Wunstorfer Auepost
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„Ich hab immer schon Dinge gemacht, von denen andere gesagt haben, das geht doch nicht“

14.09.2023 • Daniel Schneider • Aufrufe: 6924

Eine kleine Zeitungsannonce hat sein Leben verändert – sagt er. Aber eigentlich war er es selbst, der mit Talent, Gewitztheit und auch ein bisschen Glück zum erfolgreichen Geschäftsmann wurde. Unternehmer Nino Mai im Auepost-Quartiergespräch über persönliche Freiheit, Unternehmertum und sein Handschuh-Imperium.

14.09.2023
Daniel Schneider
Aufrufe: 6924
Nino Mai | Foto: Daniel Schneider

Wunstorf beherbergt viele Unternehmen, größere und kleinere, regional und international agierende. Manche haben die Stadt wegen der guten logistischen Anbindungen gewählt. Auch die Firma Nino Mai Arbeitsschutz profitiert von guten Verkehrswegen, doch ihr Chef und Namensgeber ist schon in Wunstorf aufgewachsen, genauer gesagt in Liethe. Heute findet man seinen Firmensitz in Klein Heidorn.

Mit Kapuzenpullover und Jeans kommt er zum Quartiergespräch in die Redaktion. Gelernt hat er nach dem Schulabschluss Tischler, doch das war nichts für ihn. Der 52-Jährige hat eine ausgeprägte Aversion gegen Fremdbestimmung: Schon im Kindergarten sei er unglücklich gewesen, wollte er sich nicht von der Kindergärtnerin leiten lassen, erzählt er. „Mach dies, mach das …“, damit ging es in der Schule weiter, und schließlich in der Lehre, formuliert Mai sein Empfinden: „Du musst dies machen und jenes machen.“ So sollte es sich nicht fortsetzen. Ein typisches Angestelltenverhältnis? Schwierig vorstellbar. „Frei wie ein Vogel“, wollte er sein, und so einen Vogel fange man nicht ein. Es ist eine Grundhaltung, die sich durch sein ganzes Leben zieht. Aber wie kommt man als Freigeist zur Arbeitsschutzbranche, in der Mai seit Jahrzehnten seine Brötchen verdient, wollen wir wissen. Dazu muss Mai etwas weiter ausholen …

Vor allem: selbstständig arbeiten

Nach der Lehre stieß er eher zufällig auf eine Zeitungsannonce, in der Telefonverkäufer gesucht wurden. Er weiß heute noch genau, was darüber stand: „Wollen Sie bis zu 20.000 DM verdienen?“ Mai wollte. Seine Eltern weniger. „Bist du noch ganz dicht, das können doch nur Verbrecher sein, wer geht denn da hin?“, hätten sie ihm ins Gewissen geredet, erzählt Nino Mai. Man ahnt, was nun passierte: Er ließ sich nicht reinreden. „Ja, ich will gerne 20.000 verdienen, und ich will machen, was ich will“. Sein Entschluss stand. Was wie ein Angebot klang, das zu gut war, um wahr zu sein und auch ein Lehrbeispiel für unseriöse Offerten hätte abgeben können, wurde so für Mai zum ersten Kontakt mit Vertriebstätigkeiten und der Ausgangspunkt seiner späteren Karriere.

„Bist du noch ganz dicht?“

Ein bisschen Glück gehörte auch dazu: Als er in der hannoverschen Telefonvertriebsfirma aufschlug, traf er dort auf den Chef – einen alten Wunstorfer. Die Chemie stimmte, und Mai bekam seine Chance. Und es war das, was er gesucht hatte: eigenverantwortliche Arbeit. Doch Geld geschenkt bekam er dort nicht, der neue Job bedeutete harte Arbeit. Er wurde mit einem Verkaufsskript ausgestattet und durfte sich dann ans Telefon setzen. Damals waren noch die Wählscheibentelefone Stand der Technik, und so telefonierte er sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger wund. Den Text, den er damals beim Telefonieren vortrug, kann er heute noch auswendig aufsagen. Zum Beweis rattert er den Text herunter. Er hat sich regelrecht eingebrannt.

1.600 Mark Telefonkosten

Die Schattenseiten der Selbstständigkeit bekam Mai damit sogleich zu spüren, denn er handelte als „HGB 84er“ auf eigene Rechnung. Denn das, was sich hinter dem betreffenden Paragraphen des Handelsgesetzbuches verbarg, bedeutete auf gut deutsch: Vertreter und Klinkenputzer. Auf einmal war er freier Handelsvertreter – eben mit großer Freiheit, aber auch großem finanziellen Risiko. Das merkte er, als die erste Telefonrechnung kam. Flatrates gab es noch nicht, die Telefonkosten in den 1980er Jahren waren happig, vor allem tagsüber zu den typischen Geschäftszeiten. Aus den erhofften 20.000 DM wurde nichts, im Gegenteil. Im ersten Monat kam noch kein Geld herein, stattdessen waren 1.600 DM Telefonkosten aufgelaufen. Dazu kam die Miete für den Arbeitsplatz, denn den hatte er selbstverständlich auch selbst zu finanzieren. So hatte Mai nach vier Wochen schon 2.000 Mark minus gemacht.

