Wunstorfer Auepost
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Windrädchen, Eiskratzer und Cadenabbia-Mützen: Winterwahlkampf in der Wunstorfer Fußgängerzone

21.02.2025 • Daniel Schneider • 8 Min.Kommentare: 0

Das Winterwetter hat es den Wahlkämpfern nicht leicht gemacht zur vorgezogenenen Bundestagswahl, aber das Festfrieren von Gratiskugelschreibern konnte verhindert werden. Stattdessen wurden CDU-Wahlkämpfer mit Comicfiguren „verwechselt“ – und den Grünen kamen die Windräder abhanden. Die Auepost hat den außergewöhnlichen Wahlkampf der vergangenen Wochen beobachtet …

21.02.2025
Daniel Schneider
8 Min.
Wunstorfs CDU-Vorsitzender Martin Pavel im Winterwahlkampf | Fotos: Daniel Schneider

Das gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Bundestagswahlkampf mitten im Winter. Statt im spätsommerlichen Sonnenschein Blumen zu verteilen, stehen die Wahlkämpfer dick eingepackt mit Schal und Mütze bei klammen Fingern in der Wunstorfer Fußgängerzone und versuchen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Tchibo, Hanisch und Pesalla machen mit heißem Coffee to go den Umsatz des Jahres.

Die CDU-Wahlkämpfer aus dem Stadtverband trauen sich dabei was: Sie treten sozusagen uniformiert an in der Fußgängerzone. Alle tragen den gleichen Schal und die gleiche Mütze im neuen CDU-Farbton. Orange ist out, als Leitfarbe dient nun ein heller Blauton. „Cadenabbia-Blau“ wurde der von der Agentur getauft, in Anlehnung an Adenauers einstigen Lieblingsurlaubsort. Ein ins Azurblaue tendierender heller Türkiston.

Böse Verwechslung

Ob man den Farbton mag oder nicht ist die eine Frage – aber auffällig ist er auf jeden Fall und steht den Helfern. Die CDU-Wahlkämpfer stechen damit sofort ins Auge, der Wiedererkennungswert ist beachtlich. Mit schwarzen Mützen wäre das weniger gut gelungen. Der Punkt für den auffälligsten Wunstorfer Wahlkampfstand geht damit an die CDU. Dort hat man sogar die Werbegeschenke ans Wetter angepasst. In den Einkaufstaschen befinden sich unter anderem Eiskratzer.

Am CDU-Stand tritt man einheitlich in „Cadenabbia-Türkis“ auf

Mit spitzen Kommentaren Wunstorfer Passanten muss man allerdings immer rechnen. „Die sehen aus wie bei den Schlümpfen“, sagt jemand im Vorbeigehen mit Blick auf die CDU-Mützen zu seiner Begleiterin. Die Wahlkämpfer hören das nicht, und der Beobachter irrt: Die berühmten Comicfiguren tragen mehrheitlich weiße Mützen – und deren Clanoberhaupt ist bekanntermaßen farblich wohl eher Sozialdemokrat.

Peine neu bei TikTok und gleich durchbeleidigt

Abseits solchen Wahlkampfhumors sind die Themen durchaus ernst an den Ständen der Parteien. Das Thema TikTok ist etwa am Stand von Grünen und FDP Thema – und dass sich dort so viele junge Leute von der AfD angesprochen fühlen würden. Für komplexe oder ernste Themen wäre TikTok aber kaum zu nutzen – die Botschaften könne man bei 90 Sekunden Aufmerksamkeitsspanne einfach nicht rüberbringen, berichtet Jessica Peine von den Grünen. Dass es da Parteien mit scheinbar einfachen Lösungen besser gelänge, durchzudringen, verwundere nicht.

Grünen-Bundestagskandidatin Jessica Peine will mit frischem Wind in den Bundestag
FDP-Bundestagskandidat Jelger Tosch und Klaus-Jürgen Maurer werben für die FDP – Rebecca Schamber schaut Maurer vom Plakat über die Schulter

Auch die Grünen sind via Mützen uniformiert – aber etwas dezenter, in dunklem Grün mit angebrachtem Sonnenblumenlogo. Angesichts des jahreszeituntypischen Wahlkampfes muss improvisiert werden: Nicht Sonnenblumen werden verteilt, sondern Windrädchen. Die finden allerdings ebenso reißendes Interesse, ganz so, als wollten die Leute damit zu Hause tatsächlich Strom produzieren. Das könnten sie aber auch mit der CDU oder der SPD, die im Wahlkampf ebenfalls auf tragbare regenerative Energien setzen: Fast alle Parteien haben Windrädchen in Parteifarben im Angebot.

