Wunstorfer Auepost
[Anzeige]

Trotz Kaltstart: „Sie haben 700 Menschenleben gerettet“

01.05.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 1615

Nach einem „Kaltstart“ hat die Bundeswehr 700 Menschen aus dem Sudan evakuiert, darunter etwa 400 Deutsche. Wichtigste Instrumente dieser Operation von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium: einmal mehr die Airbusse vom Fliegerhorst Wunstorf. Dort endete der Einsatz am Freitag. Außenministerin Annalena Baerbock vor Soldaten und Gästen: „Wir können aufatmen.“

01.05.2023
Achim Süß
Aufrufe: 1615
Soldaten der Sudan-Mission landen in Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski

Wunstorf (as). Ein Krisenstab im Keller des Außenministeriums, Dutzende Experten vor Bildschirmen, streng geheime Vorbereitung, 1.000 Elite-Soldaten, Agenten des BND, Bundespolizisten, 600 Tonnen Material, vier Maschinen des LTG 62, ein Airbus der Flugbereitschaft: Das sind ein paar Details der jüngsten Rettungsaktion der Deutschen Luftwaffe. Schnell als „robust“ deklariert, begann der Einsatz in Wunstorf und endete dort: „Hier hat alles angefangen, hier läuft es jetzt zu Ende.“ So hat es Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Rückkehrerappell auf dem Fliegerhorst formuliert.

„Mit kühlem Kopf“

Waren Vorsicht und Besorgnis in seinen anfänglichen Stellungnahmen zum Einsatz nicht zu überhören, fiel sein Fazit nach der Landung der vier A400M im Minutentakt im großen Hangar vor 400 Soldatinnen und Soldaten beim Appell nur positiv aus. „Die Bundeswehr ist da, wenn sie gebraucht wird!“, sagte Pistorius am 99. Tag seiner Amtszeit im Bendlerblock. Die Evakuierung sei schnell, hoch professionell und effektiv abgewickelt worden – „mit kühlem Kopf, Empathie und Vertrauen in sich selbst“.

Der Regierungsflieger landet in Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski
Meldung | Foto: Deppe/Dombrowski
Pistorius spricht vor den angetretenen Soldaten | Foto: Deppe/Dombrowski
Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Bistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer auf dem Fliegerhorst Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski
Baerbock und Pistorius begrüßen die Piloten | Foto: Deppe/Dombrowski
Die Außenministerin mit Oberstleutnant Marc Beutler vom LTG 62 | Foto: Deppe/Dombrowski

In der „großartigen Zusammenarbeit“ mit dem Auswärtigem Amt sei eine echte Teamleistung entstanden, zu der auch Nato-Partner, allen voran französische Truppen als Absicherung, aber auch zahlreiche deutsche Dienststellen an vielen Orten beigetragen hätten. Pistorius: „Ein Rad hat ins andere gegriffen.“ Schon einen Tag nach dem Marschbefehl sei der erste Verband in Jordanien einsatzbereit gewesen. Die Bundeswehr, jeder einzelne Soldat vom „Mannschafter bis zum General“ sei dem Auftrag und den Erwartungen gerecht geworden.

Knappes Zeitfenster

Pistorius gab in seiner Dankesrede einen kurzen, aber aufschlussreichen Einblick in die Abläufe der Evakuierung. Am Sonnabend habe sich ein „Zeitfenster“ für den Einsatz geöffnet, aber der Zeitrahmen sei unklar gewesen. Nach dem Abbruch des ersten Versuchs kurz zuvor sei klar gewesen, dass die Kämpfe in Khartum, der sudanesischen Hauptstadt, Landungen dort verhindern würden. Generalinspekteur Carsten Breuer – mit den beiden Kabinettsmitgliedern und etlichen Bundestagsabgeordneten zum Appell auf dem Fliegerhorst nach Wunstorf geflogen – habe am Sonnabendnachmittag mit jordanischen Partnern ausgehandelt, dass der Flugplatz Al-Azraq bei Amman als Ersatz vorbereitet werde.

