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Name und Anschrift von Corona-Patienten landen bei der Polizei

08.04.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 439
08.04.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 439

Die niedersächsische Polizei hat Zugriff auf die Daten von Quarantäne-Patienten. Das Gesundheitsministerium hat die Weitergabe angeordnet. Die Landesdatenschutzbeauftragte fordert den sofortigen Stopp der Praxis.

Überwachungskameras

Staatliche Überwachung (Symbolbild)

Hannover (red). Wer positiv auf den Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurde, muss davon ausgehen, dass er damit auch polizeibekannt wird – und mit ihm seine Kontaktpersonen. Die Polizei erhält Zugriff auf persönliche Daten der Infizierten wie die Wohnanschrift, wenn infolge eines positiven Testergebnisses Quarantäne durch die Gesundheitsämter angeordnet wird. Dies dient jedoch nicht der Überwachung der Quarantäne, die durch die Gesundheitsämter selbst erfolgt, sondern soll den Polizeibeamten Selbstschutz bei Einsätzen in der Wohnung von unter Quarantäne Stehenden ermöglichen, da es an entsprechender Schutzausrüstung für die Beamten mangelt.

Ministerium ignoriert Datenschützer

Trotz deutlicher Kritik der Landesdatenschutzbeauftragten Barbara Thiel hält das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung an dem Erlass fest, mit dem die Gesundheitsämter angewiesen werden, die Daten an die Polizei zu übermitteln. Dabei hatte sich sogar eines der Gesundheitsämter selbst bei Thiel über die Vorgänge beschwert.

Die Landesdatenschützer hatten das Gesundheitsministerium nach Bekanntwerden dieser Praxis am 3. April aufgefordert, den Erlass zurückzunehmen, da es insbesondere keine Rechtsgrundlage für die pauschale Übermittlung sensibler Gesundheitsdaten gibt. Statt jedoch dieser Aufforderung zu folgen, gab das Ministerium kurz darauf einen weiteren bestätigenden Erlass an die Gesundheitsämter heraus. Dabei beruft es sich auf das Infektionsschutzgesetz und das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz, da keine Befunde, sondern nur die Anschriften der unter Quarantäne stehenden Personen übermittelt würden. Zudem hält es den Tatbestand des rechtfertigenden Notstands für erfüllt.

„Ich wiederhole meine Anordnung an das Gesundheitsministerium daher nochmals mit aller Vehemenz. Die derzeitige rechtswidrige und bevorratende Datenübermittlung muss umgehend eingestellt werden.“
Barbara Thiel, Landesdatenschutzbeauftragte

„Es ist inakzeptabel und nicht hinnehmbar, dass das Niedersächsische Gesundheitsministerium meiner Aufforderung zur Rücknahme des Erlasses nicht folgt, sondern stattdessen am vergangenen Freitag sogar noch einen weiteren bestätigenden Erlass an die Gesundheitsämter herausgegeben hat“, so Thiel. Die Rechtsauffassung des Gesundheitsministeriums teilt die Landesdatenschutzbeauftragte nicht: „Selbstverständlich handelt es sich bei den übermittelten Daten um sensitive Gesundheitsdaten. Zwar werden die Daten auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ziel verarbeitet, die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhindern. Eine fachspezifische Übermittlungsbefugnis an die Polizeileitstellen umfasst das Infektionsschutzgesetz jedoch nicht.“ Auch die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands seien darüber hinaus nicht für sämtliche Personen gegeben, deren Daten pauschal an die Polizei übermittelt werden.

Vertrauen wird untergraben

Denkbar ist, dass Infizierte es sich nun zweimal überlegen, sich trotz Symptomatik testen zu lassen, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre Daten auch an nichtmedizinische Bereiche wie die Polizei durchgereicht werden. Thiel kritisiert das Vorgehen des Niedersächsischen Gesundheitsministeriums auch mit Blick auf geplante Apps zur Ermittlung von Kontaktpersonen von Corona-Patienten: „Mit diesem Erlass erschwert das Gesundheitsministerium die aktuellen Bemühungen auf Bundesebene. Es ist zweifelhaft, ob Bürgerinnen und Bürger freiwillig bereit sind, ihre Standortdaten zu teilen, wenn in Niedersachsen sensible Gesundheitsdaten ohne Rechtsgrundlage an die Polizei übermittelt werden.“ Genau diese Freiwilligkeit sei aber eine Voraussetzung dafür, dass derartige Apps funktionieren und einen Beitrag zur Lockerung der derzeitigen Kontaktverbote leisten können, so Thiel weiter.

Der Landesdatenschutzbeauftragten sind unterdessen die Hände gebunden: Thiel kann zwar selbst Anordnungen gegenüber dem Ministerium erlassen, sie allerdings nicht durchsetzen, da der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, entsprechend wirksame Befugnisse für den Datenschutz gegenüber öffentlichen Stellen zu schaffen. Trotz Verbots der Weitergabe können die Daten also weiterfließen, solange das Gesundheitsministerium die Anordnungen der Datenschützer ignoriert.

Auch in anderen Bundesländern haben Gesundheitsämter mittlerweile Patientendaten an die Polizei weitergeleitet, die Zulässigkeit wird dabei unterschiedlich beurteilt.

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Kommentare


  • Michael Lange sagt:

    Geht es noch, Frau Dr. Reimann (SPD)? Der Erlass des Nds. Gesundheitsministerium zur Übermittlung von Daten von positiv getesteten Covid-19 Patienten „vorsorglich“ an die Polizei, ist ein Dammbruch. Patientendaten sind sensible Daten, und der Bürger muss darauf vertrauen können, dass diese nur – und ausschließlich – im Rahmen der ärztlichen Behandlung erhoben und weitergeleitet werden. Punkt!
    Die Weitergabe an externe staatlich oder private Stellen muss unterbleiben. Das Verhältnis Arzt zum Patienten ist ein hohes Gut und ist die Grundlage für eine vertrauensvolle, zielführende Behandlung! Oder sieht Frau Dr. Reimann in dem Erlass eher eine Art Testballon, um auszuloten, wie weit sich Grundrechte (respektive der Datenschutz) klammheimlich einschränken lassen. Ich hoffe nicht!

    • Homberti sagt:

      „…soll den Polizeibeamten Selbstschutz bei Einsätzen in der Wohnung von unter Quarantäne Stehenden ermöglichen, da es an entsprechender Schutzausrüstung für die Beamten mangelt.“ => Achtung, Satire: Ich glaube die Frau Reimann weiss gar nicht dass die Polizei in DE weit mehr Schutzkleidung als benötigt hat (Der Link ist allerdings KEINE Satire sondern traurige Realität):
      https://mobile.twitter.com/AuswaertigesAmt/status/1247143751413370881
      Ist der „Verschenker“ nicht in derselben Partei? Reden die alle nicht miteinander? Oder sind es tatsächlich die befürchteten Testballons? Es ist leider zu befürchten daß dies nur der Anfang ist…

  • G. Decker sagt:

    Ich teile und befürworte durchaus sehr viele der Beschlüsse zur Verhinderung der Verbreitung des Covid-19 auslösenden Coronavirus.

    Diese Anordnung jedoch verursacht mir arges Bauchgrimmen:
    so kommen die Inhalte des Kommentars von #Michael Lange inhaltlich meinen Bedenken zu dieser Entscheidung nahe.

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