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Entrepreneur, Pilot, White Hunter – zum Tod von Nikolaus Oesterheld

13.04.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 1782

Unternehmer, Jäger, Sportler, Flieger, Familienmensch, Autor, Förster: Nikolaus Oesterheld hat ein Leben geführt, das an Abwechslung keinen Mangel hatte. Neben buchstäblichen und echten Höhenflügen standen Krisen und öffentliche Anfeindungen. Nicht zuletzt war er so etwas wie ein Abenteurer. Im Alter von 82 Jahren ist er jetzt gestorben.

13.04.2023
Achim Süß
Aufrufe: 1782

So spektakulär wie Reinhold Messner oder Arved Fuchs lebte er nicht. Und doch würden seine Unternehmungen und Reisen für romanhafte Erzählungen reichen. 2010 hat er in einem Buch selbst einen Einblick gegeben. „Flug zum Limpopo“ ist ein 1,5 Kilogramm schwerer Bildband mit der Schilderung einer waghalsigen Reise 1960 in einem außergewöhnlichen Flugzeug ins Herz von Afrika, das Tagebuch einer Safari im Stile Hemingways oder Denys Finch Hattons, die Würdigung eines dominanten, „harten Mannes“ – seines Vaters, den er kritisch-anerkennend schildert. Nicht zuletzt ist das Buch das Dokument eines Lebensstils jenseits von Normalität und Durchschnitt. Sein langes Nachwort offenbart Nachdenklichkeit und Selbstkritik.

Nikolaus Oesterheld | Foto: privat

Nikolaus Oesterheld wird 1940 geboren und wächst in der „Villa“ in Luthe-Eichriede auf, gemeinsam mit seinem zehn Jahre jüngeren Bruder Alexander. Es ist das Wohnhaus seiner Eltern, ein mit Asbest verkleideter Bau mit Schwimmbad, inmitten einer großen Gartenanlage. Der Konsul und seine Frau führen ein großes Haus. Hausdame, Chauffeur, Mechaniker für den privaten Fuhrpark., Gärtner, Pilot. Die exquisiten Automobile stehen in einer Remise. Andere Wohnhäuser gibt es in der Nähe nicht, aber das Fulgurit-Werk ist nur Steinwürfe entfernt. Großvater Adolf Oesterheld hat es 1912 gegründet. Dort werden Platten zur Fassadenverkleidung hergestellt und andere Produkte mit Asbest. Das Unternehmen wird inzwischen von Karl Adolf Oesterheld geführt, den alle nur den „Konsul“ nennen. Das Geschäft floriert, die Oesterhelds sind sehr reiche Leute.

Die Firma produziert auf Hochtouren – über Jahrzehnte, auch während des Zweiten Weltkriegs. Asbest ist nützlich in der Rüstung und am Bau. Der Konsul ist ein dynamischer, weitsichtiger Geschäftsmann. Findig, einfallsreich und mutig erschließt er Rohstoffquellen in der Türkei und vereinbart langfristige Verträge. Das Unternehmen beschäftigt 2.000 Mitarbeiter – in den besten Zeiten. Aber Asbest gerät Ende der 1960er Jahre in Verruf, weil es krebserregend ist. Aus den weltberühmten Artikeln werden berüchtigte.

Der Konsul, berichtet sein Sohn in seinem Buch, habe die Veränderungen ignoriert. War er mit seiner Tatkraft anfangs der Motor des Unternehmens, widmete er sich später seinen Leidenschaften: teuren Autos, dem Fliegen und vor allem der Jagd. Die Villa gleicht in den 70er Jahren einem Museum. Der Konsul sammelt Trophäen so wie andere Briefmarken. 50 Elefanten hat er in Afrika erlegt, und Nikolaus Oesterheld setzt ihm in der Reiseerzählung ein Denkmal. Er macht sich einen Namen als einer der letzten echten Großwildjäger, und der Sohn folgt seinem Beispiel.

