Wunstorf (ds). Siebzehn Minuten weniger Fahrtzeit auf der Bahnstrecke Hannover-Bielefeld. Darum geht es im Kern bei dem Neubau der auch durch Wunstorf führenden ICE-Bahnstrecke. Statt wie heute 48 Minuten sollen Hochgeschwindigkeitszüge künftig nur noch 31 Minuten auf diesem Streckenabschnitt benötigen. Das Ganze ist Teil des Projekts „Deutschlandtakt“, das Bahnfahren schneller und zuverlässiger machen soll. Durch den Ausbau zur viergleisigen Strecke soll zudem mehr Güter- und Personenverkehr auf die Schiene gebracht und CO2 eingespart werden.
Vor diesem Ziel steht als Hindernis Wunstorf: Die ICE-Strecke macht eine Kurve mitten durch den Ort und bildet ein Nadelöhr, denn die Strecke zwischen Minden und Wunstorf ist nur zweigleisig ausgeführt. Um vier durchgehende Gleise zwischen Hannover und Minden zu realisieren, liegen nun zwei Möglichkeiten auf dem Tisch: Die Strecke durch Wunstorf und darüber hinaus verbreitern – oder eine neue Strecke an der Kernstadt vorbeiführen. ICEs halten ohnehin nicht im Wunstorfer Bahnhof: Die Station entspricht der Bahnhofskategorie 3, ist Knotenpunkt im Regionalverkehr und Zentralbahnhof einer Mittelstadt, aber ohne Bedeutung im Fernverkehr – abgesehen von gelegentlichen Ausnahmen.
Aus Gesamt-Wunstorfer Sicht ergibt nur ein vollständiger Trassenneubau Sinn: Eine Ausfädelung auf der bisherigen Strecke bei Lohnde – und dann eine neue Trasse entweder entlang des Mittellandkanals oder der A2. Denn die größten Nachteile für die Stadt entstünden, wenn die bestehende Strecke lediglich ausgebaut wird. Brückenbauwerke wie an der Barnestraße und Kolenfelder Straße müssten abgerissen und neu errichtet werden, Grundstücke von Anliegern an der Bahnstrecke würden direkt an Lärmschutzwände grenzen, die Bausubstanz von Häusern könnte durch Erschütterungen gefährdet sein.
Aber vor allem der Wunstorfer Bahnhof müsste tiefgreifend verändert und umgebaut werden: Der komplette Mittelbahnsteig zwischen dem heutigen Gleis 8 und 9 inklusive Fahrstuhlanlage müsste entfernt werden, 21 Weichen wären neu zu bauen. Die Stadt ginge in diesem Fall von jahre- bis jahrzehntelangen großen Beeinträchtigungen für den Verkehr aus. Es wäre ein „Riesen-Eingriff in den Bestand“, so Baustadtrat Alexander Wollny. Die Probleme, die schon jetzt entstehen, nur weil auf einer Nebenstrecke öfter Güterzüge fahren als früher, würden sich dagegen wie Problemchen ausnehmen. Die Kernstadt würde zu einer einzigen großen Verkehrsbaustelle werden.
Die Vorstellung eines jahrelangen Bahnhofs- und Streckenneubaus durch die Stadt löste in der jüngsten Wunstorfer Ortsratssitzung direkt Belustigung aus: Die Bahn scheitere ja schon an der zeitnahen Reparatur eines Fahrstuhles, wie solle dann der gesamte Bahnhof zügig umgebaut werden? Aber auch für das Bahnprojekt selbst würden sich bei dieser Lösung Nachteile ergeben, denn auch auf der ausgebauten Strecke könnten aufgrund des Verlaufes nur maximal 160 km/h gefahren werden – das Ziel der Zeitersparnis von 17 Minuten wäre nicht zu erreichen.
Bleiben die Neubautrassen an der Kernstadt vorbei: Diese könnten entlang des Mittellandkanals und entlang der Autobahn jeweils an Kolenfeld vorbeiführen. Die aus Sicht der Verwaltung zweitschlechteste Variante wäre der Neubau am Mittellandkanal, da es etwa den Yachthafen Idensen beeinträchtigen würde und auch generell die Naherholungsbereiche am Mittellandkanal. Auch wirtschaftlich würde diese Lösung westlich von Kolenfeld zum Problem: Der angestrebte Trimodale Standort im Gewerbepark Süd-West (Schiene, Straße und Wasserweg gleichermaßen) wäre mit einer Bahntrasse zwischen Kanal und Gewerbegebiet nicht mehr umsetzbar. Nicht zuletzt wäre Kolenfeld vollends vom Stadtgebiet abgeschnitten und stattdessen dann zwischen zwei Verkehrssträngen – Autobahn und ICE-Strecke – eingekeilt.
Daher spricht sich die Stadt für die dritte Variante aus und bittet hierfür um Zustimmung der Gremien: Den Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke an der A2 entlang. Dabei gebe es keine Eingriffe in Naherholungsbereiche und auch keine zusätzliche Zerschneidung der- bereits durch die Autobahn zerschnittenen – Landschaft. Vielmehr ergäben sich Vorteile bei den Lärmemissionen: Durch die Bündelung von Straße und Schiene würden sich die Lärmpegel an dieser Stelle konzentrieren, aber dadurch nicht „verdoppeln“.
