Wunstorf (dd/nd/ds). Als das verheerende Erdbeben in der zweiten Februarwoche Syrien und die Türkei erschütterte, organisierte die Bundeswehr umgehend erste Hilfsflüge in die Türkei. Viele Häuser im Erdbebengebiet waren eingestürzt und hatten zehntausende Menschen unter sich begraben. Auch Krankenhäuser wurden beschädigt und konnten nicht mehr genutzt werden, die türkischen Retter und das Gesundheitssystem standen vor großen Problemen.
Aus vielen Teilen der Welt kam Unterstützung, auch aus Deutschland: Der Fliegerhorst Wunstorf wurde zum Drehkreuz für die humanitäre Hilfe. Doch es blieb nicht bei Hilfslieferungen. Die Türkei hatte offiziell um Hilfe ersucht – auf Bitten des Bundeskanzleramtes und der NATO unterstützte die Bundeswehr in der Folge die Türkei bei der Bewältigung der Erdbebenfolgen auch personell. Es wurde von deutscher Seite sowohl als solidarisches Zeichen zum NATO-Partner Türkei als auch als Selbstverständlichkeit im Rahmen der deutsch-türkischen Partnerschaft gesehen.
Innerhalb von drei Tagen wurde ein medizinisches Kontingent „Humanitäre Hilfeleistung Türkei“ aufgestellt: Aus über 15 unterschiedlichen Dienststellen setzte sich der Verband am Ende zusammen und war im Kern gleich einsatzbereit. Das medizinische Fachpersonal kam zunächst vom Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst aus Leer. Material und weiteres Personal wurde schließlich aus dem gesamten Sanitätsdienst der Bundeswehr zusammengezogen. Chirurgen, Anästhesisten, Allgemeinmediziner und Infektiologen flogen in die Türkei. Auch andere Bereiche sorgten für den Aufbau von Unterkünften und Verpflegung.
Das Kontingent baute dann im türkischen Altinözü in der Provinz Hatay ein Rettungszentrum auf – eine Art provisorische Notaufnahme zur Verletztenversorgung, um das türkische Gesundheitssystem zu unterstützen. Mit dem Team des örtlichen Krankenhauses wurde eng zusammengearbeitet.
Altinözü liegt im Südosten der Türkei nicht weit entfernt der syrischen Grenze - mitten im vorigen Epizentrum des Erdbebens.
Innerhalb kürzester Zeit war das Rettungszentrum vollständig einsatzbereit, täglich konnten auf diese Weise dann bis zu 200 Patienten versorgt werden. In 25 Betten wurden stationär aufgenommene Patienten im Schnitt zwei Tage lang überwacht und versorgt. Jeder Hilfebedürftige wurde behandelt, das Rettungszentrum stand allen offen, die medizinische Hilfe benötigten. Täglich ab 9 Uhr bis abends gegen 21 Uhr war die Einrichtung geöffnet. Neben der eigentlichen Arbeit im Rettungszentrum wurde auch noch eine Betreuungs- und Begegnungsstätte aufgebaut, denn Kinder waren vom Erdbeben besonders betroffen.
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Zahl der versorgten Patienten während des Einsatzes
Über 5.000 Patienten konnten seitdem versorgt werden, der Großteil davon ambulant. 184 Hilfesuchende mussten stationär aufgenommen werden, 40 Intensivpatienten wurden behandelt. Dabei wurden insgesamt 668 Operationen durchgeführt. Ebenso im Einsatz war die Bundeswehrapotheke. Sie stellte 20 Tonnen Material und Medikamente zur Verfügung.
Knapp 140 Soldaten gehörten dem Kontingent an, davon waren 90 medizinische Fachkräfte. In der Türkei im Einsatz waren mit Unterstützungskräften 187 Soldatinnen und Soldaten. Für sie endet nun der Einsatz, das Kontingent kehrt nach Deutschland zurück.
Noch bevor der Fliegerhorst am gestrigen Dienstag mit der Landung der ersten US-Transportflugzeuge in Phase 1 der NATO-Großübung Air Defender 2023 eintrat, landeten am vergangenen Mittwochabend die ersten heimkehrenden Kräfte des Bundeswehrsanitätsdienstes. Um 20.40 Uhr am 24. Mai landete ein erster A400M des Wunstorfer Lufttransportgeschwaders mit den heimkehrenden Soldaten des medizinischen Kontingents.
Auch hier blieb es wie zuvor bei den Kameradinnen und Kameraden der Sudan-Evakuierungsmission nicht bei einer stillen Rückkehr. Anlässlich des Endes der Mission fand ein offizieller Rückkehrappell auf dem Fliegerhorst Wunstorf statt. Generaloberstabsarzt Dr. med. Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, ließ antreten, begrüßte den Kontingentführer Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut zurück in der Heimat und würdigte den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten.
Brigadegeneral Andreas Pfeifer vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr fasste zusammen, was die Soldaten im Rettungszentrum geleistet hatten: „Darauf können Sie stolz sein“, wandte Pfeifer sich an die Angetretenen. Viele Notfälle seien behandelt worden, darunter komplexe Brüche. Auch lebensbedrohliche Blutungen konnten stabilisiert werden.
Es sei eine der schwersten Naturkatastrophen seit Jahrzehnten gewesen, und die Bundeswehr hätte schnell und hochmotiviert einen Beitrag zur Bewältigung geleistet – unter enormer Einsatzlast in den vergangenen Wochen. Es habe ein beeindruckendes Engagement geherrscht, schnellstmöglich sei volle Einsatzbereitschaft erreicht worden. Der Auftrag sei mit Bravour erfüllt worden. „Mission accomplished, well done“, schloss Pfeifer.
„Das ist Kaltstartfähigkeit!“
Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner zur Einsatzfähigkeit des Sanitätskontingents
Generaloberstabsarzt Baumgärtner richtete ausgesprochen herzliche Worte, aus denen deutliche Anerkennung sprach, an die Soldatinnen und Soldaten. Ein Einsatz in einem Katastrophengebiet, mit persönlichen und familiären Tragödien sei alles andere als ein leichter Einsatz, den man so einfach wegstecke. Ein nicht mehr funktionsfähiges Gesundheitssystem sei mit dem Einsatz überbrückt worden für die Bevölkerung. „Die Zahl von über 5.000 Patienten und 500 chirurgischen Eingriffen in 8 Wochen sagt alles“, so Baumgärtner. Es habe gezeigt, wie notwendig die Hilfe war.
Kontingentführer Dr. Schlolaut berichtete, man sei von der Bevölkerung ausgesprochen herzlich empfangen worden – „mit Herz“. Es sei eine Wohltat gewesen, helfen zu können. Patienten hätten Blumen und Baklava als Dankeschön vorbeigebracht. Die Offenherzigkeit und Dankbarkeit der Türken im Erdbebengebiet sei für die deutschen Soldaten überwältigend gewesen.
Nach dem jetzigen Abzug der deutschen Sanitäter und Ärzte wird die Behandlung wieder vom örtlichen Gesundheitssystem geleistet. Dazu entsteht unter anderem auch ein neues Containerkrankenhaus in der Provinz.
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