Wunstorf (as). Den Stand der Dinge zu überblicken, ist auch für Eingeweihte schwierig. Ein gestandenes Ratsmitglied fand in diesen Tagen diese Kurzformel: „Verworren. Vollkommen verworren“. Lange schon – im Grund seit Beginn der vielen Beratungen – sind die Fronten zwischen Stadt und Eigentümer verhärtet. Gegenseitige Kritik und Vorwürfe bestimmen das Bild. Widersprüchliche, teils gegensätzliche Darstellungen von Vereinbarungen und Verhandlungen erschweren eine Lösung, die angesichts völlig unterschiedlicher Ziele ohnehin in weiter Ferne scheint.
Während der Düsseldorfer Projektentwickler Björn Hiss mit seiner Firma Neue Mitte Wunstorf (NMW) wesentliche Teile des städtebaulichen Vorhabens auf dem 60.000 Quadratmeter großen Areal anders gestalten will als im siegreichen Entwurf eines Wettbewerbs von 2017, erwartet die Stadt dessen weitgehende Verwirklichung. Im Kern geht es um Details des Lärmschutzes und die Gestaltung der Grünflächen. Auch die Intensität der Bebauung ist ein Thema. Für die Stadtverwaltung sind ein Erdwall mit einer Schutzwand – der Projektentwurf geht von einer Höhe von insgesamt 16 Metern aus – entlang der Bahngleise und ein zentraler Park unerlässlich. Diese Position wird von einer breiten Mehrheit im Rat der Stadt unterstützt.
Hiss‘ Firma Deutsche Siedlungsbau hat die Brache 2022 erworben und die Projektgesellschaft Neue Mitte Wunstorf gegründet. Der Projektentwickler kannte von Anfang an die Details des Gewinnerbeitrags aus dem Wettbewerb und die Festlegungen der Stadt. Dennoch formulierte er schon sehr bald sein Ziel, den Wall zu reduzieren und die Grünflächen zwischen die Bauten zu verteilen.
Die Positionen liegen trotz vieler Gesprächsrunden so weit auseinander, dass die Stadt das Projekt mit der Zustimmung des Rates im Dezember 2023 auf Eis gelegt hat. Auch Hiss hat erklärt, dass er seine Planungen nicht mehr fortsetzt: Er werde „aus dem Lead“, der Führungsrolle, zurückzutreten, hat er gegenüber der Stadt formuliert. Dennoch arbeitet er nun daran, ein Bauprojekt auf dem Vion-Gelände zu verwirklichen. Ob es seine wirkliche Absicht ist, einen Komplex von fünf Blocks mit Sozialwohnungen „innerhalb kurzer Zeit“, wie er sagt, an der Jenaer Straße zu errichten, ist unklar. