Die „Genussmanufaktur“ und Bäckerei direkt am Kreisverkehr gewissermaßen an der Schnittstelle von Luthe, Wunstorf und Kolenfeld zu bauen, war marketingtechnisch ein cleverer Schachzug von Hanisch – vor allem, die Bezeichnung „am Hanisch-Kreisel“ gleich mit ans Gebäude zu schreiben. Damit hat man den vorher namenlosen Kreisverkehr direkt getauft – und neben Sölter- und Obi-Kreuzung oder Burger-King-Kreisel ist nun tatsächlich oft die Rede vom Hanisch-Kreisel, wenn es um diese Stelle im Wunstorfer Straßenverkehr geht. Das Risiko dabei: Wenn mal etwas passiert, dann ist man mit diesem Namen ebenfalls gleich überall in den Medien – und womöglich verbunden mit unschönen Bildern.
Doch auch beim zweiten Schwertransport ging alles gut, und auch in der Barne ist nichts passiert. Einen Tag zuvor, am 30. September, war bereits der erste Schwertransport dieser Art durch Wunstorf gerollt, völlig komplikationslos. Obwohl sich mancher nicht hatte vorstellen können, wie angesichts der derzeit vielen gesperrten Straßen zum Barneviertel nun dort auch noch 35-Meter-Betonstützen hintransportiert werden könnten, sah das Ganze für die Schwertransportcrew wie eine leichte Übung aus.
In der Folgenacht wiederholte sich das Procedere, die spektakulären Bilder von der Nacht auf den 1. Oktober waren wie geplant wieder zu beobachten. Und diesmal hatten die Schwertransportfahrer sogar noch mehr Routine – denn der exakt selbe Weg wurde zurückgelegt. Gegen 22.45 Uhr fuhr man von der Anschlussstelle Kolenfeld an der A2 ab, über die Landstraße bis zum schon genannten Kreisel und dann über die Feldwege an Sportplätzen und Schießständen vorbei direkt zur künftigen Sport- und Veranstaltungshalle an den Barneschulen.
Das war kein Zufall: Die Strecke, die die Transporte zu fahren hatten, war behördlich exakt vorgegeben. „Wir fahren dann nur dort“, unterstreicht Volker Friedel, der als Hilfspolizist auch für den Transport in der zweiten Nacht eingeteilt ist. Die Behörden gäben die genaue Route vor – und daran hätten sich die Transportunternehmen zu halten. Auch das Zeitfenster ist streng: Nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr durften die Transporter in Wunstorf rollen.
Aber was geschähe, wenn einmal ein Hindernis auf der vorab bestimmten Strecke auftaucht, so dass der Transport wirklich nicht mehr weiterfahren könne? Ob es dann Ausnahmen gibt, wollen wir wissen. Friedel verneint. Der Transport dürfe nicht einmal einen kleinen Umweg einfach selbst festlegen, alles außer der genehmigten Strecke sei tabu. Im Ernstfall müssten dann weitere Fahrzeuge hinzugerufen werden, die die Strecke wieder befahrbar machten, zum Beispiel durch Abmontieren von Verkehrszeichen oder durch Wegschneiden von Vegetation. Wenn alle Stricke reißen, dann bleibt der Transport längere Zeit an Ort und Stelle. Für die Beteiligten selbst ist das kein großes Problem – die Fahrer haben Betten in ihren Führerhäusern, und die Begleiter ebenfalls Schlafmöglichkeiten in ihren Begleitfahrzeugen. Im Grunde fahren diese deshalb so etwas wie einen Mini-Camper durch die Gegend.
Doch das alles wird in Wunstorf nicht nötig. Wie ein schwerfälliges, aber präzises Ballett wirken die Transporter, die die Betonträger durch die Nacht wandern lassen. In gemächlichem Tempo geht es über die Straßen und Wege, nur an drei Stellen wird es besonders langsam: Einmal am Hanisch-Kreisel und zweimal auf dem freien Feld, wo praktisch fast im rechten Winkel abgebogen werden muss. Das Geheimnis dabei sind die Drehgestelle, auf denen die Betonträger gefahren werden. Sie haben eine eigene Lenkung: Nicht nur der Fahrer eines Transporters kann auf diese Weise die Richtung vorgeben, sondern auch ein Begleiter, der per Fernsteuerung die mächtigen Auflieger bedient.
So geschieht es etwa auch auf den letzten Metern, als der erste der Transporter wieder rückwärts auf die Baustelle in der Barne fährt. Während Fahrer Björn im Führerhaus sitzen bleibt und den Rückwärtsgang einlegt, bedient Fahrer Horst das Fahrgestell am Transporterende.
Doch so routiniert das Ganze auch aussieht – Friedel hat auch schon echte Probleme erlebt. Er zückt sein Smartphone und zeigt ein Foto von einem Transport einer anderen Firma, der jüngst durch die Landschaft gerollt ist – ebenfalls auf schmalen Wirtschaftswegen. Dabei geriet er etwas ins Abschüssige, der Transporter kam in Schieflage – und kippte mitsamt der Ladung ins angrenzende Feld. Dem Fahrer geschah nichts, aber Transporter und ein riesiges Windkraftanlagenbauteil lagen seitlich auf dem Acker. „Auf sehr engen Wegen kann es schon mal Schwierigkeiten geben“, sagt der Hilfspolizist. Vor allem bei sehr großen zu transportierenden Gütern wie etwa Windradflügeln bestehe diese Gefahr, wenn ein Transport auch in der Breite groß sei.
