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„Wunstorf ist eine Hochburg für Streicher“

13.02.2022 • Daniel Schneider • Aufrufe: 2249

Hätte er einst den Einstieg in die Musik nicht wiedergefunden – Wunstorf würde heute wohl etwas fehlen im musikalischen Bereich, vor allem an den Grundschulen. Hier ist Albrecht Drude Pionier beim klassen- und instrumentenübergreifenden Lehren von Streichinstrumenten. Auch privat ist er an seinem Wohnort Pionier – wobei die zweite Erstlingstat nur entfernt etwas mit Musik zu tun hat. Musiklehrer Albrecht Drude im Auepost-Quartiergespräch.

13.02.2022
Daniel Schneider
Aufrufe: 2249
Albrecht Drude
Albrecht Drude | Foto: Mirko Baschetti

Seit Mitte der 1980er Jahre hat Wunstorf eine eigene Musikschule – zuvor teilte man sich mit Seelze, Garbsen und Neustadt diese Institution. Das Haus residiert im Ostflügel des Hölty-Gymnasium-Gebäudes – ehemaligen Hausmeisterwohnungen. Einer der Lehrer an der Wunstorfer Musikschule ist Albrecht Drude.

Der gebürtige Hannoveraner zog der Arbeit hinterher nach Wunstorf – und später nach Luthe. 1991 kam er zunächst nach Wunstorf, nachdem er in Hannover Musikpädagogik und in Hamburg Kulturmanagement studiert hatte, um hier Geige zu unterrichten.

Selbst mit dem Instrument begonnen hat der heute 54-Jährige mit acht Jahren. Doch mit der Pubertät war es erst einmal vorbei – dem sturen Nur-nach-Noten-Spielen klassischer Stücke bei seiner Lehrerin konnte er als 14-Jähriger nicht mehr viel abgewinnen. An dieser Stelle hätte das Quartiergespräch daher schon vorbei sein können, denn: „Wer einmal aufhört, der hört halt auf“, sagt der Musikpädagoge ganz nüchtern. Es sei eher die Ausnahme, dass man später noch einmal mit demselben Instrument anfange. Doch Drude fand über den Jazz wieder zurück zur Violine und spielte ohne Unterricht weiter. Er erhielt dann sogar die Möglichkeit, in einer Erwachsenenband Hot Jazz zu spielen – „die hatten Auftritte“, erzählt Drude auch rückblickend noch mit einem Funkeln in den Augen – und er als Jugendlicher plötzlich Abendgagen von 100 D-Mark.

Wer einmal aufhört, der hört halt auf

Doch irgendwann musste er sich eingestehen: „Mist, ich kann nicht alles spielen, was ich denken kann.“ So kam er als 17-Jähriger wieder zum Geigenunterricht. Den musikalischen Nischen ist er bis heute jedoch treu geblieben: Klezmer, Irish Folk, aber auch Blues und Swing zählen zu seinen Favoriten. Auch die Bandmusik hat er nie aufgegeben, aktuell spielt er in einer Irish-Folk-Formation.

Begründer der Streicherklasse

Inzwischen bringt Drude längst anderen das Geigespielen bei – ganz klassisch in der Musikschule, aber auch manchen Schülern in der Albert-Schweitzer-Grundschule. Die ist sein Steckenpferd, wie er sagt. Denn im Grundschulumfeld sind dezidierte Musikklassen eher ungewöhnlich. Dabei sollte mit dem Erlernen eines Streichinstrumentes möglichst in diesem Alter begonnen werden. In der 5. Klasse sei es dafür eigentlich schon zu spät, sagt Drude, z. B. Geige ließe sich dann nur noch schwerlich lernen. Der ideale Einstieg für das Geigespielen sei zwischen fünf und acht Jahren. Ältere beispielsweise lernten zu Beginn zwar deutlich schneller, gerieten dann aber irgendwann an Grenzen, die Kinder nicht kennen. Deswegen beginnt die Streicherklasse bereits ab der 1. Klasse in der Grundschule. Drude und seine Musikschulkollegen werben daher bereits in den Kindergärten dafür.

