecke. „Wenn die schief geschnitten ist, dann ist sie eben schief geschnitten.“ Oder es gebe Gebäudereiniger, die Objekte übernähmen, dann aber nicht zuverlässig auftauchen würden. Vor allem mit dem Wunsch „mach mal schnell“ kann Leder wenig anfangen – das ginge gar nicht.
„‚Mach mal schnell‘ geht meistens schief“
Gründlichkeit ist für ihn oberstes Gebot im Reinigungsgewerbe. Als Chef hingegen ist er nicht akribisch, er lässt seinen Mitarbeitern so viel freie Hand wie möglich. Jedenfalls, solange die ihre Arbeit ebenso ernst nehmen. Einmal ertappte er eine Mitarbeiterin, die in einer Woche nur einen roten Lappen in die Wäsche gab. Rote Lappen sind für die Toilettenreinigung vorgesehen. Damit hatte sie bestimmte Hygienevorgaben unterlaufen. Einem klärenden Gespräch folgte die Abmahnung und schließlich die Entlassung, als die Frau ihre Arbeitsgewohnheiten nicht änderte. „Manchmal täuscht man sich in Menschen“, so Leder. Doch während im Reinigungsgeschäft allgemein eine eher hohe Fluktuation herrscht, setzt Leder auf Kontinuität: „Wenn man die Richtigen hat, bleiben sie auch lange.“ Seine dienstälteste Mitarbeiterin ist mittlerweile seit sechs Jahren an Bord. Dabei ist es wirklich harte Arbeit. Ein Arbeitstag kann lang sein – man fängt früh an und hört spät auf. Auch teilzeitfreundlich ist das Reinigungsgewerbe nicht. Es gibt auch Teilzeitstellen bei Leder, doch sie sind die Ausnahme. „In manches Objekt kann man erst ab 18 Uhr rein“, beschreibt der Firmenchef die Situation. Da wird es schwierig, wenn man nur arbeiten kann, wenn die Kinder in der Schule sind. Auch ein Führerschein ist für die Mitarbeiter unabdingbar. Thorsten Leder packt dabei weiterhin selbst gerne mit an, einen reinen Schreibtischjob kann er sich nicht vorstellen. „Ich freue mich, wenn ich mal wieder einen Rasen mähen kann“, sagt er. Der persönliche Kundenkontakt bleibt auch sein Antrieb. Wenn ein Kunde sage: „Das haben die geil gemacht“, dann sei es das Schönste.
Hilft es eigentlich bei der Tatortreinigung, kommt man besser mit dem Tod zurecht, wenn man bereits Rettungsdiensterfahrung hat? „Man kennt sehr viel“, antwortet Leder, er habe schon viele Situationen gesehen, so der Wunstorfer. Doch manchmal wird auch der Tatortreiniger noch überrascht. Da war etwa die eine Messiewohnung in Hannover. Leder bekam den Wohnungsschlüssel ausgehändigt und hatte sich gedacht: „So schlimm ist es nicht.“ Doch dann bekam er die Wohnungstür kaum auf. „Ich habe noch nie so viele Pizzakartons und Pfandflaschen gesehen“, sagt er. Über 3.000 Pfandflaschen wurden palettenweise abgefahren – zwei Wunstorfer Getränkehändler unterstützten logistisch. Vier- bis fünfmal im Jahr kümmert sich Leder um vermüllte Behausungen. Verdorbene Essenreste, nicht mehr nutzbare, weil vollgestellte Toiletten, nur noch Trampelpfade in der Wohnung. Es ist kein so seltenes Phänomen, wie man vielleicht denken könnte. „Man sieht es keinem an“, sagt Leder. Einmal habe er bei einer sehr elegant auftretenden Dame, die bei einer Bank arbeitet, die Wohnung gesäubert. „Wohnungstür auf – und ich habe gedacht, ich muss mich übergeben“, so schildert Leder seinen damaligen Eindruck, um sogleich zu unterstreichen, dass die betroffenen Menschen nichts dafür könnten. „Es ist eine psychische Krankheit.“
„Wohnungstür auf – und ich habe gedacht, ich muss mich übergeben“
Während bei Entrümpelungen die aus den Wohnungen geholten Gegenstände schon einmal zwischengelagert werden können, bevor sie zur Deponie kommen, ist das bei Tatortreinigungen nicht möglich. Das in großen Beuteln gesammelte Material wird taggleich entsorgt und keinesfalls etwa noch über Nacht stehen gelassen – auch nicht in den Fahrzeugen. Wenn während der Lagerung etwas austräte, würden Lager oder Fahrzeuge als kontaminiert gelten, was wiederum eine aufwändige Reinigung nach sich ziehen würde. „Oder das Auto wird geklaut – was dann?“, beschreibt Leder das Worst-Case-Szenario – ein entwendetes Tatortreinigerfahrzeug. Der Dieb würde dann unwissentlich de facto Giftmüll durch die Gegend fahren und möglicherweise nicht nur sich selbst gefährden.
