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„Wenn die Kanzlerin einen bittet, sagt man nicht Nein“

15.07.2021 • Achim Süß • Aufrufe: 2921

Er ist der zweite Mann hinter Angela Merkel: Hendrik Hoppenstedt, CDU-Bundestagsabgeordneter auch für Wunstorf, vertritt den Chef des Kanzleramts. Einer von beiden ist ständig im Dienst. Über seinen Alltag und seine Berufung spricht er hier. Mal ganz offen, mal behutsam. Hoppenstedt öffnet die Tür ins Zentrum der Merkel’schen Macht einen kleinen Spalt.

15.07.2021
Achim Süß
Aufrufe: 2921
Hoppenstedt
Dr. Hendrik Hoppenstedt | Foto: Achim Süß

Morgens halb zehn in Deutschland: Berlin, Platz der Republik. Hendrik Hoppenstedt brütet in seinem Büro über Akten und Mails. Der CDU-Bundestagsabgeordnete erledigt die Dinge, die er tun muss. Der 46-Jährige ist noch dabei, eine Enttäuschung zu verdauen. Es ist März 2018, der neue Bundestag sortiert sich, aber die Regierungsbildung zieht sich hin. Der promovierte Jurist wäre gern Vorsitzender des wichtigen Rechtsausschusses geworden, aber diese Funktion hat sich die AfD-Fraktion gegriffen. Hoppenstedt erwartet eine eher „geruhsame“ Wahlperiode. So meint er. Es kommt ganz anders.

Teambildung

Die CDU hat die Bundestagswahl 2017 im September gewonnen. Noch am Wahlabend lehnt ein sichtlich enttäuschter Martin Schulz für die SPD die Fortsetzung der Großen Koalition ab. Eine Jamaika-Koalition von CDU/CSU, FDP und Grünen scheint der Ausweg. Vier Wochen ringen die Verhandlungsteams miteinander, zeigen sich auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft, um schließlich entnervt und zerstritten auseinanderzulaufen. FDP-Chef Christian Lindner lässt die Bombe platzen: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren.“ Eine Phase der Interpretationen beginnt, Büchsenspanner aus den verschiedenen Lagern bezichtigen sich gegenseitig der Lüge. Bundespräsident Frank Steinmeier greift verbal ein und erinnert alle Parteien an ihre Pflichten.

Quartiergespräch Spezial

Während das neue Kabinett – das vierte, das Angela Merkel führt – in weiter Ferne ist, baut sich die Kanzlerin in ihrem eigenen Bereich ein neues Team. Da darf ihr niemand hineinreden, dies ist ihr ureigener Bereich: das Kanzleramt, das eigentlich längst Kanzlerinnenamt heißen müsste. Helge Braun, promovierter Anästhesist aus Gießen, sitzt seit 2002 im Bundestag. Im bisherigen Kabinett Staatsminister und Vertreter von Kanzleramtschef Peter Altmeier, steigt er nun auf. Seit März 2018 führt er die knapp 800 Mitarbeiter starke Schaltstelle der Regierung. Braun ist eigentlich kein Mann für Talk-Shows und muss das in Corona-Zeiten doch immer wieder durchstehen. Er agiert höchst effektiv im Hintergrund, sagen Kenner der Berliner Szene. Der enge Vertraute der Kanzlerin wird wegen seiner besonnenen Art auch außerhalb der CDU geschätzt. Seine Wahl erweist sich während der Pandemie als besonderer Glücksgriff: Mit ihm ist ständig ein Mediziner an Deck.

Ein Witz, hab’ ich gedacht

Braun gilt als Merkels Strippenzieher par excellence. Altgediente Beobachter der Berliner Bühne vergleichen ihn mit Friedrich Bohl, der einst für Helmut Kohl vom Kanzleramt aus die Fäden spann und zog. Die Chefs dieser Behörde haben eine Fülle von komplizierten Aufgaben zu erfüllen, die gesamte Koordination zwischen den Bundesministerien sicherzustellen – und nicht zuletzt die der Nachrichtendienste. Seit Jahrzehnten sind sie gut für Großes: Bodo Hombach wurde Spitzenmanager in der Wirtschaft, Ronald Pofalla Bahnvorstand. Andere wie Frank Steinmeier, Thomas de Maizière oder Peter Altmeier bekamen Schlüsselpositionen in Regierungen. Steinmeier führte seine Karriere gar ins Schloss Bellevue. Mehr kann ein Politiker in Deutschland nicht werden.