Konzipiert ist die Streicherklasse wie normaler Musikunterricht: Mit der Besonderheit, dass alle Schüler und verschiedene Instrumente in Klassenstärke über die gesamte Grundschulzeit gemeinsam unterrichtet werden – und damit quasi zugleich ein halbes Streichorchester bilden. Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass bekommen die Kinder der Streicherklasse beigebracht. „Das kann man sich eigentlich kaum vorstellen“, sagt Drude, sichtlich begeistert. Die Schwierigkeit liege einerseits in der Fülle der Instrumente, die für sich genommen bereits als anspruchsvoll gelten – allein Geige lerne man sonst normalerweise im Einzelunterricht, erklärt der Musiklehrer. Das gemeinsame Lernen funktioniere nur, weil mehrere Lehrer gleichzeitig in der Klasse unterrichteten: ein „Hauptlehrer“, der koordiniert, und ein zweiter mit Assistenzfunktion, der umhergeht und z. B. Haltungsfehler beim einzelnen Schüler korrigiert. Ein Vorteil ist, dass der Musikunterricht dadurch viel günstiger wird als Einzelunterricht: Für zwei Stunden in der Woche durch zwei Lehrkräfte inklusive Instrumentenmiete zahlen die Eltern 31 Euro im Monat.

Einen Kontrabass kann man nicht tragen als Grundschüler

„Klasse“ ist dabei eigentlich der falsche Begriff, denn die Streicherklasse setzt sich aus Schülern unterschiedlicher Schulklassen zusammen. Es gibt keine Klasse, in der einfach alle Streicherschüler zusammengefasst werden. Das hat bildungspolitische Gründe, erklärt Drude: Das Kollegium hat Bedenken, dass andernfalls eine Art Eliteklasse innerhalb der Schule entstehen könnte, und die Eltern hätten im Falle einer festen Streicherklasse die Befürchtung, dass ihr Kind die Klasse verlassen müsste, wenn es das Interesse am Instrument verliere. Denn dass das Engagement der Schüler unterschiedlich ausfällt, zeigt sich vor allem im Corona-Lockdown im Frühjahr 2020: Ein Teil der Klasse übte zuhause fleißig weiter, der andere ließ das Instrument auch einmal in der Ecke stehen – obwohl sich Drude mit sechs Videos bemühte, die Klasse aus der Ferne zusammenzuhalten.

Der Musikunterricht für die einzelnen Klassen ist im Stundenplan koordiniert, so dass klassenübergreifendes Lernen möglich wird. Jedes Kind des entsprechenden Jahrgangs hat somit die Möglichkeit, zur Streicherklasse zu gehören. Hier liegt jedoch gleich die nächste Einschränkung, denn nicht in jedem Jahrgang findet die Streicherklasse statt: ob ein Kind bei der Einschulung die Chance dazu hat, hängt letztlich vom Zufall ab, ob es im „richtigen“ Jahrgang eingeschult wird. Denn die Streicherklasse bleibt im vierjährigen Turnus der Grundschule. Man munkelt, dass manche Eltern ihr Kind später einschulen lassen, damit es zur Streicherklasse gehören kann. Im Moment stellt der 3. Jahrgang die Streicherklasse, so dass erst im Schuljahr 2022/23 die nächste Streicherklasse neu startet. Der Grund liegt in den personellen, aber auch dinglichen Ressourcen: Die vorhandenen Instrumente reichen schlicht nur für eine Klasse, denn die Musikinstrumente werden von der Musikschule gestellt – und für die Kinder, die Kontrabass spielen, sogar doppelt: Das wiederum hat technische Gründe: das Instrument ist einfach zu schwer, als dass es ein Grundschüler zum Üben mit in die Schule bringen könnte. Deswegen hat es zu Hause und in der Schule jeweils ein eigenes Instrument. Ergänzend werden allerdings auch Streicher-AGs angeboten, so dass auch die anderen Jahrgänge Zugang zum frühen Musikunterricht bekommen.

Zu den begehrtesten Instrumenten der Streicherklasse zählt naturgemäß die Geige – doch Drude und seine Kollegin Ute Poschmann, die mit ihm die Streicherklasse unterrichtet, wissen auch von den Vorzügen von Bratsche und Kontrabass zu überzeugen. Bei der Entscheidung für das jeweils richtige Instrument helfen die Musiklehrer: „Wir entscheiden nicht, aber wir lenken“, sagt Drude. Viele Kinder kämen auch schon mit einer klaren Vorstellung, diesen würden sie niemals sagen „Du musst jetzt das oder das spielen“. Mit einer Ausnahme: beim Kontrabass. Hier schauen Drude und Poschmann ganz genau, wer die Kraft und vor allem die Ausdauer dafür mitbringt, stets eine Sonderrolle in der Streicherklasse einzunehmen, denn der Kontrabass ist äußert wichtig, spielt aber immer etwas anderes als der Rest der Gruppe. Bewerber gibt es aber stets genug für die zwei Kontrabassposten – tatsächlich ist das Nicht-Instrument-schleppen-Müssen ein Pluspunkt. Die Violine bleibt jedoch das „Top-Instrument“. Denn „Bratschen haben einen schlechten Ruf – völlig zu Unrecht“, betont Drude. Die Abneigung gegen die Bratsche entstehe durch die generelle Rolle im Orchester, mit Mittelstimme und wenig Melodie, doch dafür fehlte ihr „die quietschige E-Saite“ und sie könne auch in Bereiche vordringen, in denen sonst nur das größere Cello spiele, erzählt Drude.

