Die Maskenpflicht wurde im Oktober 2020 nochmals deutlich ausgeweitet. Auch in der Wunstorfer Fußgängerzone besteht seitdem generelle Tragepflicht für einen Mund-Nasen-Schutz. Was das für diejenigen bedeutet, die vielleicht sogar in der Fußgängerzone wohnen oder hier ihren Arbeitsplatz haben, aber keine Maske tragen können, kann man sich nicht wirklich vorstellen. Denn was sich mancher wünscht – auf die lästige Gesichtsbedeckung verzichten zu können – ist im Alltag kein Vergnügen, wenn man wirklich ohne Maske unterwegs sein muss. Auf einen Selbstversuch verzichten wir aus rechtlichen Gründen, doch es ist jemand zu uns ins Quartier No. 6 gekommen, der sich mit diesem Problem täglich arrangieren muss: Sabrina Schlüter, Frisörmeisterin in Wunstorf.
Viele kennen sie noch unter ihrem Mädchennamen Tegge, so tritt sie auch weiterhin in den sozialen Netzwerken auf. Doch mit der Heirat vor zwei Jahren hat sie den Namen ihres Mannes angenommen. Ihren Salon „Haarmonie“ in der Langen Straße, kurz vor der Fußgängerzone neben C&A, betreibt sie mittlerweile 12 Jahre. Mehrmals hat sie nach einem Nachfolger gesucht, aus gesundheitlichen Gründen. Unter anderem eine Erbkrankheit macht ihr schon seit der Geburt immer wieder das Leben schwer – und der Gendefekt ist es auch, der jetzt dazu führt, dass sie von der Maskenpflicht befreit ist und beim Einkaufen oder in der Fußgängerzone keine Maske trägt.
„Durch die Fußgängerzone zu gehen ist eine Katastrophe“
Ihre Lunge leistet 30 Prozent weniger als bei gesunden Menschen, ihre Bronchien kämpfen immer wieder mit Entzündungen, Schlüter muss mehrmals täglich Cortison nehmen. Obwohl sie damit zur Corona-Risikogruppe zählt, verzichtet sie auf das Maskentragen und hat sich beim Hausarzt ein Attest ausstellen lassen, das sie offiziell von der Tragepflicht befreit. Beim Laufen kommt sie „schneller aus der Puste“, eine Maske würde die ohnehin erschwerte Atmung noch weiter behindern. Anstrengende Bewegungen kosten viel Kraft. Das führt bei Schlüter dann mitunter in einen Teufelskreis aus Panikattacken und Hyperventilation: Schon allein das unterbewusste Gefühl, schlecht Luft zu bekommen, führt zu falschem Atmen, man atmet zu viel Kohlendioxid aus, Panik setzt ein, und man atmet noch „falscher“. Schlüter ist damit aufgewachsen, sie kennt es nicht anders: „Man muss sich zwingen, langsam zu atmen, auch wenn man eigentlich mehr atmen will.“ Oft hatte die Mesmeroderin in der Vergangenheit zufällig Glück, wenn die Situation aus dem Ruder lief: Die Mitpassagierin im Bus, die ihr eine Tüte gegen das Hyperventilieren reichte, oder die Krankenschwester in der Flugzeugsitzreihe hinter ihr, die helfen konnte.
Ein Gesichtsvisier könnte sie theoretisch als Alternative tragen, aber damit wäre nicht viel gewonnen: In Niedersachsen ist ein solcher als Maskenersatz nicht erlaubt, und eine Schutzwirkung für andere wäre damit auch nicht wirklich gegeben. Letztlich würde sie auch damit den ein oder anderen Oberlehrer auf sich aufmerksam werden lassen. Denn die sind es, die ihr gerade das Leben zur Hölle machen. Tatsächlich gibt es erstaunlich viele Hilfspolizisten in der Stadt, es vergeht kein Tag, an dem die Frisörin nicht auf der Straße oder beim Einkaufen angesprochen wird – meist äußerst rüde. Kaum jemand fragt einfach nach, sondern es wird gleich losgepöbelt, erzählt Schlüter. „Die Maskenpflicht gilt auch für Sie!“ sei dabei noch die harmlosere Variante. Damit werden die Leute selbst zur Gefahr für Schlüter, denn diese bekommt die Anfeindungen im wahrsten Sinne des Wortes oft direkt ins Gesicht gesagt – ohne den nötigen Abstand. Dass nicht Schlüter in diesem Moment die Gefährderin ist, sondern sie selbst, kommt den Menschen dabei gar nicht in den Sinn, und erst recht nicht, dass Schlüter einen guten Grund hat, auf die Maske zu verzichten. Die Maskenpflicht gilt eben nicht für sie.