Unterstützung bekommt Thorsten Leder seit einigen Jahren auch von seiner Frau, die in der Firma mitarbeitet. Die Geschichte mag er schon gar nicht mehr erzählen, wird aber natürlich auch von uns wieder darauf angesprochen. Denn viele in Wunstorf und sogar ganz Deutschland kennen Leder nicht aufgrund seiner Tätigkeit als Reinigungsunternehmer oder weil sein Großvater einst den Kiosk an der alten Südaue betrieben hatte, sondern wegen einer besonderen Kennenlerngeschichte. Zu heiraten versucht hatte Thorsten Leder ursprünglich einmal im Fernsehen. Als langjähriger Single war er Teilnehmer der 3. Staffel der Kuppelshow „Hochzeit auf den ersten Blick“ gewesen, war aber kurz vor den Livesendungen ausgeschieden – er bekam kein „Match“. Das kam erst zwei Jahre später per Zufall im Rettungsdienst. Als erfahrener Sanitäter auf der IdeenExpo Hannover, wo er für die Johanniter unterwegs war, holten ihn die Kollegen zu Hilfe zu einer Frau, die eigentlich nur um ein Pflaster gebeten hatte, aber einen „merkwürdigen Eindruck“ machte – aus der kleinen Hilfeleistung wurde ein unerwarteter Notfall mit komplett entgleistem Blutdruck und einem erlittenen Krampfanfall. Leder übernahm die erste Hilfe bis zum Eintreffen des Notarztes. Eine Woche später suchte die Gerettete noch einmal den Kontakt zu den Johannitern, um sich bei ihrem Retter persönlich zu bedanken. Thorsten Leder wurde ausfindig gemacht – und er meldete sich bei seiner ehemaligen Patientin. Man telefonierte, verabredete sich auch zu einem Treffen – und verliebte sich. Es folgten ein Heiratsantrag und schließlich die Hochzeit. Zunächst nur intern beachtet, stürzten sich auch die Fernsehsender RTL und Sat. 1 auf die Liebesgeschichte, die auf diese Weise die Runde machte. In den Medien war Leder von nun an der Rettungssanitäter, der von seiner Patientin geheiratet worden war.
„Für jedes Problem gibt es eine Lösung“
Apropos Fernsehen: Ob die dort gezeigte Arbeit von Tatortreinigern eigentlich realistisch dargestellt wird, möchten wir vom echten Tatortreiniger wissen: „Ja“, sagt Leder, die Arbeitsgänge seien dort authentisch dargestellt. „Außer das Ozonisieren“, weil das schlecht in der Handlung unterzubringen sei. Findet es seine Frau schlimm, dass er nun auch Tatortreinigungen macht? „Nein, sie findet das cool“, antwortet Leder. Aber hat es ihn privat verändert? Achtet er zuhause nun noch mehr auf Sauberkeit? „Zuhause bin ich pingelig, aber gerade mit Kindern kann man es nicht so sauber halten, wie man vielleicht gerne möchte“, schmunzelt Leder. Tatsächlich habe er aber einen Effekt bemerkt: Er wasche sich nun ein- bis zweimal öfter die Hände am Tag, ansonsten habe er sich nicht geändert. „Man wird nicht empfindlicher“, so Leder, und während der Arbeit wisse man, wie man sich schützen müsse. Er träume nachts auch nicht von seinen erlebten Einsätzen. Nur manchmal stellt er sich tagsüber die Frage, ob die Leute, die öffentliche Toiletten im katastrophalen Zustand hinterlassen, das Gleiche auch bei sich zu Hause machen.
Mit einem bekannten Klischee räumt Leder dabei gleich auf: „Es wird immer gesagt, Männer sind Schweine – stimmt nicht.“ Zumindest bei öffentlichen Toiletten. Seine Erfahrung sei überall dieselbe: Ob Restaurants, öffentliche Toilettenhäuschen oder Wohnmobilstellplatzanlagen – überall würden die Frauen-WCs schlimmer aussehen. „Die, die am meisten meckern, sind die, die es selber machen“, ist sich Leder dabei sicher. Und es gebe kulturelle Unterschiede. Ganz oft sehe er gebrochene Toilettenbrillen, weil sich wieder jemand auf die Toilette gestellt statt gesetzt habe. Kommentare dazu spart er sich längst – „da wird man am Ende noch als Nazi beschimpft.“ Im Laufe der Zeit hat Leder einen gewissen Sinn für seine Mitmenschen entwickelt – und kann einschätzen, wer ein „Schmutzfink“ ist und wer nicht. Sein Beruf hilft auch im Privaten, im Urlaub etwa ist ihm seine Erfahrung von Nutzen … in der Ferienwohnung oder im Hotelzimmer sieht er sofort, ob man dort ruhigen Gewissens logieren kann oder nicht. Und er verrät, an welcher Stelle man nachschauen sollte, denn das geflügelte Wort hat einen wahren Kern: Manchmal werde tatsächlich der Dreck unter den Teppich gekehrt.
Zuerst erschienen in Auepost-Magazin Nr. 23 (August 2022)
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