Einen Wechsel des Instruments gibt es selten, aber es ist durchaus möglich: „Innerhalb der Streichinstrumente Bratsche, Cello und Geige kann man gut wechseln“, sagt Drude. Nur bei den Bassisten gelte: „Einmal Kontrabass, immer Kontrabass.“ Das sei etwas ganz anderes. Rektorin Sabine Tönsing, auch Musikerin, unterrichtet ebenfalls mit. Vier Streicherklassen gab es inzwischen schon, seit das Projekt vor 14 Jahren begann. Dass es die Albert-Schweitzer-Schule und keine andere Grundschule wurde, ist letztlich Zufall: Drude hatte an dieser Grundschule bereits seit Mitte der 1990er Jahre eine Musikwerkstatt für Zweitklässler angeboten. Denn von abstraktem Musikunterricht im Grundschulalter hält Drude nichts, er ist Praktiker: Noten- und Musiklehre vermittelte er „zum Anfassen“. Aktuell bilden 18 Streicher die Streicherklasse, das Maximum in der Vergangenheit waren bislang 30 Schüler. Ablehnen müssen hat man noch nie ein interessiertes Kind.

Die Wunstorfer Streicherklasse ist im Lande eine von nur zwei Projekten, die mit Grundschülern ab Klasse 1 beginnen. Inzwischen hat die Idee Kreise gezogen. Mit der zweiten Streicherklasse vor 9 Jahren war man auch Gründungsmitglied der Niedersächsischen Streicherklassentage, die in Bad Pyrmont begannen und vier Jahre später dann auch in Wunstorf stattfanden. Inzwischen treffen sich alle 2 Jahre bis zu 10 Streicherklassen und musizieren gemeinsam. Wie viele Streicherklassen es in Niedersachsen gibt, weiß übrigens niemand so genau. Das liegt auch an der Definition, was überhaupt als solche gilt. Muss der Kontrabass dabei sein? Zählt man AGs dazu?

Musikschule und Chöre

Viele Schüler wechseln nach der Grundschulzeit in den Unterricht der Musikschule. Die wäre aber auch ohne die Streicherklasse normalerweise gut ausgelastet: „Angebot und Nachfrage stimmen in Wunstorf“, beschreibt Drude die Situation. Anteil daran hätten auch viele seiner Kollegen, die auf hohem Niveau Streichinstrumente unterrichteten. Die Musikalität schwindet nicht, das Interesse an Musik sei ungebrochen in den Generationen. Auch abseits der Streichinstrumente ist das Angebot an der Musikschule groß, bei Blech- und Holzbläsern gibt es jedoch Lücken: Oboe, Fagott oder Horn lässt sich an der Musikschule nicht erlernen, auch wenn es Bestrebungen gibt, langfristig auch hierfür Unterricht anzubieten. Denn auch diese Instrumente werden etwa im überregional bekannten Musikschulorchester gebraucht. Welche Musikinstrumente gelernt werden können, bestimmt das Angebot, die Impulse setzt die Musikschulleitung. Mandoline wurde vor einiger Zeit aus dem Programm genommen, dafür kam Ukulele hinzu – und „schlug ein wie eine Bombe“.

Mit 18 wusste ich, dass ich Geigenlehrer werden will

Offenbar coronabedingt – die Instrumentenvorstellungstage konnten 2020 nicht stattfinden – fehlen Drude aktuell jedoch tatsächlich Geigenschüler: Für die normalen Abgänge im vergangenen Jahr – etwa junge Erwachsene, die wegziehen und sich daher abmelden – kamen nicht wie üblich neue Schüler nach. „Bei den anderen Streichinstrumenten, bei denen ebenfalls Plätze frei bleiben, ist es nicht ganz so auffällig, aber bei den Geigen signifikant“, erzählt Drude – er könnte daher noch weitere Schüler unterrichten. Lücken bestehen derzeit auch bei den Akkordeons, E-Gitarren und Klarinetten, beim Keyboard und beim Saxophon.