Auch die Grünen tragen „Uniformmütze“ – aber farblich dezenter plus Sonnenblume

Grünen-Bundestagskandidatin Peine kommt aus Garbsen, absolviert ihren allerersten Wahlkampfstandtermin aber in Wunstorf und ist seit kurzem auch auf TikTok – weil man es nicht den anderen überlassen dürfe. Aber schätzen lernen wird sie es wohl nicht. Nachdem ihre ersten beiden Videos online waren, habe sie so viele negative Reaktionen erhalten, dass sie reihenweise Nutzer blockieren musste, berichtet die Politikerin. Aktuell hat sie dabei gerade einmal 40 Follower.

Aber online ist nicht alles – der effektivste Wahlkampf sei immer noch der klassische Haustürwahlkampf, erzählt Reinhard Hüttermann am Grünen-Wahlkampfstand. Deshalb habe er sich in diesem Jahr erstmals dazu bereit erklärt, mit von Tür zu Tür zu ziehen. Gut zwei Stunden war er dafür unterwegs – und hat bei der Premiere gemischte Erfahrungen gesammelt. Mit vielen sei er ins Gespräch gekommen, aber es gab auch Bewohner, die ihn aufgefordert hätten, zu verschwinden. „Mehrfamilienhäuser sind einfacher“, zieht er ein erstes Fazit.

„Wieso wird darüber nicht berichtet?“

Jessica Peine (Grüne)

In Wunstorf waren die Wahlplakate mit Jessica Peines Gesicht darauf unter den ersten, die abgerissen wurden. Wie geht man damit um? Sie könne das aushalten, sagt sie der Auepost, bedauere aber, zu den Menschen nicht durchdringen zu können, die keine andere Möglichkeit sähen, als auf diese Weise ihre Ablehnung auszudrücken. Wirklich getroffen habe sie allerdings, als jemand in Garbsen eines ihrer Plakate mit „Aschaffenburg“ überschrieben hatte.

Peine vermisst oft die Faktentreue und die Beachtung der wirklichen Zusammenhänge in der politischen Diskussion. Den Medien gibt sie eine Mitschuld an einer verzerrten öffentlichen Wahrnehmung: Wenn Migranten Zivilcourage zeigten, dann lande das nicht groß in der Presse. Und dass auch in diesem Jahr in Deutschland schon wieder Frauen von ihren deutschen Partnern getötet worden sind – „wieso berichtet darüber niemand?“

Kandidatenkonzentration

So viele Bundestagskandidaten gleichzeitig in Wunstorf wie in diesen Tagen sind selten: Die Spitzenkandidaten des Wahlkreises von FDP, Grünen, Linken, CDU, SPD, AfD und Freien Wählern stehen an den Ständen in der Wunstorfer Fußgängerzone.

Stadtbaurat Alexander Wollny gerät im Vorbeigehen zwischen die Fronten von Grünen und Christdemokraten. Birgit Mares von den Grünen (links) verwirrt die politische Konkurrenz durch ähnliche Schal-Farbgebung.

Der Neujahrsempfang der CDU mit Kandidat Hendrik Hoppenstedt wurde erstmals in der Geschichte der Wunstorfer CDU von Polizeibeamten gesichert, erzählt Martin Pavel am Wahlstand – aufgrund der Entwicklungen in der Bundespolitik in den zurückliegenden Tagen. In anderen Städten war es zu Zwischenfällen bei CDU-Geschäftsstellen gekommen. Es sind Entwicklungen, die mit Bestürzung gesehen werden.

Hoppenstedt selbst betreibt Wahlstandhopping und wechselt an einem Tag auch zwischen mehreren Wahlständen in verschiedenen Kommunen hin und her, wie er der Auepost berichtet. Von Neustadt ist er beispielsweise auch noch nach Wunstorf gekommen. Es ist nicht nur Wahlkampf für ihn, sondern auch Respektbezeugung für die Parteikollegen, die nun wochenlang „für nichts“ in der Kälte stehen und für ihn trommeln.

