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„Der Bauchfeld schießt jetzt wieder raus!“ – wie die brandneuen Wunstorfer Fahrradparktürme in den Wahnsinn treiben

05.11.2023 • Daniel Schneider • Aufrufe: 8520

Wer hat die neuen hochmodernen Fahrradparktürme am ZOB schon ausprobiert? Wir haben es ausprobieren lassen – und müssen sagen: So einfach ist die Sache nicht. Am Ende ist unsere Testerin froh, dass die Anlage das Fahrrad auch wieder herausrückt. Doch bevor das Rad überhaupt erst einmal drin ist, gehen schon gehörig Nerven verloren. Über Einparkhorror und unverständliche Fehlermeldungen an einem Leuchtturmprojekt.

05.11.2023
Daniel Schneider
Aufrufe: 8520
WTF? Vor den Wunstorfer Fahrradparktürmen | Foto: Deppe/Dombrowski

Die Region Hannover hat zwei Millionen Euro in Wunstorf investiert – in Form eines vollautomatischen Fahrradparkhauses. Noch unter Altbürgermeister Eberhardt avisiert, wurde es nach langer Zeit des scheinbaren Stillstandes in der zurückliegenden Woche eingeweiht. Es ist in Verkehrswendezeiten die neueste technische Attraktion in der Stadt und im ganzen Norden. Genial dabei: Für die Nutzerinnen und Nutzer fallen keine Kosten an. Es lassen sich Parkmöglichkeiten reservieren, ein großes Kontingent ist für GVH-Dauerkartenbesitzer von vornherein abgezweigt, aber solange Plätze frei sind, lässt sich ein Fahrrad auch spontan parken.

Friedlies Reschke ist Wunstorferin, fährt viel Rad und ist nach dem Medienrummel und den Diskussionen in den sozialen Netzwerken der vergangenen Tage schnell auf die Türme aufmerksam geworden. Sie sagte sich: „Das muss ich ausprobieren!“ Das tat sie, und wir waren dabei und konnten verfolgen, was dabei alles schiefging. Denn so unkompliziert und selbsterklärend, wie sie sich das Einparken vorgestellt hatte, verlief es dann doch nicht. Man dürfte annehmen, dass nach ausgedehnter Testphase samt Probebetrieb nun alles funktioniert an den Türmen. Das ist nicht der Fall.

Dann wechselt die Anzeige auf eine Fehlermeldung

Die Reservierung über die App funktioniert problemlos, doch beim Ankommen vor dem Turm wird das Fahrrad nicht akzeptiert. „Fahrrad zu schwer“ lautet die Fehlermeldung. Dabei handelt es sich um ein ganz normales, unbeladenes E-Bike. Womöglich berechnet der Computer das Gewicht der Radfahrerin mit, als diese noch den Fuß auf der Plattform hat. Nach dem Verlassen des mit gelb-schwarzer Gefahrenmarkierung gekennzeichneten Bereichs meldet das System dann tatsächlich nach weiteren Versuchen irgendwann einmal „Einparken möglich“ – um eine Sekunde später mit einem schwerwiegenden Fehler abzubrechen.

Die Kurzanleitung wirkt leicht überfrachtet. Noch lächelt der Computer. | Foto: Deppe/Dombrowski
Ein Fall für den Techniker … oder die Finanzaufsicht? | Foto: Deppe/Dombrowski

„Broker nicht erreichbar! Fehlercode: AMQJS50008I“ ist alles, was Turm 1 noch von sich gibt. Reschke seufzt resigniert. Auf dem Monitor hält ein Bauarbeiter-Smiley ein lustiges Sorry-Schild hoch.

Stanley Kubrick lässt grüßen

Keine Chance, das Rad einzuparken. Aber es wurde glücklicherweise für Alternativen gesorgt: Probiert wird es einfach noch einmal an Turm 2 direkt nebenan. Unsere Testerin ist mittlerweile schon so genervt und angespannt, dass sie die heruntergerutschte Brille unter der Nase gar nicht mehr bemerkt. Aber siehe da – am Nachbarzugang gibt sich das System weniger störrisch.

Man meldet sich am Bildschirm an – im Zusammenspiel mit der bereits installierten App auf dem Smartphone. Dann stellt man das Rad auf den Schlittenspalt auf der Eingangsplattform – und ist etwas ratlos, was da jetzt gleich passiert. Denn den Monitor, auf dem erklärt wird, was das System nun tut, kann man gar nicht sehen, während man das Rad noch festhält. Der Bildschirm ist nicht über der Fahrradeinzugsluke angebracht, sondern um die Ecke installiert. Es wirkt wie ein gewollter Konstruktionsfehler, damit die Leute nicht auf der Einzugsplattform stehen bleiben – aber sie sehen dadurch eben auch nicht, ob sie alles richtig machen.