Mit 18 Jahren wusste Drude, dass er Geigenlehrer werden wollte. Doch er sah und sieht sich als Generalist, daher machte er nicht die Aufnahmeprüfung für das Fach Geige, sondern studierte Chor- und Ensembleleitung. Das prägt ihn ebenfalls bis heute, denn er leitet neben der Arbeit an der Musikschule zwei Laienchöre: einen Pop- und Gospel-Chor in Garbsen und einen klassischen Chor in Berenbostel. Auch die Grundschule Luthe profitiert von seiner Erfahrung: Hier singt er mit den Kindern im Spatzenchor und im Storchenchor – „beides eigentlich keine Singvögel“, merkt Drude lachend an.

Nach Luthe zog es Drude später auch privat. Geliebäugelt hatten Drude und seine Frau schon lange mit der Ortschaft, sogar in der hiesigen Kirche geheiratet, „weil sie so schön ist“, lange bevor sie dort Einwohner wurden: Luthe sei ein Dorf mit städtischen Möglichkeiten: „Außer einem Drogeriemarkt ist alles da.“ Es sei der perfekte Kompromiss zwischen Stadt und Land, sagt der Musikpädagoge.

Das Musiklehrerhaus

Vor 11 Jahren baute die Familie dort ein Haus – und zwar kein ganz normales. Es wurde ein Passivhaus, und gebaut wurde es zur Hälfte selbst: „So gut verdient man nicht als Musiklehrer“, erzählt der Wahl-Luther, deshalb sparte man viel über Eigenleistung. „Das war schon ein bisschen größenwahnsinnnig“, resümiert Drude, denn er sei schließlich Musiker und kein Handwerker. „Bodentiefe Fenster in Dreifachverglasung einzubauen war völlig verrückt“, erinnert er sich an die schweren Fenster, die schließlich mit einer improvisierten Seilwinde ihren Platz fanden. Die Hausbaufirma stellte Architektenleistung, Baumaterial, Einweiser und Kontakte zu den Gewerken für Spezialsachen. Doch das eigentliche Haus, den Dachstuhl ausgenommen, bauten sie selbst: Mit Styroporblöcken, die später mit Beton ausgegossen wurden, wurde das Haus fast wie Lego errichtet. Die reinen Baukosten lagen so unter 200.000 Euro. Nach anderthalb Jahren stand das Haus.

Wir bauen uns ein Passivhaus

Sparen war nicht der einzige Antrieb, obwohl man sich heute über 200 Euro Heizkosten freut – im Jahr. Denn Drude war schon im Umweltschutz aktiv, als an Fridays for Future noch nicht zu denken war. Als Jugendlicher ging er auf Gorleben-Demos. Daher war für ihn irgendwann klar: „Wir bauen uns ein Passivhaus.“ Das Haus verfügt über keine Heizkörper und keine Fußbodenheizung – nur über große Südfenster, eine Lüftungsanlage und einen einzigen Pellet-Ofen im Wohnzimmer. Das reicht, um das gesamte Haus zu wärmen. „Es könnte eigentlich längst Standard sein“, sagt er. Ein Passivhaus würde er immer wieder errichten – nur wahrscheinlich nicht mehr selbst.

Alle zwei Tage wird ein Sack Pellets hereingeschleppt, die Wärme verteilt sich durch Lüftungsschlitze in den Türen. Statt am Heizungsregler zu drehen, öffnet man einfach die Zimmertüren, wenn man es wärmer möchte – wer Privatsphäre bevorzugt, hat es kühler. Das führt manchmal noch immer zu Irritationen bei Freunden und Verwandten: Die Fenster im Winter öffnen ist tabu, und auch das Schwätzchen bei offener Haustür muss entfallen. Trotzdem herrsche bessere Luft im Innern, ohne zu frieren, beschreibt Drude das Passivhausgefühl. Manche Musikschüler können es selbst überprüfen: Einige Schüler aus Luthe unterrichtet Drude auch bei sich zuhause, damit sie nicht in die Kernstadt fahren müssen.

Interview/Text: Daniel Schneider
Dieses Quartiergespräch erschien zuerst in Auepost #15 (Januar 2021)

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Kommentare


  • Dieter sagt:

    Streichen?
    Halt ich für toll, allerdings sollten wichtige Sachen auch tatsächlich gestrichen werde.

    Zum Beispiel: 30% der Alimentationen für die Verwaltung streichen.
    30% der „Planstellen“ in den Verwaltungen streichen.

    Dienstwagen streichen und durch Fahrräder ersetzen.

    Und – ach – da gibts noch so vieles was auf Streichen wartet und ja, manchmal auch eine Bank.

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