Moment. Ist das wirklich Dr. Hoppenstedt?
Ja, und einen Eiskratzer gibt es auch noch mit dazu
Die SPD kümmert sich auch um die Innere Sicherheit
Den Grünen scheinen dagegen langsam die Windrädchen auszugehen
… und bei der SPD sorgt die CDU für Dezimierung

Berndt Günther am SPD-Stand vor dem Rathaus lässt den Bundestagswahlkampf kurz beiseite und erzählt in einer Kugelschreiberverteilpause, wie Kommunalpolitik im Hintergrund wirkt: Dass die Umlaufsperren am Auedamm verbessert worden sind und Radfahrer dort nun glücklichere Gesichter zeigten, das ginge auf SPD-Initiative zurück. Er selbst habe den Leuten solange hinterhertelefoniert, bis die Übernahme von damit zusammenhängenden Bundes- in Landesvorschriften eine Option geworden sei.

„Ich wünsch euch noch viel Spaß – aber keinen Erfolg“

Christiane Schweer (CDU) am SPD-Stand

Steinhudes CDU-Ortsbürgermeisterin Christiane Schweer mischt mit am Wahlkampfstand und stattet den Genossen bei der SPD einen Besuch ab. Kugelschreiber hat die CDU selbst genug auf Vorrat, aber Schweer möchte noch ein rotes Windrädchen abstauben. Das fehle noch in der Sammlung für die Familie. Man schätzt sich, aber im Wahlkampf gibt es politisch kein Entgegenkommen: „Ich wünsch euch noch viel Spaß … aber keinen Erfolg“, scherzt Schweer zur Verabschiedung.

Die SPD-Altersabteilung besetzt den Wahlstand an einem Marktfreitag. Gäbe es ein Mützenorakel, stünden die Zeichen klar auf große Koalition.
Trotzdem gute Laune: Wahlkampf im Schneegriesel

Migration ist auch bei der SPD Thema, viele sprechen es an. Ein bisschen Frustration ist bei ihm zu spüren, als Majid Atris erzählt, dass die Gesellschaftsgruppen, für die man viel erreicht habe, auf einmal sagen würden, dass sie anders wählen wollen. Und nicht nur einmal müssen sich die Genossen anhören: „Ihr habt den falschen Kandidaten aufgestellt.“ Damit ist nicht Wahlkreiskandidatin Rebecca Schamber gemeint, sondern der Bundeskanzler. „Pistorius hätte ich gewählt“, sagt eine Passantin im Weitergehen. Neben roten Eiskratzern und Windrädchen verteilt man Flummis und kommt damit vor allem bei Familien mit Kindern gut an.

AfD mit Extraschutz

An den anderen Ständen hatte man sich schon gewundert, ob die AfD gar nicht mehr auftauchen würde – nur zweimal zeigten die „Blauen“ im aktuellen Wahlkampf Präsenz in der Wunstorfer Fußgängerzone. Doch als sie am Freitag vor der Wahl wieder da sind, scheinen sie das direkt ausgleichen zu wollen: Der Stand unmittelbar neben dem Kuhbrunnen ist der größte in der Fußgängerzone, und personell fährt man ebenfalls richtig auf: Neben den Lokalpolitikern sind gleichzeitig auch Wunstorfs Landtagsabgeordnete und der Bundestagskandidat vor Ort.

AfD-Stand in der Langen Straße

Plakativ: Es ist tatsächlich der einzige Wahlstand ohne Windrädchen im Angebot. Stattdessen gibt es Einkaufswagenchips, Feuerzeuge, natürlich Kugelschreiber – und Gummibärchentütchen. Auf denen steht: „Zeit für den Flieger“.

Der AfD-Wahlstand ist auch der einzige, der von Wachschützern im Auge behalten wird – externe Securitymitarbeiter stehen am Rande und halten sich bereit, falls jemand beim Wahlkampf stören sollte. Vor allem in Hannover hat man bei der AfD schlechte Erfahrungen gemacht. Gebraucht wird die Sicherheit in Wunstorf jedoch nicht, auch wenn die AfD-Wahlkämpfer von manch Vorbeigehendem doch recht kritisch beäugt werden.

AfD-Wahlkämpfer mit Bundestagskandidat Dirk Brandes (3. v. l.)

Während Dirk Brandes, der bereits für die AfD im Bundestag sitzt, gerade erklärt, dass es hier bei der AfD keinen versteckten Hitler gebe, bleibt ein Passant genau in diesem Moment im Vorbeigehen kurz stehen und ruft den AfD-Wahlkämpfern betont zu: „Ist das hier die Nazipartei?“ Der Mann wird ignoriert, er setzt seinen Weg ohne Gummibärchen fort. Andere Passanten kommen gezielt auf den Stand zu, freuen sich oder signalisieren Zustimmung und lassen sich mit Infomaterial ausstatten.

