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„Wir sind für den Busch gemacht“

14.04.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 982

Warum sich Schwangere heutzutage kaum noch trauen, sich gut zu fühlen, und was bei Klinikgeburten noch besser werden muss: Hebamme Ina Mailänder bei den Auepost-Quartiergesprächen …

14.04.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 982

Zu Gast bei den Auepost-Quartiergesprächen: Ina Mailänder, Hebamme in Wunstorf. Sie rät nicht generell zur Hausgeburt, aber dazu, den natürlich gegebenen Fähigkeiten zu vertrauen und eigene Entscheidungen zu treffen.

Ina Mailänder

Hebamme Ina Mailänder | Foto: Mirko Baschetti

In Wunstorf ist es noch relativ gut möglich, eine Hebamme zu finden, wenn Nachwuchs naht. Knapp 10 Hebammen gibt es in Wunstorf. Eine von ihnen sitzt gerade im Auepost-Hauptquartier, während am Fenster Kinderwagen vorbeigeschoben werden – wie zur Bestätigung der hiesigen guten Versorgung. Doch gerade Schwangere, die nicht nur ein ungeborenes Kind, sondern auch den Gedanken an eine Hausgeburt mit sich tragen, haben es zunehmend schwerer, eine entsprechende Hebamme ausfindig zu machen.

Eine Hebammenpflicht gibt es nur im Krankenhaus, seit 1983 durchgesetzt wurde, dass für Geburten grundsätzlich Hebammen und nicht Ärzte zuständig sind. Eine Hausgeburt ist prinzipiell auch ohne fachkundige Begleitung erlaubt – solange alles gut geht. Dass alles gut geht, das ist Ina Mailänders Job. Die 55-Jährige betreut die Schwangeren vor, während und nach der Geburt – auch als Hausgeburt. Sie kam der Liebe wegen nach Wunstorf, die Tochter wuchs hier auf. Auf ihren Berufswunsch sei sie durchs Fernsehen gekommen, als sie eine Reportage über Geburtshilfe gesehen habe. „Bei einer Geburt dabei zu sein hat mich wahnsinnig fasziniert“, sagt sie. 1990 hat sie ihre Ausbildung beendet. Etwa 2000 Schwangere hat Mailänder bislang schon betreut und 260 Geburten begleitet, davon waren ca. 100 Hausgeburten. Die jüngste Schwangere war 14 Jahre alt, die älteste 50.

Hausgeburt oder Krankenhaus

Bei der Frage, ob es eine Hausgeburt werden soll oder nicht, gilt die Umkehrung eines ökonomischen Grundprinzips, berichtet Mailänder: Das Angebot regelt die Nachfrage. Je mehr Hebammen für Hausgeburten zur Verfügung stünden, desto mehr würde diese Möglichkeit von den Schwangeren auch in Anspruch genommen werden. Ist die Wunschhebamme nur schwer zu bekommen, entscheiden sich Schwangere eher für die Klinik.

Jede Seite habe Vor- und Nachteile. In Kliniken sei die Interventionsrate höher, es würde schneller in den natürlichen Geburtsvorgang eingegriffen, bei der Hausgeburt sei dafür keine schnelle Hilfe bei Notfällen gegeben. Im Krankenhaus würde jedoch oft nicht erst bei Notfällen, sondern schon bei Verzögerungen interveniert, z. B. ein Wehentropf angehängt. Dabei sei eine Geburt ein Prozess, der sich selbst erhält – und wehenauslösende Mittel ein massiver Eingriff in den natürlichen Geburtsablauf, sagt die Hebamme. Zu oft würde das Physiologische als etwas Pathologisches wahrgenommen. Eine Hausgeburt ermögliche es, die Geburt individueller und im eigenen Tempo zu erleben – und so etwa auch die frühe Phase der Geburt, bei der man sonst unterwegs ins Krankenhaus wäre.

Mailänder übernimmt keine Hausgeburten, wenn die Schwangere an Diabetes oder Bluthochdruck leidet – oder eine Beckenendlage besteht, das Baby also „falsch herum“, mit dem Kopf nach oben liegt. Auch ein vorangegangener Kaiserschnitt ist ein relatives Ausschlusskriterium, da vernarbtes Gewebe unter den Kontraktionen der Wehen leichter aufreißen und es zu Blutungen kommen kann.