Der Parkvorgang wird über das Smartphone gestartet | Foto: Deppe/Dombrowski

Das Einziehen des Fahrrades funktioniert, nachdem die psychologische Hürde genommen wurde, das Fahrrad auf das Feld zu schieben, das auch eine Falltür sein könnte. Die Akustik macht es nicht besser. Die Computerstimme betont die Wörter der gesprochenen Anweisungen und Hinweise ganz eigenartig, so wie die böse KI in einem Science-Fiction-Film. Man erwartet fast, dass im nächsten Moment etwas Unschönes passiert, die Raumstation Amok läuft und sich gegen die Besatzung wendet, während die einfach nur ihre spacigen, aber harmlosen Räder abstellen will.

Anfängerfehler: Der Prozess startet nicht, wenn man noch im Einzugsbereich steht | Foto: Deppe/Dombrowski

Doch dann öffnen sich die Automatiktüren hinter dem Schlitten ein wenig und ziehen das Vorderrad in die nur einen Spalt geöffnete Luke, um gleich darauf den Spalt wieder zu verkleinern. Das Vorderrad des Fahrrades befindet sich damit zwischen den Türen, ohne dass der Rest der Anlage zugänglich wäre. Das wirkt nun allerdings so, als wären die Türen defekt und das Rad eingeklemmt. Aber das ist so vorgesehen.

Nun wird eine persönliche Abhol-PIN eingegeben. Erst danach kommt hörbar Leben in den Bike-Tower, ein Metallkäfig fährt in die Türposition, um das Fahrrad aufzunehmen. Die Türen öffnen sich überraschend flink vollständig, das Fahrrad wird hineingezogen und die Türen schließen sich daraufhin etwas sanfter, wie bei einem Fahrstuhl.

„Stell dir mal vor, es ist 7 Uhr morgens, und alle wollen gleichzeitig zur Bahn“

In diesem Moment steuert der Computer eine freie Parkposition im Turm an und deponiert dort das Fahrrad. Sehen kann man diesen Vorgang von außen nicht – in Bodennähe ist durch die blickdichten Türen nichts zu erkennen, und auch mit Abstand zu den Türmen bleibt das geparkte Fahrrad unsichtbar.

Yes. Es funktioniert doch. | Foto: Deppe/Dombrowski
Neben den Türmen wurde auch noch eine ganz analoge SB-Reparaturstation aufgestellt mit Werkzeug und Luftpumpe für die kleine Fahrradreparatur. Doch selbst hier läuft noch nicht alles nach Plan. Unsere Testerin freut sich, dass es einen QR-Code gibt für eine Anleitung, ruft ihn auf … und erntet auch hier eine Fehlermeldung. | Foto: Deppe/Dombrowski

Das Klacken und Rütteln im Inneren erinnert ebenfalls an Fahrstuhlgeräusche, könnte aber auch zu einer Recyclinganlage passen, die Fahrräder zu handlichen Würfeln presst. „Klingt nicht gerade vertrauenswürdig“, sagt unsere Testerin über den Radau, den der Turm auch beim Ausgabeprozess macht. Das Gerumpele im automatischen Turm regt erneut die Phantasie an – aber offenbar nicht automatisch zum Positiven.

WTF-Momente

Angesichts der anfänglichen Einparkhürden, Geräusche und unvermittelt auftauchenden Systemfehler wachsen Zweifel, ob der Turm das geparkte Rad auch problemlos wieder herausrückt. Das macht er, sorgt dabei aber für weitere WTF-Momente. „Wir kommen, der Bauchfeld schießt jetzt wieder raus“, versteht man im Umgebungslärm des Bahnhofsvorplatzes gerade noch so, bevor sich die Türen wieder öffnen und das Rad auf dieselbe Weise herausgeschoben wird, wie es zuvor hineingezogen wurde.

Wie bitte? „Nummer aiiiiingeben … der Bauchfeld schießt jetzt wieder raus“ | Video: Deppe/Dombrowski

Mit den ergänzenden Schließfächern an der Anlage hat Reschke auch kein Glück. „Keine Berechtigung“, lautet die Fehlermeldung.

