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Lars Klingbeil im Wahlkampf: Untergehakt im Gegenwind

07.10.2022 • Achim Süß • Aufrufe: 800

Der Bundes-SPD-Chef in Wunstorf: Lars Klingbeil beim Marsch durch die Fußgängerzone – und im Interview der Auepost. Über Schlafstätten, Verantwortung und aufgegebene Piercings …

07.10.2022
Achim Süß
Aufrufe: 800
Lars Klingbeil mit Wiebke Osigus auf dem Wunstorfer Marktplatz | Foto: Achim Süß

Wunstorf (as). „Sagen Sie mir mal: Warum sollte ich überhaupt zur Wahl gehen?“ Der alte, weißhaarige Mann hat sein Fahrrad durch die Fußgängerzone geschoben – direkt auf den Stand der SPD zu. Dort steht am Donnerstagvormittag der erste Mann der Partei, mit Blumen und Wiebke Osigus an seiner Seite. Die Landtagsabgeordnete aus Neustadt will am Sonntag wiedergewählt werden, und SPD-Chef Lars Klingbeil will das auch. Eine Stunde lang stellt er sich vor der Stadtkirche Fragen und Kritik, schlendert mit Osigus und Regionspräsident Steffen Krach durch die Lange Straße. Für alle hat er ein freundliches Wort und eine Rose. Auch für die junge Frau auf der Mauer, die seine Geste brüsk zurückweist. Klingbeil bleibt gelassen und setzt lächelnd seinen Weg fort.

Es ist ein sonniger Herbstmorgen, die Fußgängerzone ist belebt. Ab und zu pustet eine kräftige Windböe die Plakatständer der SPD um. Doch der Gegenwind erreicht den prominenten Wahlkämpfer nicht. Der 44-Jährige ist groß und breit. Zu übersehen ist er nicht in der Innenstadt. Viele erkennen den 1,96 Meter-Mann im blauen Mantel, freuen sich und bleiben stehen. Einige gehen wortlos weiter oder blicken skeptisch auf die Szene, wie der Buchhändler vor seinem Geschäft. Andere nutzen die Gelegenheit, Klingbeil und Osigus von ihrem Sitzplatz im Straßencafé aus auf die viel zu engen Absperrungen auf dem Auedeich anzusprechen, die für Mütter mit Fahrradanhängern oder Lastenräder kaum zu passieren sind.

Gelassen bei absonderlichen Äußerungen

Freundlich hört Klingbeil zu und weist dann höflich darauf hin, dass das ein lokales Problem sei, ein Thema für die Kommunalpolitiker. Klingbeil versteht den bärtigen Pfeifenraucher mit seinem Anliegen gut. Fast 20 Jahre lang hat er in seiner Heimatstadt Munster Politik vor Ort gemacht, im Schülerrat, im Stadtrat und im Kreistag. „Kommunalpolitik hat mich geprägt“, schreibt er auf seiner Internetseite.

Auch das Fernsehen ist dran | Foto: Achim Süß

An seiner Seite an diesem Vormittag ist ein Team von Springers Welt-Fernsehen. Ein Kameramann und ein Reporter dokumentieren seine Begegnungen und interviewen Vorübergehende. Der SPD-Vorsitzende antwortet gelassen und freundlich. Auch der alte Mann mit dem Rad hat ihn mit seinen immer neuen absonderlichen Äußerungen nicht aus der Fassung gebracht. Nach einer gefühlten Ewigkeit bittet Klingbeil schließlich um Verständnis dafür, dass er „noch andere Wunstorfer davon überzeugen möchte, am Sonntag zur Wahl zu gehen“. Er tut das unverdrossen und mit Elan – auch wenn seine Entourage klein ist.

Da ist Krach, der seltsam unscheinbar neben dem hünenhaften Klingbeil wirkt. Da ist die Wunstorfer SPD-Vorsitzende Heike Leitner, die ihm freundlich mit den Rosen hilft. Da sind Dietmar Meyer, Seniorenbeauftragter der Partei, die unentwegte Gerda Mirkovic und Wilfried „Struppi“ Strobel, SPD-Urgestein aus Großenheidorn, und ein paar andere. Die Bürgermeister, die die SPD in der Stadt stellt, sind nicht dabei, auch keine anderen Bannerträger. Wer alt genug ist, sich an Besuche von Kohl und Brandt in Wunstorf zu erinnern, kann sich nur wundern. Klingbeil, den amtierenden Co-Vorsitzenden, den Politologen, Historiker und Soziologen, ficht das offenbar nicht an.