Aber es wurde noch schlimmer: Da er auf eigene Rechnung arbeitete, ging er auch voll in Vorleistung – bezahlt wurde erst, wenn die Kunden, die er anrief, das angepriesene Produkt auch tatsächlich gekauft und die Rechnung beglichen hatten. Erst dann wurde auch der Handelsvertreter bezahlt. Theoretisch. Es wirkte, als würden seine Eltern Recht behalten, denn er wurde von seiner Vertriebsfirma vertröstet: Im dritten, vierten Monat werde das schon werden, wurde ihm gesagt. Aber es wurde nicht. Im vierten Monat stand seine Bilanz schon bei minus 8.000 Mark. Doch dann wendete sich das Blatt tatsächlich. Er verkaufte und verkaufte … und verdiente auf einmal 2.500 Mark netto. Angesichts der weiterhin hohen Telefonkosten war das zu wenig, doch da er inzwischen drauf und dran war, zum Zugpferd unter den Vertrieblern zu werden, wurde er wagemutig und verlangte 4.000 Mark netto im Monat. Er bekam sie. Als junger Mensch hatte er somit plötzlich „richtig viel Geld in der Tasche“ – zumindest auf dem Papier. „Die standen ja nur auf dem Deckel“, schildert Mai sein damaliges Dilemma. Aber nach acht Monaten war das Minus auf seinem Konto endlich ausgeglichen, nun verdiente er wirklich Geld mit seiner Arbeit. Und es wurde noch mehr: Nach 12 Monaten, als er auch noch den internen Weihnachtswettbewerb der Telefonverkäufer gewonnen hatte, ging er mit 24.000 Mark nach Hause – in einem Monat hatte er über 20.000 Mark brutto Umsatz gemacht.

Was er ein Jahr zuvor noch nicht gewusst hatte: er hatte nicht nur den Drang zur Selbstständigkeit, er hatte auch Talent zum Verkaufen. So, wie er sich gab, hielten seine Gesprächspartner am Telefon ihn für einen alten Hasen. Die Kunden merkten nicht, dass sie in Wirklichkeit mit einem knapp 20-Jährigen sprachen. „Das war mein Glück“, sagt Mai rückblickend. Verkaufen und Vertrieb war seine Welt und wurde zu seiner Welt. Aber was wurde da nun eigentlich an den Mann gebracht, was verkaufte er am Telefon? – Arbeitshandschuhe.

Die eigene Firma

Er wäre kein Freigeist gewesen, wenn er sich auf seinem Verkäufererfolg ausgeruht hätte. Mai tat den nächsten Schritt und gründete sein eigenes richtiges Unternehmen, machte sich unabhängig von seiner Vertriebsfirma. Statt für diese zu verkaufen, verkaufte er nun sein eigenes Sortiment, baute selbst eine Vertriebsstruktur auf. Er blieb dem bekannten Sortiment treu und war in Sachen Arbeitsschutz unterwegs. Wieder hatte er Glück: Anfang der 1990er Jahre, nach der Maueröffnung, herrschte Goldgräberstimmung in den neuen Bundesländern. Das Geschäft florierte, der Nachholbedarf an gewerblicher Ausstattung war riesig. „Da hat’s noch mal richtig gescheppert“, bringt Mai es salopp auf den Punkt und spielt auf die alten, oft Chrom-VI-belasteten Lederhandschuhe an, die weit verbreitet waren.

Er sieht sich „auf der Sonnenseite des Lebens“, wie er sagt, baute sein erstes Haus, vergrößerte seine Firma. Aber Mai hat auch Neues ausprobiert – und sich ebensowenig gescheut, Fehlentscheidungen rückgängig zu machen. Vor rund 15 Jahren hatte er einen eigenen Kräuterlikör auf den Markt gebracht. Schökel Dökel hieß das Produkt, woran eine Schnapslaune nicht ganz unschuldig war. Der Schnaps wurde palettenweise produziert, war im Handel gelistet – aber wurde letztlich zum Geldgrab. „Bei den Kräuterlikören war ich der fünfunddreißigste“, erzählt Mai. Erfolg wäre nur mit immensem Marketingaufwand zu erreichen gewesen. Bevor das Unterfangen vollends zur Geldverbrennugsmaschine wurde, zog Mai die Reißleine. Das Produkt wurde eingestellt.