Fragliche Praktikabilität

Das Fahrradparken funktioniert – aber der Weg dorthin scheint steinig, wenn man an keiner Einführungsveranstaltung teilgenommen hat. Die Lernkurve ist gerade zu Beginn etwas steiler. Das findet auch ein weiterer Passant, der das Treiben beobachtet und meint: „Da muss man erst studiert haben, um ein Fahrrad parken zu können.“ In Wunstorf dürfte das Fahrradparkhaus dennoch bald zum Alltag gehören. Wenn die Zielgruppe demnächst im Umgang mit den Türmen routiniert ist und das System nicht dauerhaft zickt, könnte es eine praktische Möglichkeit zum Fahrradabstellen werden.

„Da muss man erst studiert haben, um ein Fahrrad parken zu können“

Die Frage ist jedoch, wie sich die Nutzer dann insgesamt verhalten werden. „Stell dir mal vor, es ist 7 Uhr morgens, und alle wollen gleichzeitig zur Bahn“, bringt Reschke ihre Zweifel auf den Punkt. Es ist nur je ein Zugang zu den beiden Türmen vorhanden. Räder lassen sich nur einzeln parken – eine Familie, die beispielsweise den Turm mit mehreren Rädern belegen möchte, würde entsprechende Zeit benötigen für die Parkvorgänge. Aber auch für Einzelnutzer könnte es anstrengend werden – wenn man an sein Rad möchte, aber noch 4 Personen davor anstehen, sich im Parkvorgang verheddert haben, den Broker suchen oder beginnen, die Fehlercodes am Notfalltelefon vorzubuchstabieren. Der Vergleich mit einer Supermarktkasse, wenn vorne Oma und Opa das Kleingeld einzeln abzuzählen versuchen, drängt sich auf.

Sieht so die Zukunft des Radverkehrs aus?

Das Interesse ist trotz Medienrummel bislang verhalten. Außer Reportern scheinen sich bislang wenig Nutzer für das Abstellen in den Türmen zu interessieren. Oder sie berichten ebenfalls von Schwierigkeiten beim Einparken. Offenbar deshalb sieht man aktuell in den Türmen auch keine geparkten Fahrräder. Die wenigen erfolgreich eingestellten Bikes werden vom System ökonomisch platziert, und das bedeutet, dass einzelne geparkte Räder im Bodenbereich der Türme stehen und nicht willkürlich ganz nach oben transportiert werden, wo sie durch die Glasfassaden zu sehen wären. Erst wenn es voller würde, könnte man die Fahrräder im Turm auch wahrnehmen. Das führt nun in der Anfangsphase zu einem zusätzlichen Henne-Ei-Problem: Die Türme sehen weiter unbenutzt aus und animieren nicht gerade zum Ausprobieren.

Die Türme sehen auch nach der Eröffnung weiterhin leerstehend aus | Foto: Deppe/Dombrowski

Wie lautet Reschkes Fazit? „Für zwei Millionen hätte man auch einen Fahrrad-Wachdienst anstellen können.“ Die regelmäßige Nutzung der Türme kann sie sich trotzdem vorstellen – aber sie will künftig eine halbe Stunde mehr Zeit einplanen und entsprechend früher zum Bahnhof fahren, um in Ruhe turmparken zu können. Der eigentliche Einparkprozess mag unter einer Minute bleiben – aber das Drumherum dauert noch viel zu lange.

Und wer ist jetzt dieser ominöse herausschießende Herr Bauchfeld? In Wirklichkeit sagt die Computerstimme: „Willkommen, der Bikesafe steht für Sie bereit.“

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Kommentare


  • Lydia Bertani sagt:

    Wie konnte das nur passieren?
    Da wäre ja vorher niemand drauf gekommen!
    Ich tippe ja darauf, dass diese Form von Lob nur auf Basis schlechter Laune zustande gekommen ist und eigentlich besser ordentlicher Zensur unterliegen sollte.

    Ich freue mich auf jeden Fall, dass man die Gelder an Auftragnehmer ausgeschüttet hat und dass es hübsche Einweihungsbilder von nicht die Spur eitlen Machern gegeben hat.
    Das Ergebnis all der Anstrengungen kann sich wie immer sehen lassen!

  • Lydia Bertani sagt:

    Zitat vorheriger Artikel „Mit dieser können auch weitere elektronischen Abstellanlagen in der Region in Pattensen, Langenhagen und seit neustem auch Dollbergen genutzt werden. “

    Ich finde ja, dass dieses Feature das Beste überhaupt ist!
    Man stellt sein Rad in den Teleporter, fährt dann mit Zug, Stadtbahn & Bus nach Pattensen, um dort sein Fahrrad wieder aus dem Teleporter zu holen.