Doch gegen diese noch recht neutrale Stellungnahme zum Bauvorhaben regte sich Protest in den Ortsräten. Sowohl der Kolenfelder als auch der Wunstorfer Ortsrat schlossen sich zwar dieser Positionierung – entlang der Autobahn – an, verlangten aber im Fall der Fälle eine Streckenführung auf der Südseite der Autobahn – was einem Verlauf auf Barsinghäuser Gemeindegebiet bedeuten würde. Auch der Bauausschuss fasste zwischenzeitlich einen entsprechenden Beschluss.
Dass es gegen eine neugebaute Trasse unter Umgehung von Wunstorf vehementen Widerstand in den Nachbarkommunen und auch generell im Schaumburger Land und in NRW gibt, ist man sich bewusst – doch nun solle auch in Wunstorf mal „Kirchturmpolitik“ gemacht werden, sagte etwa Kirsten Riedel (SPD) im Wunstorfer Ortsrat. Bislang habe man sich zu sehr zurückgehalten. Zurückhaltung war der Stadt auch schon vonseiten des Kolenfelder Ortsrates vorgeworfen worden, wo man sich auch die Gründung einer Bürgerinitiative wünscht.
Genereller Widerspruch kam von Andreas Niepel (AfD) im Wunstorfer Ortsrat: Der Aufwand für 17 Minuten Fahrzeitgewinn sei „aberwitzig“ – diese Zeitersparnis ginge sowieso in der allgemeinen Verspätung der Bahn unter. Das gesamte Vorhaben – alle drei Varianten – sei deshalb den Bürgern nicht zumutbar, die Stadt solle daher gar keine Empfehlung aussprechen. Peter Scholz von den Grünen widersprach direkt: Man könne den Bau nicht auf die Zeitersparnis von 17 Minuten reduzieren, es ginge um den gesamten sogenannten Deutschlandtakt – der Inlandsflüge unattraktiv machen soll. Die Stellungnahme der Stadt zugunsten einer Variante sei daher völlig in Ordnung. Dem schloss sich Sören Thoms von der SPD an: Nicht die Stadt entscheide, sondern sie könne nur eine Empfehlung zu einer der möglichen Varianten äußern.
„Ich bin mir sicher, dass sie nicht kommen wird“
Kirsten Riedel
Konkrete Trassen sind bislang nicht skizziert, nur mögliche Korridore in der Diskussion. Während sich Wunstorf nun klar positioniert, ist der Druck aus den Nachbarkommunen in die entgegengesetzte Richtung immens – dort sieht man jegliche Neubautrasse kritisch, und prinzipiell wäre trotz immenser Nachteile für Zugverkehr und Stadt auch ein Trassenausbau in Wunstorf durchführbar. Kirsten Riedel (SPD) ist sich dennoch gewiss, dass ein Ausbau der Bestandsstrecke durch Wunstorf nicht Wirklichkeit werden wird: „Ich bin mir sicher, dass sie nicht kommen wird“, so die Ratsfrau zur möglichen weiteren Gleiskonzentration. Der Bahnhofsumbau stünde dem entgegen.
In diesem Falle blieben die Optionen entlang der A2 oder des Mittellandkanals, wovon die Stadt eine Streckenführung an der Autobahn am sinnvollsten einschätzt – und das eben südlich der A2, auf Barsinghäuser Gebiet. Vor allem die Groß Munzeler und Bantorfer dürften das wiederum anders sehen.
Martin Ehlerding (SPD) unterstrich die Positionierung Wunstorfs in der Stadtratssitzung am 11. Mai noch einmal deutlich: Man habe sich bisher in „guter Wunstorfer Tradition“ zurückgehalten und abgewartet, welche Planungen die Bahn am Ende tatsächlich verfolgen würde, um darauf aufbauend eine Empfehlung abzugeben – während andere Kommunen nach dem Sankt-Florian-Prinzip schon vor Jahren schlicht „nicht vor meiner Haustür“ gesagt hätten. Sowohl die Kernstadt Wunstorf als auch Kolenfeld seien durch die bestehenden Verkehrswege bereits jetzt stark belastet – die Lasten sollten jedoch gleichmäßig auf die Kommunen verteilt werden.
Ehlerding forderte die Stadtratsmitglieder auf, geschlossen zu stimmen, um ein starkes Signal insbesondere an Kolenfeld aussenden zu können: „Wir sind an eurer Seite“. Es sei gelungen, in den Gremien einen starken Konsens auszuarbeiten – und man sei bereit, diese Positionierung für die Zukunft zu verteidigen.
Dem schloss sich der Stadtrat einstimmig an und votierte nach den betroffenen Ortsräten (Idensen, Kolenfeld, Wunstorf, Luthe), dem Bauausschuss und dem Verwaltungsausschuss für die Annahme der Positionierung: Die ICE-Strecke Hannover–Bielefeld soll als Neubautrasse entlang der A2 verlaufen – und das möglichst südlich der Autobahn.
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