Mit 20 den Pilotenschein

Noch als Jugendlicher hat er die Jagdprüfung bestanden, und das eröffnet ihm das Jagen im väterlichen Revier bei Nienburg. Bei der gemeinsamen Safari am Limpopo erleben sie ein Afrika, das es schon wenige Jahre später nicht mehr gibt, oder das vielleicht nur für weiße Jäger jemals existiert hat. Nikolaus ist gerade 20 Jahre alt, hat kurz zuvor selbst den Pilotenschein erhalten. Im Lauf der Jahre kommen viele Lizenzen hinzu, bis hin zur Passagierfliegerei. Er beschreibt das erste große Abenteuer als eine Initiation, jagt regelmäßig mit dem Vater in Afrika, danach allein fast überall auf der Welt.

Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, die Oesterhelds sind höchst angesehen in Stadt und Land. Wie selbstverständlich stellt der Konsul 1951 seinen Mercedes 540 K zur Verfügung, als das griechische Königspaar wegen einer Welfen-Hochzeit die Marienburg besucht. Ihr aufwändiger Lebensstil, die Großwildjagd und ihre Fabrik stehen noch nicht in der Kritik. So wird höchstens hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen, dass manche Fulgurit-Arbeiter im Alter krank werden. „Auf Fulgurit“ beschäftigt zu sein, ist jahrzehntelang wie eine Auszeichnung. Es steht in einer Reihe mit „auf Marley“ oder „bei der Solo“. Auch „Niki“ hinterfragt die Umstände anfangs nicht. Er studiert nach dem Abitur in St. Gallen Jura und Wirtschaftswissenschaften, promoviert Jahre später in Volkswirtschaft. Er steigt in die Firma ein, macht Schlagzeilen als Sportler: 1971 nimmt er am Wasa-Lauf teil, dem schwedischen Groß-Ereignis, kommt nach 90 Kilometern im verschneiten Dalarna ins Ziel – die Wunstorfer Zeitung berichtet.

Werte erhalten

Fulgurit ist in Afrika in Ghana aktiv, in Kanada. Nicht nur in Eichriede, Blaubeuren und Dettelbach. Doch die Zeiten ändern sich tiefgreifend: in Mosambik, in der Firma, die wirtschaftlich und umweltpolitisch unter Druck gerät. Zudem erkrankt der Konsul schwer und stirbt 1974. Nikolaus Oesterheld muss eine neue, ungewollte Rolle ausfüllen. Der Umbau des Unternehmens gelingt nicht so reibungslos wie erhofft, die Substituierung von Asbest stellt sich als schwierig heraus, gelingt aber schließlich so gut, dass Fulgurit interessant bleibt für die Konkurrenz. Harte Verhandlungen enden in der Übernahme: Erz-Rivale Eternit steht als Gewinner da. Oesterheld wickelt die Geschäfte mit Erfolg ab, rettet Werte.

Aber das einstige Ansehen hat gelitten. In Luthe liegt eine Abraumhalde mit hochgefährlichen Rückständen, und Anlieger wie Umweltschützer gehen auf die Barrikaden, als sie abgeräumt werden soll. Das Unternehmen entziehe sich der Verantwortung, schimpfen Kritiker. Schließlich wird eine aufwändige Abdeckung vereinbart, die öffentliche Hand trägt die Kosten. Die Familie Oesterheld ist längst nicht mehr Eigentümer, aber die Vorwürfe verstummen erst Jahre später.

Ein langer Wunsch

Nikolaus Oesterheld lebt längst in der Umgebung von Steyerberg und hat eine weitere Bestimmung entdeckt. Freunde sagen, es sei vermutlich seine wirkliche. Er wird Forstwirt und bewirtschaftet ausgedehnte Waldflächen, eigenes und gepachtetes Land. Er ist bis ins hohe Alter in seinem Revier aktiv und praktiziert fortschrittlichen Waldbau nach seinen Vorstellungen. „Förster sein“ war ein lange gehegter Wunsch. In der letzten Phase seines Lebens lebt er diesen Traum, unterstützt und bewundert von seiner Frau und seinen beiden Töchtern. In seinem Buch zieht er eine vielschichtige Bilanz, beschreibt den Schatten seines Vaters und seine Abnabelung. Seinen Wunsch, in einem weiterem Werk die eigenen Jagderlebnisse zu erzählen, hat er sich nicht erfüllen können. Nikolaus Oesterheld ist vor kurzem nach einer Lungenentzündung in Wellie gestorben.

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