In die Wunstorfer Gegend war die heute 42-Jährige einst mit ihrem damaligen Freund gekommen, um eine Ausbildung zu machen. „Ich bin ein Wossi“, lacht Schlüter. In Obernkirchen begann sie schließlich ihre Ausbildung, nachdem sie früh Mutter geworden war. Privat mag Sabrina Schlüter Horrorfilme, ihre Hunde und Basteleien. Letzteres gerne in Pink. Diese Farbe dominiert in ihrem Leben und auch an ihrem Arbeitsplatz – Schlüter ist 50er-Jahre-Fan. Geheiratet hat sie im Petticoat. Die vor kurzem noch pink getönten langen Haare hat sie aktuell jedoch gegen kurzes Türkis getauscht … auch eine Nebenfolge ihrer Erkrankungen. „Ich bin ein bisschen anders, ein bisschen crazy“, sagt die gebürtige Uckermärkerin über sich selbst, doch beim Infektionsschutz nimmt sie es ganz genau. In ihrem Frisörsalon trägt sie Maske, wenn sie die Kunden bedient. Denn hier kommt sie anderen näher als 2 Meter, während sie unterwegs auf Abstand achten kann. „Ich muss meinen Körper nicht unnötig weiter schädigen“, antwortet sie auf die Frage, warum sie im Salon, aber nicht auf der Straße Mundschutz tragen könne. „Ich bin da nicht so aktiv in Bewegung und stehe die meiste Zeit.“
Dabei wollte Schlüter eigentlich längst nicht mehr im Salon arbeiten. Doch als die jüngste Geschäftsübergabe wieder platzte, weil die designierte Nachfolgerin auf einmal doch nicht mehr mit den Modalitäten einverstanden war – Schlüters Plan sah vor, ein Viertel der Kunden außerhalb des Salons mobil weiterzubetreuen und ihren Beruf nicht völlig aufzugeben –, beschloss sie, die Nachfolgersuche aufzugeben. „Dann mache ich eben weiter, bis ich hier rausgetragen werde.“ Nun hat sie stattdessen sogar eine Zweigstelle in Rodenberg eröffnet.
„Ich habe definitiv Respekt vor dem Virus, aber keine Angst“, sagt sie, und sie handelt auch entsprechend konsequent: Wenn jemand mit Attest als Kunde ohne Maske in ihren Laden kommt, dann schneidet sie ihm trotz eigenem höheren Risiko die Haare. Dabei trägt sie nur einfachen OP-Mundschutz. Den bekommen auch die Kunden angeboten, damit sie nicht unter einer dicken Alltagsmaske im Salon schwitzen müssen. Unterwegs achtet Schlüter immer stoisch auf ausreichend Abstand: „Solange der Abstand gegeben ist, ist für mich alles in Ordnung.“ Im Frisörsalon wechselt sich die Chefin mit ihrer Kollegin ab: eine arbeitet vormittags, die andere nachmittags, damit weniger Kunden gleichzeitig im Laden sind.
Die Kunden selbst verhielten sich vorbildlich, alle akzeptierten die Vorgaben. Nur im Frühjahr musste Schlüter gelegentlich noch diskutieren: „Ich habe die Gesetze nicht gemacht, haltet euch dran, denn ich habe auch keine Lust, dass mir der Laden geschlossen wird.“ Sich selbst zu Hause die Haare schneiden wollte dann letztlich doch niemand.
Bei der ersten Welle Anfang des Jahres war ihr eigener Salon wie alle anderen zunächst im Lockdown gewesen. Das war schlimm für Schlüter, die sagt: „Ich brauch meine Arbeit.“ Die angeordnete Schließung sei ihr vorgekommen wie „von tausend auf null“. Man habe nicht gewusst, was passiere, wie es weiterginge. Das habe sie damals depressiv bis aggressiv gemacht.
Dass sich viele heutzutage mit den Ellenbogen begrüßen, kann sie nebenbei auch nicht nachvollziehen. Zur Begrüßung oder Verabschiedung bevorzugt sie selbst die „Ghettofaust“ – denn dass sich die Leute nun ausgerechnet oft mit den Armbeugen verabschieden, in die sie vorher geniest haben, das ist auch so etwas, wo sie am Verhalten der Gesellschaft zweifelt.
„Und wo ist Ihre Maske?“
Die Anfeindungen setzen Schlüter zu, aber sie lässt sich auch nichts gefallen – und gibt Contra: „Quatsch mich nicht doof von der Seite an“ oder „Bist du von der Stasi oder vom FBI?“ gehören zum Standardrepertoire. Dabei zeigt sie ihr Attest, ausgestellt von einer seriösen Wunstorfer Hausarztpraxis, gerne jedem, der nett fragt. Neulich ist sie jedoch innerlich geplatzt und hat sich den emotionalen Frust von der Seele geredet … noch im Auto auf dem Supermarktparkplatz, nachdem sie beim Einkaufen wieder einmal beschimpft worden war. Was sie eigentlich für sich selbst in ihr Smartphone sprach, stellte sie später in die sozialen Netzwerke ein, nachdem ihre Tochter sie dazu überredet hatte.