Spezialkräfte beim Appell in Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski
"Unser Ziel ist, in dieser gefährlichen Lage im Sudan so viele Staatsangehörige wie möglich aus Khartum auszufliegen", schrieb das Verteidigungsministerium auf Twitter. Im Rahmen der Möglichkeiten sollen auch EU-Bürger und weitere Staatsangehörige mitgenommen werden. Dazu richtet die Bundeswehr in Abstimmung mit dem sudanesischen Militär auf einem Landeplatz bei Khartum einen Operationspunkt ein. An dem Einsatz sind Fallschirmjäger der Luftlandesbrigade 1 beteiligt und auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Der Rettungseinsatz wird vom Befehlshaber der Division Schnelle Kräfte (DSK), Generalmajor Dirk Faust, geführt. Ihm sind auch sonst die Soldaten unterstellt, die die Bundeswehr für die Nationale Krisenvorsorge bereithält – also genau für Situationen wie nun im Sudan.

Die Airbase liegt etwa drei Flugstunden vom Zielort im Sudan entfernt. Ein Organisationsteam wurde als Vorauskommando dorthin geflogen, drei weitere militärische Airbusse aus Wunstorf folgten. Die Ausrüstung und die Zusammensetzung des Evakuierungskommandos: auch eine Lehre aus dem teils chaotischen Rückzug westlicher Streitkräfte aus Afghanistan. Die 1.000 Elite-Soldaten wurden diesmal in einen ausdrücklich robusten Einsatz geschickt – ausgerüstet für Kampfeinsätze.

Robuster Einsatz

Diesmal sollte es „robust“ sein. Die Evakuierung am Ende des Afghanistan-Einsatzes im August 2021 war letztlich ein Erfolg für die Bundeswehr, Tausende von Menschen waren ausgeflogen worden. Aber es war eine hektische Aktion unter Beschuss, unter dramatischen Bedingungen, zum Teil improvisiert. Der Sudan-Einsatz hatte eine andere Qualität. Ein neuer Minister, neue Männer und Frauen in Schlüsselpositionen, generalstabsmäßige Vorbereitung und Feinabstimmung mit Nato-Partnern und Streitkräften in Jordanien. 1.000 Elite-Soldaten aus KSK-Einheiten, Bundespolizisten, Spezialisten des Nachrichtendienstes und ein Krisenunterstützungsteam von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium haben diesmal das Kontingent zur Evakuierung gebildet.

Begrüßung der heimkehrenden Maschinen auch durch die Flughafenfeuerwehr | Foto: Deppe/Dombrowski
Ankunft in Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski
Angetreten | Foto: Deppe/Dombrowski

Für Pistorius ist die Evakuierung aus dem Sudan der erste große Einsatz – quasi die Feuerprobe am 99. Tag nach Amtsantritt. Mit dem neuen Generalinspekteur Carsten Breuer und Generalmajor Dirk Faust, dem neuen Kommandeur der Division Schnelle Kräfte, hat er zwei kompetente und erfahrene Heeresoffiziere an seiner Seite. Der Vier-Sterne-General Breuer hat sich in den vergangenen Jahren als eine Art Vielzweckwaffe qualifiziert. Der 58-Jährige hat 2016 das Weißbuch der Bundeswehr verfasst und für Bundeskanzler Olaf Scholz vom Bundeskanzleramt aus den Corona-Krisenstab geleitet. Verteidigungsminister Pistorius berief ihn zum Nachfolger von General Zorn, den er in den Ruhestand schickte. Faust hat die Luftlandebrigade in Saarlouis kommandiert und wurde vor gut einem Jahr Divisionskommandeur der Schnellen Kräfte, die von Stadtallendorf aus geführt werden. Ihr in der Öffentlichkeit bekanntester Großverband ist das Kommando Spezialkräfte (KSK). Ein wesentlicher Teil des Sudan-Kontingents stammt aus diesem Verband.

