Das konnte nicht funktionieren: Eine „Kulturnacht“ zwischen 17 und 22 Uhr am längsten Tag des Jahres – die 2. Wunstorfer Kulturnacht war der Nacht so nah wie der Schützenplatz dem Nordwallparkplatz.
Auch der besondere Zauber der ersten Kulturnacht vor zwei Jahren schien nicht wiederholbar zu sein. Die damalige Atmosphäre mit September-Lichtstimmung, der Reiz des Neuen und der Charme des Improvisierten wollte sich nicht mehr recht einstellen. Fast schon zu perfekt war diesmal die Organisation. Den Besuchern war das egal – sie kamen in Scharen für die vielen unterschiedlichen Vorstellungen. Tausende Menschen verfolgten am Freitag, den 20. Juni, die zweite Ausgabe der Kulturnacht und wurden damit auch selbst zum Teil des Wunstorfer Kulturereignisses des Jahres.
Die Stimmung war so großartig, dass die auftretenden Künstler teilweise während ihrer Auftritte selbst die Smartphones zur Dokumentation zückten. Gut kam das erweiterte gastronomische Angebot an: Die örtlichen Gastronomen waren diesmal stärker eingebunden – und es gab mehr Stände zum Auftanken zwischen den halbstündigen Kulturhappen. Das Cantera bot wie vor zwei Jahren wieder die Kulturnacht-Burger an – der Erlös ist diesmal für den Verein Helfende Raben bestimmt.
Brazzo Brazzone eröffneten um 17 Uhr mit fetziger Musik – es wirkte wie der inoffizielle Startschuss zur zweiten Kulturnacht. Denn eine zentrale Bühne gibt es bei der Nacht der Kultur nicht. Parallel dazu starteten auch die ersten weiteren kulturellen Programmpunkte in der Innenstadt. Kultur gehöre auf die Straße, nicht in ferne Kulturtempel. Mit diesem Statement eröffnete Kulturnetzwerk-Sprecher Hajo Arnds gemeinsam mit Bürgermeister Carsten Piellusch die zweite Wunstorfer Nacht der Kultur. Aus dem Publikum gab es dafür Zustimmungsrufe und viele nickende Köpfe.
Eines ist definitiv gleich geblieben beim Konzept: Die Nacht der Kultur sieht jeder mit anderen Augen, und das nicht nur im übertragenen Sinne – denn die Spielorte sind so breit gesät, dass man in den vorgesehenen vier Stunden nicht jede Darbietung mitverfolgen kann – auch nicht, wenn man sich einen genauen Fahrplan ausarbeitet. Lieblingsprogrammpunkte müssen selbst herausgesucht werden.
Viele taten das und suchten bestimmte Vorstellungen gezielt auf. Ganz auffällig war das beispielsweise beim Orgelspiel von Stiftskantorin Claudia Wortmann. Als dieses auf dem Programm stand, strömten die Menschen geradezu auf den Stiftshügel. Das ungewöhnliche Orgelspiel war eines der Highlights für viele: Filmmusik aus Harry Potter und Star Wars in der Kirche versprach ein neues Erlebnis. Tatsächlich war das kleine Konzert außergewöhnlich, die sakrale Aura wirkte für sich. Regelrecht andächtig lauschte das Publikum, kaum jemand wagte, die Kirchenbänke vorzeitig zu verlassen. Es war auch die einzige Vorstellung im Rahmen der Kulturnacht, in der das Publikum mit dem Rücken zur Protagonistin saß. Aber auch Wortmann saß an der Orgel mit dem Rücken zum Kirchenschiff – damit war die Lage wieder ausgeglichen.
Kabarettistin Liese-Lotte Lübke hatte das Publikum mit der gesungenen Hommage an den samstäglichen Wertstoffhofbesuch im Griff, schlug neben den heiteren aber auch ganz tiefsinnige Töne an. Das Kabarett wurde ebenfalls überrannt – die Leute pressten sich so sehr in die Abtei, dass dem Brandschutzbeauftragten schwindelig geworden wäre. Der wurde aber bei den Trommeltänzern gebraucht, die Feuerspucken in die Performance integrierten.
Zwei Gestalten aber haben wahrscheinlich alle Besucher einmal gesehen, auch wer sich nur an einem Ort aufgehalten hat: Den Clown und den Wunstorfer Nachtwächter. Beide tauchten immer wieder selbst ein ins Geschehen – und entsprechend unerwartet auf zwischen den verschiedenen Darbietungen und Spielstätten. Der Clown wirkte dabei, als wäre er ein paar Tage zu spät dran fürs Wunstorfer Entenrennen, machte aber bei jedem Kulturangebot mit – sogar zwischen die Line-Dancer mischte er sich gekonnt.
Wer die Auftritte nicht gezielt ansteuerte, ließ sich treiben und entdeckte auch auf diese Weise neue Darbietungen. Vor allem die Bands und Orchester, die unter freiem Himmel spielten, tauchten immer wieder wie überraschend auf. Egal, welche Richtung man einschlug – überall war Musik. Die Idee, erstmals auch den Abteihof hinter der Sparkasse zur Bühne zu machen, erwies sich als genial: Wie gemacht schien der Bereich für großes Publikum. Dabei war es ursprünglich nur eine Notlösung gewesen: Man brauchte noch mehr Orte, an denen man größere Gruppen auftreten lassen konnte. Nun sah man Capoeira, Feuertänze und Streichermusik dort, wo sonst nur Autos wenden.
Aber auch zufällige Besucher gab es. Sebastian N. etwa. Der Wunstorfer war eigentlich mit der Familie nur zum Eisessen in die Innenstadt gekommen – und fand sich dann plötzlich mitten in der Kulturnacht wieder. Das Eis gab es trotzdem – und jede Menge Kultur gratis dazu.
Spätestens gegen 19 Uhr war die Innenstadt rappelvoll, die Fußgängerzone quoll über vor Kulturhungrigen. Ab 21 Uhr konzentrierte sich das Geschehen dann auf den Rathausinnenhof, wo die Big Band der Musikschule die Kulturnacht beim Abschlusskonzert ausklingen ließ. Auch hier wurde es wie vor zwei Jahren noch einmal richtig voll, und bei allmählich doch anklingender Dunkelheit wurde die Kulturnacht ihrem Namen noch etwas gerecht.
siehe auch: 100 Fotos von Wunstorfs zweiter Nacht der Kultur
„Für die Seele der Menschen“ sollte die Kulturnacht sein. Das war sie, und außerdem noch ein kulturelles Sommermärchen. Und sie hat die Maßstäbe neu definiert, was Kultur für Wunstorf bedeuten kann. Dank vieler Beteiligter vor und hinter den Kulissen und noch viel mehr Besuchern ist jeder Zweifel ausgeräumt: Wunstorf ist nicht mehr nur Kunstorf, sondern kann, wenn alle zusammenarbeiten, in die Region ausstrahlende Kulturstadt sein.
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