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Der Alte geht – und 100.000 kommen zum Wunstorfer Fliegerhorst

25.10.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 2348

Der Fliegerhorst Wunstorf macht Schlagzeilen: Spektakuläre Evakuierungen, Riesen-Baustellen, Manöver-Drehscheibe oder eine Ministerin, die einen General umarmt. Der Luftwaffenstützpunkt steht immer wieder im Blickpunkt. Schon vor 60 Jahren war das so: „Der Alte“ wurde auf dem Fliegerhorst verabschiedet – die Bundeswehr veranstaltete für den scheidenden Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963 im Oktober ihre erste Großparade überhaupt.

25.10.2023
Achim Süß
Aufrufe: 2348
Foto: Archiv Heiner Wittrock

Der greise Regierungschef hat schwere Monate hinter sich: Seine CDU, die Kanzler-Partei schlechthin, hat ihm die Gefolgschaft versagt. Adenauer muss nach 14 Jahren als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Platz machen für den alten Gefolgsmann und Widersacher Ludwig Erhard.

An diesem grauen Oktobermorgen auf dem Wunstorfer Flugfeld scheint der Machtkampf schon fast vergessen: 100.000 Menschen sollen nach Zeitungsberichten gekommen sein, um „Konny“ und die Parade zu sehen. Die Truppe zeigt gemeinsam mit alliierten Verbänden alles, was sie hat, und auf den Tribünen sitzt die Politprominenz dicht an dicht. Eintausend Ehrengäste verzeichnen Chronisten.

Mit Zahnschmerzen

Adenauer hat starke Zahnschmerzen an diesem Tag, aber er verfolgt das Schauspiel zu seinen Ehren mit der Selbstdisziplin, die den jetzt 87-Jährigen immer ausgemacht hat. Er steht aufrecht und fast stoisch neben seinem Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel auf einem Podest und lässt es unbeeindruckt zu, dass ihm der Wind die schütteren Haare ins Gesicht weht.

Viertausend Soldaten ziehen an ihm und der Tribüne vorbei – mit 1.600 Fahrzeugen, Raketen und Panzern. Es ist wie eine Heerschau, und alle Beteiligten haben lange dafür geübt. Erstmals hat die junge Bundeswehr eine solche Parade organisiert. Sie besteht gerade erst seit acht Jahren, und es ist Adenauer, der sich vehement – schon vor seinem Amtsantritt – für die Aufstellung eingesetzt hat. Zur Vorbereitung ist ein vielköpfiger Stab gebildet worden, der sich um alles zwischen Transport, Tribünen und Toiletten kümmert.

Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock
Noratlas-Transportmaschinen beim Überflug | Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock
Foto: Archiv Heiner Wittrock

Um die An- und Abreise der Besuchermassen sicherzustellen, werden Sonderzüge und Hubschrauber eingesetzt. Nicht zuletzt wird die bis dahin bestehende sogenannte Behelfsausfahrt an der A2 bei Kolenfeld umgebaut: Wunstorf bekommt damit neben Luthe den zweiten vollwertigen Autobahnanschluss.

Der scheidende Kanzler nutzt die Ehrung auf dem Fliegerhorst für eine bedeutungsvolle Rede: „Ich verabschiede mich von der Bundeswehr als dem sichtbarsten Ausdruck des Wiederaufbaus Deutschlands, als Wiederherstellung der Ordnung, als Beweis der Eingliederung in die Front freier Völker zum Schutze unseres Vaterlandes.“

Rede Konrad Adenauers auf dem Fliegerhorst | Foto: Stadtarchiv Wunstorf

Das Programm der Feldparade ist anstrengend für Adenauer. Nach der Anreise im Helikopter besteigt er den offenen Mercedes, mit dem er schon mit Staatsgästen wie John F. Kennedy durch Berlin gefahren ist. Stehend lässt er sich an der mehr als einen Kilometer langen Front angetretener Soldaten und aufgereihter Fahrzeuge entlangfahren.