Kein Telefonstreich

Dies alles weiß auch Hendrik Hoppenstedt, seit 2013 Mitglied des deutschen Parlaments. Aber es beschäftigt ihn nicht weiter. Bis zum März 2018. Bis sein Telefon im Abgeordnetenbüro am Platz der Republik läutet. Am anderen Ende das Kanzleramt, die persönliche Referentin von Angela Merkel. Hoppenstedt glaubt zunächst an einen Telefonstreich oder den Scherz eines Radiosenders. „Ein Witz, hab’ ich gedacht“, bekennt er offen im Quartiergespräch Spezial der Auepost. Doch die Frau, die wenig später mit ihm spricht, ist echt, so echt wie eine Politikerin sein kann. Sie bittet ihn, so schnell wie möglich zu ihr zu kommen. Als er jetzt nach seiner Reaktion gefragt wird, schießt ein natürliches Lachen in sein Gesicht. Noch jetzt, dreieinhalb Jahre später, ist seine Freude fast kindlich. Zwei Sekunden strahlt er wie ein kleiner Junge unterm Weihnachtsbaum. Ungläubig habe er reagiert und sich auf dem Weg zur Kanzlerin viele Gedanken gemacht. Vor allem beschäftigt ihn die Frage: „Was hast du ausgefressen?“ Zehn Minuten später weiß er es. Gar nichts. Im Gegenteil. Die Kanzlerin will ihn in ihre unmittelbare Nähe holen. Ob er Interesse habe, Staatsminister im Kanzleramt zu werden – Stellvertreter von Helge Braun. Die beiden tauschen eine knappe halbe Stunde Gedanken aus, und Merkel gibt Hoppenstedt vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Hoppenstedt, „völlig perplex“, braucht diese Zeit nicht für seine Zusage.

Hoppenstedt ist 1972 in Großburgwedel geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er stammt aus einer Familie, in der öffentliche Ämter und gesellschaftliches Engagement selbstverständlich sind: Sein Vater Dietrich, promovierter Jurist, war Oberkreisdirektor, Staatssekretär und lange Präsident des Niedersächsischen und des Deutschen Sparkassenverbands, sein Onkel Karsten, Tierarzt mit Doktortitel, war Bürgermeister in Burgwedel, Landrat in Hannover, nicht zuletzt viele Jahre Europaabgeordneter für die CDU. 2005 tritt Hendrik Hoppenstedt in die Fußstapfen seines Onkels. Bis 2013 ist er hauptamtlicher Bürgermeister von Burgwedel. Dann wird er in den Bundestag gewählt, vertritt die Menschen aus dem nördlichen Teil der Region Hannover in Berlin. Hoppenstedt ist Chef der CDU in der Region und niedersächsischer Spitzenkandidat im September. 

Sein nächstes Mandat im deutschen Parlament ist sicher, sein Werdegang nicht. Mit der Wahl werden alle Karten neu gemischt. Einige Karrieren enden, andere beginnen. Hoppenstedt weiß, dass er sein herausragendes Amt nur auf Zeit hat. Mehrfach sagt er, er empfinde es als Glücksfall, dorthin gekommen zu sein. Und, ganz gelassen: „Ein Amt auf Zeit.“ Kann er die kommunalpolitischen Erfahrungen bei seiner Arbeit im Zentrum der Macht nutzen? Werden sie manchmal abgefragt? Die Antworten fallen ihm leichter als beim Thema Berufung. Ungern plaudert er aus der Schule. Er sagt, die Kanzlerin sei sehr darauf bedacht, Innenansichten ihres persönlichen Umfelds nicht auszubreiten, sondern zu beschränken.