Volker Friedel gehört zu den Hilfspolizisten, die den Transport begleiten. Während die regulären Begleittransportfahrer – erkennbar an den ausgeklappten Warntafeln auf dem Dach – den einzelnen Transportern zugeordnet sind und diesen unterstützend hinterherfahren, sichern die Hilfspolizeifahrzeuge die Strecke im Vorfeld und im Nachgang ab. So auch an diesem Dienstag des 2. Schwertransports, dem 1. Oktober 2024. Noch ehe die ersten Sattelschlepper am Horizont auftauchen, haben die Hilfspolizisten am Kreisverkehr am Kernstadteingang Position bezogen und sperren den Kreisverkehr und die unmittelbar angrenzende Strecke kurz darauf komplett für den Verkehr.
Ein Autofahrer, der in diesem Moment noch vom Hanisch-Parkplatz herunterfahren möchte, hat Pech – ein Hilfspolizeifahrzeug versperrt nun die Ausfahrt. Der Transportbegleiter steigt aus und informiert den Wartenden persönlich, wie lange er warten muss. „Es sind vier Stück, wir sind gleich durch, dann können Sie weiterfahren.“ Der Ton ist freundlich und trifft auf Verständnis. In der Tat dauert es keine zehn Minuten, bis die vier Schwertransporte den Kreisverkehr an der Bäckerei quasi als „Geisterfahrer“ genutzt haben und nun am Parkplatz vorbei in den Wirtschaftsweg zu den Feldern Richtung Kolenfeld und Gut Düendorf einbiegen.
Ganz am Ende des Transportes fährt Ulrike Molitor. Auch sie ist Hilfspolizistin und inzwischen schon 15 Jahre in diesem Geschäft. Seit 7 Jahren arbeitet sie für die Firma Regener, die den Transport nach Wunstorf begleitet. Ursprünglich war sie LKW-Fahrerin, erzählt sie der Auepost, doch nach einer Knieverletzung konnte sie diesen Beruf nicht mehr ausüben. Doch sie wollte beruflich auf den Straßen bleiben und gelangte auf diesem Wege zur Hilfspolizei. Unter den Fahrern in der Firma ist sie eine von nur zwei Frauen.
Gelassen steuert sie in dieser Nacht ihren Sprinter über die Wunstorfer Wege – das verlängerte Wochenende nach dem anstehenden Feiertag vor Augen. Tatsächlich steht der nächste Einsatz erst am folgenden Montag an. Molitor möchte nichts anderes machen, obwohl der Job manchmal durchaus gefährlich werden könne. Eine Autofahrerin sei einmal absichtlich direkt auf sie zugefahren, erzählt die Hilfspolizistin.
Das Verständnis für die Arbeit der Hilfspolizisten ist manchmal unterentwickelt, um es vorsichtig auszudrücken. Von anderen Verkehrsteilnehmern werden die Männer und Frauen, die die Schwertransporte absichern und ihnen freie Bahn verschaffen, bisweilen nicht ganz ernst genommen. Obwohl Hilfspolizisten im Straßenverkehr genau wie verbeamtete Polizisten hoheitliche Rechte haben, für die Dauer des Einsatzes wie Beamte handeln und den Verkehr regeln dürfen wie die normale Landespolizei, wird ihren Anweisungen manchmal nicht oder nur widerwillig gefolgt – weil jemand unbedingt noch vor dem Schwertransport vorankommen will oder sich von „den Bauarbeitern“ nichts sagen lassen möchte. Andere wiederum reagieren überfordert bei einem herannahenden Schwertransport. Das führt dann zu gefährlichen Situationen oder verzögert einfach unnötig den Schwertransport – und behindert damit auch den übrigen Verkehr länger als nötig.
Die Idee, die Landespolizei im Bereich Schwertransportbegleitung durch die Hilfspolizei zu entlasten, verkehrt sich in solchen Momenten ins Gegenteil: Dann muss im schlimmsten Fall die örtliche Polizei doch wieder hinzugerufen werden, um das Recht der Schwertransportbegleiter mit Blaulicht und notfalls weiteren Maßnahmen durchzusetzen – polizeiliche Kräfte sind damit dann doppelt vor Ort.
„Natürlich würde man uns ernster nehmen, wenn wir Blaulicht eingeschaltet hätten“
Volker Friedel
Blaulicht auf den eigenen Fahrzeugen würde sich deshalb auch Volker Friedel wünschen, denn die Hilfspolizei in Niedersachsen fährt nur mit gelbem Blinklicht. „Natürlich würde man uns ernster nehmen, wenn wir Blaulicht eingeschaltet hätten“, sagt Friedel. Doch die bundesdeutsche Straßenverkehrsordnung lässt das nicht zu – und die Hilfspolizei für Schwertransporte ist eine Besonderheit von Niedersachsen.
Für die Fahrer der Transporte, die in ganz Deutschland unterwegs sind, ist die Fahrt nach Wunstorf quasi ein Heimspiel: Die Firma Kording, die die über 30 Meter langen sogenannten Spannbetonbinder transportiert, hat ihren Sitz in Hespe in der Nähe von Stadthagen. Das SHG auf den Kennzeichen verrät die Regionalkompetenz. Die Begleitfahrzeuge von Regener kommen auch nicht von viel weiter her, sie sind in Nienburg stationiert. Sogar ein Ex-Wunstorfer ist an diesem Abend mit von der Partie: Willi Rachner ist Hagenburger und hat früher einige Jahre lang in der Wunstorfer Nordstraße gewohnt.
Während sich die Begleitfahrzeuge wie am Vorabend nun verabschieden und bereits ins verlängerte Wochenende fahren, ist die Fahrt für die Schwertransportfahrer noch nicht zu Ende: Erst am nächsten Morgen wird abgeladen. Das bedeutet: Ab in die Schlafkojen der Fahrzeuge. Die Barnestraße wird für eine Nacht zum erneuten Übernachtungsquartier für die Mitarbeiter.
Fahrerhaus, nicht Führerhaus.