Zweite wesentliche Komponente bei den Einsatzkräften ist das Lufttransportgeschwader 62. Der größte fliegende Verband der Luftwaffe hat nicht zuletzt mit der Rettungsaktion für 5.000 Menschen aus dem afghanischen Kabul seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Die Wunstorfer Transportflieger waren mit vier militärischen Airbussen am Sudan-Einsatz beteiligt. Der A400M gilt als das leistungsfähigste und modernste militärische Transporflugzeug der Welt.

Wiesel – der flinke Mini-Panzer

Zum Arsenal gehörte unter anderem der Klein-Panzer Wiesel, eine Weiterentwicklung des „Kraftkarren“ der bundesdeutschen Luftlandetruppen aus den 70er und 80er Jahren. Die Plattform ist vielfältig einsetzbar, schwer bewaffnet und „luftverlastbar“, wie es im Bundeswehrjargon heißt – Wiesel wiegt maximal drei Tonnen und kann in Transportflugzeugen wie A400M mitgenommen werden.

Bundestagsabgeordnete Strack-Zimmermann macht in Wunstorf selbst Fotos | Foto: Deppe/Dombrowski

Wenn man „die Truppe lässt“, so der Minister vor Rückkehrern, Gästen und Dutzenden Journalisten, wenn sie gut ausgestattet werde, leiste sie Außerordentliches. Was die Bundeswehr in den vergangenen Tagen an Fähigkeit gezeigt habe, ernte im Bündnis bei den Partnern hohe Anerkennung.

Kein Nein im Bundestag

Nach Pistorius wandte sich Außenministerin Baerbock ebenfalls in persönlichen Worten voller empathischer Sätze an die Soldatinnen und Soldaten, die um sie herum in U-Formation angetreten waren. Wie der „liebe Boris“ dankte sie den Rückkehrern mehrfach mit warmen Worten und den Mitgliedern des Bundestages für ihren positiven Beschluss. Noch nie sei es vorgekommen, dass es für ein solches Mandat keine Nein-Stimme gegeben habe.

Außenministerin Annalena Baerbock spricht zu den Soldaten | Foto: Deppe/Dombrowski
Baerbock spricht in Wunstorf | Foto: Deppe/Dombrowski

Auch Baerbock lieferte Details der Rettungsaktion, wie sie sich in Minister-Reden gewöhnlich nicht finden, und wie sie die Bundeswehrsoldaten in der Vor-Pistorius-Zeit zuweilen vermisst haben: Es seien nicht nur die Landungen und die Starts gewesen, die belastend gewesen seien, habe sie in den Gesprächen mit den Fallschirmjägern und den KSK-Einheiten erfahren. Vor allem die Stunden am Boden bei der akuten Rettung, Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius auf dem Rollfeld, der Zeitdruck und das Leid der Evakuierten – das seien die wirklichen Stressfaktoren gewesen. Die Außenministerin lobte das Sudan-Kontingent ausdrücklich für die Rettung zweier zwei Tage alter Zwillingsbabys.

„Ab ins Wochenende“

Nach der förmlichen Abmeldung verabschiedete der Verteidigungsminister das Evakuierungsteam mit den Worten „Ab ins Wochenende“.

Versorgungsengpässe in Khartum: In dem Land waren vor mehr als einer Woche schwere Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten Generälen des Landes und ihren Einheiten ausgebrochen. Die zwei Männer führten das Land im Nordosten Afrikas mit rund 46 Millionen Einwohnern seit zwei gemeinsamen Militärcoups 2019 und 2021. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF). Eigentlich hätten die RSF der Armee unterstellt und die Macht im Land wieder an eine zivile Regierung übertragen werden sollen. In der Hauptstadt Khartum hat sich die Versorgungslage seit dem Beginn der Kämpfe dramatisch entwickelt. Es fehlen Wasser und Lebensmittel, Stromabschaltungen behindern zunehmend die Kommunikation.
[Anzeigen]
Auepost wird unterstützt von:

Kommentare


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kontakt zur Redaktion

Tel. +49 (0)5031 9779946
info@auepost.de

[Anzeigen]

Artikelarchiv

Auepost auf …