Im Interview

Er hat jetzt, kurz nach 11 Uhr, schon ein paar Stunden Einsatz für die Partei hinter sich. Kurz nach 7 hat er im Morgenmagazin von ARD und ZDF seinen Kontrahenten Friedrich Merz zurechtgewiesen. Statt bockig von der Seitenlinie zu schimpfen über das Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler, solle der CDU-Vorsitzende besser mitarbeiten und Verantwortung übernehmen. „Wir müssen jetzt alle zusammenstehen. Wir müssen uns unterhaken!“ Diesen Satz sagt er auch im Roten Lehmhaus beim Gespräch mit der Auepost. Für sieben Fragen ist Zeit, und Klingbeil antwortet schnell und offen. Er blickt freundlich, und das wirkt nicht gespielt.

Klingbeil in Wunstorf | Foto: Achim Süß

Auepost: Stellen Sie sich eine imaginäre Plakatwand vor. Was sollte dort zu lesen sein?

Klingbeil: Ich glaube, die wichtigste Botschaft ist gerade, dass dieses Land vor echt schwierigen Zeiten steht, aber dass wir das gemeinsam gut hinkriegen werden. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir eine funktionierende Demokratie haben. Etwas, das wir in anderen Ländern nicht mehr haben. Also, es wäre der Spruch: Seid gute Demokraten und hakt euch unter!

Niedersachsen ist auch Ihr Land. Warum ist es bei Stephan Weil in guten Händen?

Stephan Weil ist seit knapp zehn Jahren Ministerpräsident und hat viele Bewährungsproben zu bestehen gehabt. Und er ist jemand, der sich nicht zurücklehnt und auf Berlin wartet, sondern der handelt. Gerade jetzt ist ein Sonderprogramm von einer Milliarde auf den Weg gebracht, um zu helfen. Der Bau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven, das Thema Wasserstoff – das sind Beweise, dass wir einen sehr vorausschauenden, aber auch handelnden, aktiven Ministerpräsidenten haben. Ich glaube in der Tat, dass Niedersachsen bei ihm in guten Händen ist. Und das liegt auch an dem Team um ihn herum. Niedersachsen steht besser da als andere Bundesländer. Das hat ganz stark mit Stephan Weil und seiner Mannschaft zu tun.

Ein Blick zurück: Fehlt Ihnen das Piercing der frühen Jahre?

Nee. Das fehlt nicht. Als ich mit 25 in den Bundestag gekommen bin, hatte ich ein Augenbrauen-Piercing. Alle wollten mit mir nur darüber reden, nicht über Inhalte. Als ich nicht mehr Abgeordneter war, habe ich gesagt: Jetzt kommt das raus. Ich wollte nicht darüber reden oder über Äußerlichkeiten wie das Alter. Ich hatte auch als junger Mensch Inhaltliches zu sagen. Das wollten Wenige hören. Das Piercing war zu seiner Zeit genau mein Gefühl. Eine schöne Anekdote meiner Vergangenheit.

Wie oft schlafen Sie im eigenen Bett?

Oh. Vielleicht eine Woche im Monat.

Aber doch nicht im Stück …

Nein. Nicht im Stück.

Und wie viele eigene Betten sind es?

(lacht): Eins zu Hause in Munster, eins in meiner Wohnung in Berlin. Ansonsten viele Hotelbetten.

Aber Sie wussten doch, was auf Sie zukommt.

Ja, und ich genieße das auch. Es war anders in der Zeit der Pandemie. Da war ich sehr viel zuhause. Meine Frau und ich fanden das sehr schön. Aber es gehört zum Job des Parteivorsitzenden wie vorher des Generalsekretärs, unterwegs zu sein. Sowohl im Land als auch in Europa und darüber hinaus. Aber das ist ja auch spannend. Ich genieße es, viel zu entdecken, viel zu sehen, Leute kennenzulernen, Orte kennenzulernen. Aber: Zuhause ist es immer am schönsten.

Sie sitzen auf einem Platz, den auch Kurt Schumacher, Willy Brandt und Gerd Schröder innehatten: Wie fühlt sich das an?

Das ist eine große Ehre. Ich habe viele Momente, in denen ich mir das bewusst machen muss: Welche Verantwortung man trägt, in welcher Position man sein darf als Parteivorsitzender. Ich hätte das nie gedacht … Der kleine Junge vom Dorf – der Erste in der Familie, der Abi gemacht hat und studiert, mit Politik angefangen hat. Und jetzt darf ich Parteivorsitzender sein. Das ist eine ziemlich große Ehre. Die älteste Partei in Europa, die Partei, die den Kanzler stellt. Ich habe sehr lange gebraucht … Ich glaube, ich bin im Dezember gewählt worden, und um den Jahreswechsel herum, so im Januar, mit meiner Frau im Urlaub, nach all diesen Tagen habe ich erst realisiert, was alles passiert ist.

Ist es das „beste Amt neben Papst“, wie Franz Müntefering gesagt hat?

(grinst): Ich bin evangelisch. Ich kann mit dem Amt des Papstes nicht so viel anfangen.

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