Wunstorfer Auepost
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„Nach 5 doofen Jahren kommen 5 tolle Jahre“

17.08.2022 • Daniel Schneider • Aufrufe: 1607

SPD und Grüne, diese Kombination schien in Wunstorf bislang gesetzt. Doch nach der Kommunalwahl 2021 und beginnenden Sondierungsgesprächen kam auf einmal die Nachricht: Die Grünen gehen lieber in die Opposition. Wie kam es dazu? Die Wunstorfer Grünen im Auepost-Quartiergespräch.

17.08.2022
Daniel Schneider
Aufrufe: 1607
Die Grünen

Was war da los? Warum geben die Grünen in Wunstorf auf einmal den „Christian Lindner“? Nach Jahren der Zusammenarbeit erteilten die Grünen der SPD eine Absage für die Bildung einer erneuten Mehrheitsgruppe im Stadtrat. Wir haben Sarah Sheikh-Rezai und Dustin Meschenmoser zum Auepost-Quartiergespräch eingeladen, um etwas über die Hintergründe zu erfahren. Denn die Spekulationen schossen schnell ins Kraut: Gab es persönlichen Gnatsch hinter den Kulissen? Sorgt der Generationswechsel unter den Kommunalpolitikern für neue Präferenzen? Was am Thema Klimaschutz war so strittig, dass es die gesamten Gespräche zum Platzen bringen konnte? Es wirkte wie ein Anachronismus – während sich auf Bundesebene die erste Ampelkoalition in der Geschichte der Bundesrepublik erfolgreich formte, schlüpften die Wunstorfer Grünen in die Rolle der FDP mit dem berühmten Zitat des Vorsitzenden: dass es besser ist, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. In Wunstorf, wo Rot-Grün quasi schon zur festen Einrichtung gehörte und die Ampel in den vergangenen fünf Jahren im Stadtrat nicht unerfolgreich war, entschieden sich die Grünen bewusst für die Opposition.

Es lag nicht nur am Klimaschutz

Das Ausscheren der Grünen aus den Gesprächen zur Bildung einer erneuten Mehrheitsgruppe mit der SPD war daher für viele eine Überraschung. Ein Scheitern der Gespräche zwischen Rot und Grün schien so wahrscheinlich wie der Bau eines Parkdecks am Nordwall – auch für die Beteiligten selbst. „Wenn Sie mich am Wahlabend gefragt hätten: Klar“, beschreibt Sheikh-Rezai die Stimmung zugunsten der rot-grünen Gruppenbildung. Die Ausgangssituation, nun auch noch mit einem SPD-geführten Rathaus, schien prädestiniert für ein erneutes Zusammengehen. Stattdessen kam die Absage dem berühmten vielzitierten Paukenschlag gleich.

Auepost 22Dieser Artikel stammt aus dem Auepost-Magazin Nr. 22 (04/2022) und wurde dort zuerst im April 2022 veröffentlicht.

Es ergab sich der Eindruck, dass es vor allem am Kernthema der Grünen gescheitert war – dem Klimaschutz. Dem widersprechen Meschenmoser und Sheikh-Rezai jedoch: „Es war nicht ausschließlich nur Klima“, sagt Meschenmoser. Aber es lag auch daran: „Bei mir ist schon der Eindruck entstanden, dass immer noch viele überhaupt nicht begreifen, wie dringlich das ist, welche Konsequenzen das haben wird“, sagt Sheikh-Rezai, ohne es allein auf die SPD-Fraktion zu beziehen. Beim Thema Klima hinge alles miteinander zusammen, und das müsse viel mehr in den Vordergrund gerückt werden. Ob das auf lokaler Ebene überhaupt geht, wollen wir wissen. Natürlich, lautet die Antwort. Auch in kleinen Kommunen wie Wunstorf müsse man jetzt die Weichen stellen. Vor allem müsste man auch einmal etwas Neues wagen, neue Lösungen einfach ausprobieren – statt zum Beispiel in Steinhude „fünf Jahre Studien machen, um festzustellen, dass dort zu viel Verkehr ist.“

„Keine feste Gruppe hätte Wunstorf gutgetan“

Hier springt der Widerspruch sofort ins Auge: Ideen haben die Grünen viele, doch diese kommen nun wohl kaum zum Zuge in der Oppositionsrolle. Wie erklärt man das den grünen Wählern? Es sei für sie eine Gewissensfrage gewesen: „Für ein Weiter-So stehen wir nicht“, lautet die entschiedene Antwort. Aber wie kann man den Hebel, etwas verändern zu können, gerade in diesen Zeiten freiwillig aus der Hand geben, nur um die eigenen Positionen deutlicher zu machen? „Die Wähler sind nicht dumm“, diese würden irgendwann feststellen, dass sich „trotz grüner Beteiligung nichts ändert“, lautet die einhellige Antwort. Es wird langfristig gedacht und gehofft, dass man sich bei der nächsten Wahl an diese Entscheidung erinnert. „Behaltet das Vertrauen“ ist die Bitte an die Wähler, dahingehend, dass sich irgendwann doch etwas bewegen lässt. Der Einwand, dass man den jetzigen Wählern nicht verständlich machen kann, dass sie ihre Stimme für die Opposition vergeben haben, verfängt nicht. Und wie geht man damit um, dass jetzt SPD und CDU Wunstorf zur Fahrradstadt machen? „Mir ist egal, wer’s macht. Wenn die das machen, ist es mir auch recht“, sagt Sheikh-Rezai ohne Trotz in der Stimme.