Für Notfälle gewappnet

Es gibt Geburtssituationen, in denen auch eine Hebamme Angst ums Kind habe, doch dann übernimmt der professionelle kühle Kopf: Wie bei Rettungskräften liefen die Handgriffe dann mechanisch ab. Für kleine Notfälle ist sie ausgestattet, hat Beatmungsgerät, Dopplersonographie und Wehenschreiber an Bord und kann die Blutwerte bestimmen.

Mailänder bemüht sich, die Hausgeburt zu ermöglichen. Aber versprechen, dass eine begonnene Hausgeburt auf jeden Fall auch eine bleibt, kann sie nicht. Solange es Mutter und Kind gut gehe, spiele der Zeitfaktor nicht so eine große Rolle, sagt Mailänder. Bei z. B. Blutungen bliebe jedoch nicht viel Zeit. Im Zweifel lässt sie die Schwangere daher ins Krankenhaus verlegen, dann wird ein Rettungswagen hinzugerufen und die nächste Klinik angefahren. Die Sorge, dass Frauen als „Spontanklinikgeburt“ nicht gut behandelt würden, weil sie von einer Hausgeburt in die Klinik kämen, sei unbegründet. Bei Verlegungen habe sie noch nie schlechte Erfahrungen gemacht.

Oh, du bist aber mutig!

Beim respektvollen Umgang gegenüber Schwangeren hätten Kliniken aber noch Nachholbedarf. Es ist ein sehr intimer Bereich, und die Schwangeren haben keine große Wahl unter der Geburt. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und anderen ausgeliefert zu sein, kann traumatisierend sein. Das Bewusstsein, dass Schwangere auf das Personal vertrauen müssen, muss weiter wachsen. Frauen können hervorragende Geburten in Kliniken haben, wenn sie respektvoll behandelt würden, sagt Mailänder.

Sie mache gerne Hausgeburten, wenn die Frau sich bereits eine wünschen würde. Das seien die besten Voraussetzungen. Wenn sie den Eindruck bekommt, dass sie eine gesunde Frau vor sich hat, die ein gesundes Kind bekommt, dann rät sie nicht ab. Sie überzeugt aber auch niemanden zu einer Hausgeburt, so wie sie auch niemanden zur Geburt im Krankenhaus ermutigt. Sie unterstützt stattdessen dabei, sich eine eigene Entscheidung zuzutrauen.

„Oh, du bist aber mutig“, bekämen Schwangere aus ihrem eigenen Umfeld heute eigentlich immer zu hören, wenn sie sich für eine Hausgeburt entscheiden. Dabei seien wir „für den Busch gemacht“, sagt Mailänder, und beobachtet, dass das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten heutzutage abnehme. Werdende Mütter würden jeden einzelnen Aspekt im Internet bis ins Kleinste ausrecherchieren und wüssten am Ende gar nicht mehr, worauf sie sich verlassen sollten. Dies verunsichere zutiefst. Wo früher Schwestern, Tanten, Mütter gewesen wären, sei es heute das Internet, das zu Rate gezogen wird. Doch die vielen Informationen könne man nicht richtig einordnen, das führe zu Unsicherheit. Letztlich ginge der Instinkt verloren, und Vertrauen würde nicht mehr gelehrt. Das simpelste „Mir geht es gut“ trauen sich viele nicht mehr zu sagen. Seit etwa zwei Generationen würden die Partner aktiv in die Geburt miteinbezogen, und die Ängste der werdenden Väter würden auch von der Schwangeren berücksichtigt werden – was die Schwangeren wiederum beeinflusse.

Gerade Kliniken böten oft keinen Raum dafür, sich selbst als kompetent wahrzunehmen. Es sei zu beklagen, dass die eigene Verantwortung abgegeben werde, dass geglaubt würde, mit der Medizin könne man alles regeln. In gewisser Weise habe sich die Medizin damit zu einer Art Ersatzreligion entwickelt. Es müsse auch nicht immer ausschließlich der Ultraschall sein zur Diagnostik, haptische Untersuchungen seien auch wichtig. Ihr Rat lautet daher, auf sich und die Natur zu hören. Man dürfe darauf vertrauen, dass es funktioniert. Biologisch betrachtet könnten Frauen eine Geburt ganz allein bewältigen.