„Die Leute lachen, aber ich arbeite noch mit Karteikarten“

Aber wenn er etwas macht, dann auch mit vollem Einsatz: Als er das alleinige Vertriebsrecht für eine bestimmte Handschuhmarke in Deutschland bekam, ließ er sich das Markenlogo auf den Unterarm tätowieren. Marketing kann er: Im auffälligen Auto in Superheldenerscheinung wurde er selbst zum Werbeträger für das Produkt oder ließ darin Mallorca-Stars auf die Bühne fahren. Sogar passende Autogrammkarten ließ er sich dazu machen – nachdem er auf der Autobahntankstelle angesprochen wurde, wer er denn sei. „Ja, wer war ich denn? Niemand!“, lacht er und vermittelt damit die Ambivalenz, in der er sich bewegt: Es gelingt ihm mühelos, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und andere Menschen zu begeistern – aber er gibt sich dabei bodenständig. Das Produkt, für das er so warb, wird in Deutschland nicht mehr angeboten. Mai zeigte auch hier Konsequenz und stellte den Vertrieb ein, als sein Handelspartner die Bedingungen der Zusammenarbeit ändern wollte. Der Klein Heidorner schätzt Kontinuität: Wenn etwas funktioniere, dann sträube er sich, es zu ändern. Das gilt für seine Unternehmungen, aber auch für liebgewonnene Gewohnheiten: „Die Leute lachen, aber ich arbeite noch mit Karteikarten“, erzählt Mai, das passe zu seinem alten Leben.

Alle dachten, es sei unmöglich

Derzeit baut Mai sein Sortiment weiter aus, mit einem medizinisch zugelassenen Arbeitshandschuh, der zurzeit viel Aufmerksamkeit erfährt. Als er von seiner neuen Produktfamilie berichtet, kommt wieder ganz der Verkäufer in ihm durch, er gerät ins Schwärmen, das ansteckend wirkt. Dass auf die Idee vorher noch niemand anders gekommen ist, das kann er manchmal selbst nicht glauben. Die Coronazeit war der Auslöser, sich neue Gedanken zu neuen Produkten zu machen – woraus nun seine „Multicare“-Produktlinie entstand. Corona war der Grund, aber nicht das Ziel: „Wir springen nicht auf den Zug auf und bauen einen coronakonformen Handschuh“, angedacht war etwas Universelleres, berichtet er von der Produktentwicklung. Ein wenig Glück kam wieder zu Hilfe: Als Testimonial für Mai fungiert Ralf Blume, berühmt geworden als Physiotherapeut bei Hannover 96, Mai und Blume kennen sich seit langem. „Habt ihr auch einen medizinischen Handschuh?“, lautete daraufhin die Frage, die ein Großkunde stellte. „Da hat es klick gemacht“, sagt Mai. Er begann, sich um eine Medizinzulassung zu kümmern.

In der Branche habe er gespiegelt bekommen, dass das aussichtslos wäre: „Du hast doch ’ne Macke, die Zertifizierung bekommst du nie“, habe es geheißen. Wenig später hieß es: „Wie hast du das denn geschafft?“ Letztlich hat er das Zulassungsverfahren einfach mit Akribie durchlaufen und alle Anforderungen erfüllt. Die schwierigste Hürde, das medizinische Zulassungsverfahren, war genommen, doch nun machten die gestörten Handelsrouten Probleme. Lieferketten sind unterbrochen, Lager leeren sich, Produkte werden einem aus den Händen gerissen. „Wie früher in der DDR mit Bananen“, schmunzelt Mai angesichts der weltwirtschaftlichen Turbolenzen. Vor zwei Jahren wäre das noch undenkbar gewesen, da waren die Lager voll. Produktionsstandort seiner Waren ist China, und diese kommen von dort mit dem Containerschiff. Doch dann war der Shanghaier Hafen blockiert. Mai wurde langsam nervös, musste Kunden vertrösten. Als die Ware mit einem halben Jahr Verspätung endlich auf dem Weg war, machten die Wasserstände am Hafen Antwerpen Probleme. Das Schiff konnte nicht anlegen. Schließlich konnte die Ladung in Hamburg gelöscht werden.

Familienmensch

Hat er Angst vor Nachahmern? Zumindest in Europa könne niemand einen solchen Handschuh mit medizinischer Zulassung auf den Markt bringen, ist er sich sicher. Die Idee der Kombination von Handschuh und Medizinprodukt hat er sich schützen lassen. Und selbst wenn jemand eine rechtliche Lücke fände – er ist das Original. Heute ist Mai derjenige, der die Anzeigen schaltet – für seine Produkte. „Ich bin froh, dass eine Zeitungsanzeige mein Leben über 33 Jahre so geprägt hat“, zieht er ein Fazit unter sein bisheriges Schaffen. „Hätte ich die nicht gelesen, wäre ich Tischler geblieben oder hätte umgeschult, weil ich genug davon gehabt hätte. Ob er nach wie vor in seiner Heimat verwurzelt ist, wollen wir noch wissen, denn die Sprache kommt kurz auch auf einen Hausneubau. Ja, am liebsten würde er in der Stadt ein neues Domizil bauen, für sich, seine Eltern und Kinder. Aber auch hier hat er eigene Vorstellungen, von denen er nicht abrückt. Ein Mischgebiet zu finden sei schwierig, denn er möchte Wohnen und Arbeiten an einem Ort verbinden. Ein reines Firmengelände komme nicht in Frage. Man hat keine Zweifel, dass Mai auch dafür eine Lösung finden wird. Mit ein bisschen Glück.

Dieses Quartiergespräch erschien zuerst in Auepost Nr. 24 (12/2022)

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Kommentare


  • Basti g. sagt:

    Es gibt immer Menschen die was machen was vorher noch kein anderer gemacht hat ! Verrückte welt

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