Sarah Sheikh-Rezai bildet aktuell gemeinsam mit Reinhard Hüttermann den Vorsitz der Wunstorfer Grünen. Dustin Meschenmoser errang bei der vorigen Kommunalwahl ein Stadtratsmandat und wurde in der Grünen-Fraktion zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen bildete er noch gemeinsam mit Sheikh-Rezai den Vorstand, stellte sich dann wegen des grünen Grundsatzes der Trennung von Amt und Mandat jedoch nicht erneut zur Vorstandswahl.

Der Klimaausschuss sei mit der SPD nicht zu machen gewesen, sagen die Grünen. Dabei war das kein Punkt, weswegen man die Verhandlungen insgesamt hätte scheitern lassen, wenn der Rest „gepasst“ hätte. Doch die Grünen wollten Garantien, dass Klimaschutz auch wirklich umgesetzt wird in Wunstorf. Dies hätten sie nicht erreichen können. Sheikh-Rezai und Meschenmoser lassen sich nicht festnageln auf ein konkretes Beispiel, was die SPD nicht zugestanden hat und was die Grünen als minimale Bedingung formuliert hätten – man bleibt vage. Die vertraulichen Sondierungsgespräche sind heilig, schmutzige Wäsche will man nicht waschen und keinen nachträglichen Schlagabtausch provozieren, bei dem sich gegenseitig vorgeworfen wird: „Ihr habt doch aber …“ Im Stadtrat soll man auch künftig miteinander auskommen.

„Der Preis war uns zu hoch“

Dass einzelne Punkte aber auch gar nicht für das Scheitern der Gespräche verantwortlich waren, sondern mehr dahintersteckt, ist spürbar. Es gebe verschiedene Parteikulturen, versuchen die beiden einen Erklärungsansatz. Die SPD träte bei Abstimmungen meist geschlossen auf – bei den Grünen herrsche mehr Diversität innerhalb der Fraktion. Vorgehaltene mangelnde Parteidisziplin als „Kündigungsgrund“? Fühlten sie sich nicht ernst genommen? „Es gab viele Punkte“, sagt Sheikh-Rezai diplomatisch. „Wenn alles in der vergangenen Legislaturperiode super gelaufen wäre, dann hätten wir die Zusammenarbeit fortgeführt“, wird Meschenmoser etwas konkreter und gibt damit einen Hinweis auf die grundlegende Ursache für die Absage an eine gemeinsame Ratsgruppe. „Wenn Wertschätzung und Respekt in einer Ehe fehlen, dann …“, springt Sheikh-Rezai ihm mit einem Gleichnis bei. Der Wille zur gemeinsamen Arbeit auf Augenhöhe habe aus Sicht der Grünen gefehlt. Man hätte sich dann „verkauft“ gefühlt. Ein Taktieren sei die Absage an die SPD aber nicht gewesen, um den Preis hochzutreiben. Die Entscheidung stand. Die Frage nach einem Zusammengehen mit der CDU stellte sich auch nicht – von dieser Seite seien keine Gesprächsangebote gekommen, so die Grünen.

Koalitionsklima-Krise

Gewünscht hatten sich die Grünen ohnehin einen gruppenfreien Rat – mit wechselnden Mehrheiten. „Keine feste Gruppe hätte Wunstorf gutgetan.“ Doch diese Rechnung ging nicht auf. Stattdessen vereinbarten bekanntermaßen CDU und SPD die Zusammenarbeit. „Es ist tragisch“, sagt Sheikh-Rezai dazu, sich hier verspekuliert zu haben und nun von eigenen Mehrheiten von vornherein abgeschnitten zu sein. „Wir hätten echt ein paar gute Dinge bewegen können gemeinsam mit der SPD. Der Vorteil sei nun aber, dass man „echte, grüne Anträge“ so einbringen könne, wie man möchte. Die anderen Parteien in Erklärungsnot bringen, den Finger in die Wunde legen – so lautet jetzt eine Strategie der Grünen im Stadtrat. „Wir sind auch enttäuscht und haben nicht Hurra geschrien nach der Entscheidung“, sagt Meschenmoser, der sein erstes politisches Mandat errungen hat und sich auf gestaltende Politik im Rat freute. „Wo wart ihr denn eigentlich?“ – das will man bei der nächsten Wahl aber nicht zu hören bekommen. Doch genau das könnte nun passieren. Auf das berühmte Zitat von Christian Lindner direkt angesprochen, müssen beide lachen, stimmen aber im Kern zu. „Ich kann ihn ein Stück weit verstehen – aber nur ein kleines Stück“, grinst Meschenmoser.

Interview: Achim Süß und Daniel Schneider; Text: Daniel Schneider
zuerst erschienen in Auepost Nr. 22, April 2022


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