Die Versicherungsprämien sind nicht deshalb so hoch, weil es so gefährlich wäre

Die Hebammenausbildung ändert sich gerade substanziell. Seit diesem Jahr ist die Ausbildung in Deutschland auch als duales Studium angelegt, der Hebammenberuf wird akademisiert. Doch de facto haben schon länger fast alle Hebammen Abitur. Langfristig soll der Beruf wie in anderen europäischen Ländern ein Studium sein. Doch schon heute haben Hebammen regelmäßige Fortbildungen, um stets auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zu sein. Sexualität, Frauenleben, das müsse man schon irgendwie „drinhaben“, um eine gute Hebamme sein zu können, sagt Mailänder. Viele Kolleginnen seien mit dem Beruf verheiratet, hätten hohe Ansprüche an sich und ihre Arbeit. Was in früheren Zeiten ein Merkmal von Lehrerinnen war, ist heutzutage noch immer eines der Hebammen: Viele sind unverheiratete Singles.

„Viele sind mit dem Beruf verheiratet“ Ina Mailänder

Es gibt viele Formen der Arbeit. Mailänder selbst arbeitet als freie Hebamme, aber sie könnte auch als Beleghebamme ins Krankenhaus gehen, Kurse geben oder an der Hebammenschule unterrichten. Andere Hebammen bündeln auch ihre Kapazitäten, seit den 90er Jahren sind Geburtshäuser populär geworden, in denen mehrere Hebammen gemeinsam arbeiten. Mailänder schätzt ihre Eigenständigkeit, agiert aber auch mit einer Kollegin im Team, in welchem man sich bei Hausgeburten gegenseitig unterstützt und berät.

Jede Hebamme hat ihr Spezialgebiet, bei Mailänder ist es z. B. Taping. Für Akupunktur oder Homöopathie wäre man bei ihr wiederum an der falschen Adresse. Zwei Geburten pro Monat begleitet sie, dazu kommen fünf nichtgeburtliche Betreuungen. Sie arbeitet zehn Monate im Jahr, einen Monat davon ohne Geburtshilfe. Zwei Monate sind für Urlaub reserviert. Kolleginnen, die als Hebamme in Kliniken arbeiteten, würden oft ächzen, dass dort zu betriebswirtschaftlich gedacht würde. Es herrsche auf Geburtsstationen zwar ein gutes Arbeitsklima, aber es gebe auch eine enge Taktung.

Erstgebärende sind anstrengender

Mailänder gehört nicht zu den Hebammen, die nur schlecht über die Runden kommen, aber auch sie sei natürlich von den horrenden Berufshaftpflicht-Versicherungsprämien betroffen, erzählt sie uns. Diese seien so hoch, weil die Gruppe der Versicherten überschaubar sei – die möglichen Folgekosten im Versicherungsfalle dafür exorbitant. Wenn z. B. durch einen Fehler der Hebamme das Neugeborene einen Schaden erleidet und ein Leben lang versorgt werden muss. In den 1970er Jahren wären es oft auch noch niedergelassene Ärzte gewesen, die Geburtshilfe geleistet hätten, doch die steigenden Versicherungsprämien tat sich irgendwann niemand mehr an.

Am liebsten sind Hebammen die unkomplizierten Zweitgebärenden, sagt Mailänder verschmitzt, doch auch sie ist natürlich auf lange Geburten eingestellt: Allerdings nur für maximal 24 Stunden, danach übernimmt eine Kollegin. Eine Hebamme muss jederzeit einen klaren Kopf haben. Paare wünschten sich Verbindlichkeit, auch in der Planung, doch oft kämen Anfragen zu früh. Denn ob sie zum Geburtstermin noch Kapazitäten frei hat, weiß Mailänder oft nicht mit Bestimmtheit. Daher kann es auch noch klappen, sie als Hebamme zu bekommen, wenn man sich 3 Wochen vor dem Geburtstermin bei ihr meldet.


Interview: Mirko Baschetti/Daniel Schneider; Text: Daniel Schneider
Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost 01/2020

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