Die Ehrengäste müssen warten

Die Veranstaltung an diesem windigen Sonnabendvormittag in Wunstorf ist fast der letzte Akt für den Kanzler. Im April bereits hatte ihm die Bundestagsfraktion die Gefolgschaft versagt und den Vater des Wirtschaftswunders nominiert. Aber der Rücktritt soll erst im Oktober erfolgen. Adenauer nutzt das halbe Jahr für eine perfekte Inszenierung seines Abgangs.

Konrad Adenauer beim Abnehmen der Parade | Foto: Stadtarchiv Wunstorf

Ein letztes Mal fährt er in seinen Urlaubsort Cadenabbia, reist zu Abschiedsbesuchen, trifft noch einmal das diplomatische Corps und seine 20 Sekretärinnen. Ein letzter Besuch beim französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, Ordensverleihungen, lange Hintergrundgespräche und Interviews: Der „Alte aus Rhöndorf“ zieht trotz seines Scheiterns den Rücktritt so selbstsicher in die Länge, dass seine Popularitätswerte Rekordmarken erreichen.

Foto: Archiv Heiner Wittrock

Wie ausgeprägt die Verehrung für den Gründungskanzler ist, zeigt sich nach dem offiziellen Ende der zweieinhalbstündigen Parade, die Adenauer stehend abnimmt. Kaum sind Marschmusik, Motorenlärm und Überschallknall verklungen, durchbrechen die Menschenmassen die Absperrungen, umringen das schwarze Cabrio und feiern den Kanzler. Adenauer, sichtlich gerührt, lässt das Volk gewähren und seine Ehrengäste im Offizierscasino warten. Krebssuppe, Seezunge und Lendenschnitten müssen warm gehalten werden, bis der Mann eintrifft, um den sich alles dreht.

Beim Überflug wird getrickst

Den Knalleffekt hatte die Luftwaffe geliefert: Zwei Starfighter waren in geringer Höhe über den Fliegerhorst gedonnert und an der Tribüne plötzlich fast senkrecht in die Höhe gestiegen. Zeitgleich durchbrach in großer Höhe eine dritte Maschine des Kampfverbands die Schallmauer.

Starfighter während der Parade | Foto: Archiv Heiner Wittrock

Diese Finesse bleibt den Zaungästen verborgen. Lokalhistoriker Heiner Wittrock, Kenner des Fliegerhorsts und Autor mehrerer Bücher, offenbart sie in einem seiner Werke. Er berichtet auch, dass der „Alte“ seine Freude an der Parade hatte: „Dat war eine große Sache da, in Wunstorf bei Hannover!“, sagt er später.

„Dat war eine große Sache da, in Wunstorf bei Hannover!“

Worte Konrad Adenauers

So spröde er zuweilen wirkt, Adenauer ist als Regierungschef der aufstrebenden Bundesrepublik ein angesehener Partner im Kreis der Großen. Die Ehrendoktorhüte und Würdigungen sind kaum zu zählen. Zu denen, die ihm zum Abschied aus dem Bundeskanzleramt ihren Respekt zollen, gehört der US-Präsident. Die beiden haben sich mehrfach getroffen, aber das Verhältnis zwischen dem greisen Kanzler und dem charismatischen jungen US-Demokraten aus dem Weißen Haus ist problematisch. Das zeigt sich sogar bei Kennedys legendärem Besuch in Berlin im Juni 1963, wenige Monate vor Adenauers Demission.

Es ist ihre letzte Begegnung: Adenauer steht neben Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, als der Präsident seine berühmten Worte „Ich bin ein Berliner“ sagt. Im Oktober scheidet Adenauer aus dem Amt, und im November stirbt Kennedy in Dallas bei einem bis heute weitgehend ungeklärten Attentat.

~ Dank für die Unterstützung der Recherchen an Heiner Wittrock und Stadtarchiv Wunstorf ~

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