„Man wird halt permanent angefeindet und wird selbst aggressiv, weil man es irgendwann nicht mehr erträgt“, sagt sie. Dabei halte sie sich an alle Regeln. Zwischenzeitlich hat sie schon überlegt, sich eine Maske aus Wäschenetz zu schneidern, die mit weitmaschigem Stoff zwar genauso gut „filtern“ würde wie keine Maske, aber sie wenigstens auf den ersten Blick nicht wie eine Maskenverweigerin aussehen lassen würde. Aber die Ausgrenzung von Risikogruppen auch noch aktiv selbst befördern, indem man sich unsichtbar mache, das könne es nicht sein. Das Direkte, das Nicht-Verstecken liegt tief in Schlüters Wesen. Früher habe sie sich oft verstellt, das tue sie heute nicht mehr, erzählt sie – und es gehe ihr damit seelisch viel besser. „Ich sage, was ich denke.“ Wenn jemand mit ihrer Art nicht klarkomme, dann sei das nun eben so.
Auch wenn sie eine starke Persönlichkeit ist, sind es die vielen kleinen Nadelstiche, die an den Nerven zehren. Am meisten zu schaffen macht ihr die Behandlung durch das Personal in manchen Geschäften. Die Gefahr, dass Läden behördlich geschlossen werden, weil Maskenlose hereingelassen werden, besteht natürlich nicht. Aber mancher Chef hat dennoch Angst vor der Schließung, falls sich das Personal anstecken sollte – und verwehrt Attestinhabern daher vorsorglich den Zutritt ganz. Mittlerweile erkundigt sie sich vorher, ob sie ein Geschäft ohne Maske betreten darf. Einmal bekam sie dabei zu hören: „Wenn Sie keinen Mundschutz tragen, werden Sie von der Gesellschaft eben ausgeschlossen.“ Jeder neue Laden bedeutet Stress: In einem Laden kann es für sie sofort „sehr hässlich“ werden, im nächsten wiederum sagt der Händler „Natürlich dürfen Sie hier rein“.
„Jeden Tag bin ich am Heulen“
Manchmal erfährt Schlüter aber auch von Bekannten, dass hinter ihrem Rücken über sie gelästert wird: „Ach, guck mal an, die Frau Frisörin trägt auch keine Maske“, heißt es dann. Aber Schlüter kennt auch positive Beispiele. In vielen Läden ist sie auch mit Attest weiterhin gerne gesehen, und in einem Geschäft wurde sie sogar schon einmal vom Inhaber in Schutz genommen, als andere Kunden, „die meinten, ihren Beruf verfehlt zu haben“, sie wieder behelligten. Interessanterweise seien es weder die Jüngeren noch die älteren Generationen, sondern eher „die Mittelklasse“, die sich zum Coronakontrolleur berufen fühle.
Inzwischen hat Schlüter auf ihre ganz eigene Art Maßnahmen ergriffen und sich ein auffälliges, selbstverständlich rosafarbenes T-Shirt zugelegt, das sie nun beim Einkaufen trägt. Grammatikalisch etwas lockerer – ganz auf die pöbelnde Klientel zugeschnitten – ist darauf in dicken weißen Buchstaben zu lesen: „ICH HABE EINEN ATTEST!!“
Interview/Text: Daniel Schneider
Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost #14 (12/2020)
Ich kenne Frau Schlüter schon jahrelang, da ich Kundin war. Gehe da nicht mehr hin, da mir das bei Ihr ohne Maske zu riskant ist — woher weiß ich denn das die Frau Coronafrei ist? Ich bin selber Lungenkrank COPD und außerdem chronisch krank. Ich trage trotzdem Maske um mich und Andere zu schützen! Da ich weiß wie schwer es ist Luft zu bekommen, frage ich mich wie sie dann bei soviel Luftnot ohne Punkt und Komma labern kann und das kann sie, das man am liebsten die Ohren zu machen will!
Habe leider dieselben Erfahrungen machen „dürfen“! Aber was will man auch von Menschen erwarten die meistens selbst KEINE körperlichen Beschwerden haben. Damit zeigen diese Personen nur ganz deutlich dass sie intellektuelle Tiefflieger sind. Darum, Frau Schlüter, bitte nicht unterkriegen lassen, Contra geben und am wichtigsten: Bitte bleiben Sie gesund und munter!! Lieben Gruß