    Das ist schon ganz schön raffiniert und ein echtes Leuchtturm-Feature!

  • wunstorfer sagt:

    Tja, was will man für lausige 2 Millionen Euro auch groß erwarten…

    Für das Geld hätte mann sicher für mehrere Jahre eine „Bahnhof-Security“ bezahlen können, die die normalen Fahrradabstellanlagen bewacht und den permanenten Fahrraddiebstahl unterbindet. Oder man hätte einfach die bestehenden Fahrradkäfige erweitern können, ggf. soagr ebenfalls mehrstöckig. Aber das wäre vermutlich nicht „hip“ genug gewesen…

  • D W sagt:

    Ich gehe davon aus, dass diese Pseudo-Abstellmöglichkeit als „Wunstorfer Roulette“ in die Geschichtsbücher eingehen wird.

  • Marion Bitterling sagt:

    Schade das man nicht daran gedacht hat eine Nachricht zu bekommen:
    Sie sind Wunstorfer und haben nun Ihren Zug verpasst wir bitten um Ihr Verständnis
    Kinder werden im Container Unterrichtet was für eine Verschwendung

  • Georg Braunroth C D U Butteramt sagt:

    Ich habe das in dem Vorstellungsartikel des Bürgermeisters schon kommentiert. Wenn Wunstorf eine Fahrradstadt werden soll, muss man bei der Gesamteinwohnerzahl mit etwa 20 000 Fahrradfahrern rechnen .Wenn davon nur 10% also 2000 statt mit dem Auto mit Fahrrad und Bahn fahren wollen (sollen) ist die Anlage schlecht geplant. 240 gehen in den Fahrradturm und 1760 kommen daneben in eine bewachte Einstellanlage. Da auch in Hannover und anderen größeren Orten immer mehr Innenstadtbereiche vom Autoverkehr ausgeschlossen werden, wird die Möglichkeit Fahrrad / Bahn immer öfter genutzt werden.

  • T. Brunner sagt:

    Das Projekt erinnert an den Rufbus von früher.
    Wunstorf steht für Leuchtturmprojekte.
    Leider bewahrheitet sich immer wieder, dass die Innovationen eben mit Kinderkrankheiten behaftet sind, die dazu führen, dass es Weiterentwicklungen gibt, die besser sind und das ehemalige Leuchtturmprojekt zur dunklen Materie verkommen lassen. Vielleicht bessert sich die Situation ja noch.
    Ich befürchte aber, dass es wieder einmal eine teure Investition für kurze Nutzungszeit sein wird. Die Bauruine bleibt dann jahrelang stehen bis sie auf Kosten der Steuerzahler abgerissen werden muss.
    Schön wäre, wenn die Gelder der Stadt für sinnvolleres ausgegeben würden.
    Vielleicht sollten Leuchttürme mal in anderen Städten gebaut werden.
    Wunstorf darf gerne mal auf bewährte, günstige Projekte zurückgreifen.

    • Dominik sagt:

      Welche Gelder der Stadt? Was hat denn die Stadt für Geld da investiert?
      Bitte nochmal mit den Fakten befassen. Danke.

  • Martin sagt:

    Also ich find die Türme gut. Funktioniert, Rad steht sicher und kein Andrang, weil viele es einfach nicht hinkriegen.

    • Gerhard sagt:

      Also, ich verstehe die ganze Kritik auch nicht.
      Ich wüsste gerne, wer von den Nörglern hier die Türme nutzt. Wahrscheinlich kaum jemand, es geht nur darum, Stimmung zu machen.
      Ich stell mein Rad 4 x die Woche im Tower ab, geht super.
      Frau Reschke, als Wunstorfer Macherin, probieren Sie es nochmal aus. Ist gar nicht so schwer.

      • Dominik sagt:

        Kann mich dem nur anschließen. Hab den Bike-Tower noch nicht so oft genutzt, aber rd. 7-9 mal schon und das hat immer gut geklappt.
        Die Freiburger haben ähnliche Systeme; die Dinger wurden von den Freiburgern gefeiert. Die sind super happy über das, was für den Radverkehr alles getan wird. Vielleicht sind die Freiburger auch einfach etwas pfiffiger. Und die Heidelberger wohl auch.
        Wunstorf – Deine Nörgler.

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