Ich bringe auch den Müll raus, wenn ich zuhause bin

Hoppenstedt hält das für richtig und fügt hinzu, es liege ihm nicht, seine Nähe herauszustellen oder damit zu kokettieren. „Eine bessere Schule als die Kommunalpolitik kann’s nicht geben“, sagt Hoppenstedt. Das Amt eines Bürgermeisters habe eine „ganz große Bandbreite“. Man müsse mit den Bürgern auf Augenhöhe sprechen und Gespür haben für das, „was gewollt wird in der Gesellschaft“. Man habe mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun, mit Uni-Professoren ebenso wie mit Schichtarbeitern. Dann sei eine ganze Verwaltung zu führen mit all ihren Besonderheiten, und nicht zuletzt sei da ein Stadtrat, dem man gerecht werden müsse. „Der Laden darf nicht auseinanderlaufen“, sagt Hoppenstedt, und: Prinzipiell sei das auch in Berlin so. Kommunalpolitik sei auch eine Schule „für das Unschöne, wenn man mal kämpfen muss“. Das habe er gelernt, und das gebe ihm jetzt Gelassenheit. Ist er ein Solitär? „Im Kanzleramt? Ja!“ Hat ihn das Amt verändert? Hoppenstedt zögert. An seinem jetzigen Platz erhalte er extrem viele Informationen. Nachrichten, die sonst keiner hat oder auch nie bekommt oder viel später. Das sei für ihn nicht belastend, aber die „schiere Menge bringt einen manchmal an Grenzen.“ Und oft habe er nur die Wahl zwischen unschönen oder schlechten Lösungen.

Berlin ist keine Blase

Ist Berlin eine Blase, in der die politischen Akteure ohne Bodenhaftung agieren, wie es Regionspräsident Hauke Jagau jüngst bei einem Termin in Wunstorf behauptet hat? Hoppenstedt wird emotional. Natürlich habe er den ganzen Tag im Kanzleramt so gut wie keinen Kontakt zu „normalen Menschen“. Aber alle dort hätten Familien – mit den ganz normalen täglichen Aufgaben und Problemen. „Ich bringe auch den Müll raus, wenn ich zuhause bin.“ Das mit der Blase höre er immer wieder, aber das sei ein „Totschlagargument“. Es werde immer wieder benutzt, wenn man sich nicht wirklich mit Auffassungsunterschieden oder Lösungsvorschlägen auseinandersetzen wolle. „Ich hab‘ nicht das Gefühl, dass ich in einer Blase bin“, sagt Hoppenstedt. Seine Familie sorge schon dafür, dass er auf dem Boden bleibe, und das gelte für die anderen im Apparat auch. „Ich bin nichts Besonderes.“ Hat ihn das Amt verändert? Ein nachdenklicher Blick aus dem Fenster. Dann: „Nein. Glaube ich nicht. Meine Frau hat sich jedenfalls noch nicht beschwert.“

Sein Alltag? Die Arbeit im Büro beginnt zwischen 7.30 und 8.30 Uhr: Besprechungen, kleine und große Lage, Telefonate, Sitzungen. Jetzt in Corona-Zeiten geht der Tag „schon etwa um 21 Uhr zu Ende“, sonst mit Veranstaltungen zwischen 22 und 23 Uhr. Wenn er im Wahlkreis unterwegs war, fährt er auch hin und wieder noch spät abends zurück nach Berlin. Der Tag sei „komplett durchgetaktet“, sagt der Staatsminister. Aber in den Konferenzen müsse er auch nicht immer reden, und „Reingrätschen“ müsse er nur manchmal. Die Tage sind lang, Erfolge hart erarbeitet. Hat er eigentlich gezögert, das Angebot anzunehmen? „Ist mir nicht in den Sinn gekommen. Dazu bin ich zu preußisch – und auch zu ehrgeizig. Nein, wenn die Bundeskanzlerin einen bittet, so etwas zu tun, sagt man nicht Nein!“

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Kommentare


  • Rudolf sagt:

    Was soll dieser Artikel bezwecken?

  • Michael sagt:

    Es tut mir leid, aber beim Namen „Hoppenstedt“ muss ich immer lachen, weil es mich an Loriot erinnert.

  • Basti g. sagt:

    Ich würde dankend absagen wer will sich schon mit einer merkel treffen

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