Nicht mehr so knapp für Napp

Ungewöhnlich hoch ist bei dieser Wahl die Zahl der Bundestagskandidaten, die direkt aus Wunstorf kommen: Volker Napp (Linke) und Jelger Tosch (FDP) leben in der Stadt, ebenso wie Kerstin Obladen. Die ehemalige FDP-Kommunalpolitikerin ist nun bei den Freien Wählern, hat einen eigenen Ortsverband gegründet und tritt nicht nur als Direktkandidatin zwischen Neustadt und Burgdorf an, sondern kam auch gleich weit oben auf die Landesliste. Wenn entsprechend viele Menschen im Wahlkreis das Kreuzchen bei ihr setzten, würde eine Steinhuderin in den Bundestag einziehen.

Volker Napp (li.) ist Bundestagskandidat für die Linke

Linken-Bundestagskandidat Volker Napp nutzt die Gelegenheit und erzählt, dass die Partei sich gerade verjünge, und berichtet von der Wuchermieten-App der Partei. Mit der lässt sich herausfinden, ob man zu hohe Miete zahlt. Werde die App fündig, informiere sie automatisch das Ordnungsamt. Das Angebot funktioniert allerdings bislang nur in Großstädten wie etwa Hannover.

„4 Stunden im Regen stehen muss ich nicht haben“

Volker Napp (Die Linke)

Ansonsten freut er sich sichtlich, dass die Umfragewerte der Linken zu einer Aufholjagd angesetzt haben – es scheint nicht mehr so knapp zu werden für die Partei wie zunächst angenommen.

Währenddessen muss sich die CDU ein paar Meter weiter von jungen Leuten die Meinung zu Merz und der Brandmauer sagen lassen. Es bleibt die Ausnahme. Viel Kritik bekämen sie am Stand gar nicht zu hören, sie seien überrascht, wie viele Menschen vielmehr Zustimmung signalisieren würden, berichtet Dagmar von Hörsten, während sie türkisfarbene Kugelschreiber anbietet. Ein Spießrutenlaufen müssen die Wunstorfer Christdemokraten nicht fürchten.

Kaffeebecher mit Jusos-Aufkleber am SPD-Stand

Auch bei der FDP schlagen junge Leute auf, aber vor allem mit Fragen, was mal später mit ihrer Rente sei. Die Linken hören viel über geringes Einkommen und hohe Lebensmittelpreise – und werden auch auf das BSW angesprochen. Die Migration ist an allen Ständen ein Thema.

Ganz neue Probleme ergeben sich im Winterwahlkampf: Da fast alle eine Mütze tragen, sind die Politiker kaum auf den ersten Blick zu erkennen, Wahlplakate und Kandidaten lassen sich erst auf den zweiten Blick zuordnen. Als gegen Mittag die Sonne auf einmal zu scheinen beginnt, nimmt immerhin Napp doch noch die Mütze ab. Am Tag zuvor hatte er noch vier Stunden im Regen gestanden. Auf der Anzeige der ehemaligen Volksbankfiliale im Hintergrund wechselt die Temperaturanzeige plötzlich auf 5 Grad. Napp bemerkt es und nimmt es lächelnd als Omen für die zu überstehende 5-Prozent-Hürde.

Orange-Blau dabei

Die Farben Orange und Blau der Freien Wähler sind erstmals im Wunstorfer Wahlkampf zu sehen. Dass die Mitglieder noch neu im Wahlkampf sind, zeigt sich bei ein paar Anlaufschwierigkeiten. So will das Partei-Roll-up einfach nicht aufrecht stehen bleiben – bis Obladen auf den ausklappbaren Stabilisierungsfuß aufmerksam macht.

Kerstin Obladen (re.) für die Freien Wähler
Lokaler geht’s kaum: Steinhudemotivseife als Wahlwerbegeschenk

Die besten Standplätze waren allerdings sowieso schon längst an die anderen Parteien vergeben. Die Stadt hat den Freien Wählern den Platz noch kurzfristig vor der Stadtsparkasse zugeteilt – unter einem Baum, von dem permanent Tauwasser des schmelzenden Schnees herabtropft. Ein Parteisonnenschirm, der jetzt praktisch wäre, fehlt noch im Sortiment.

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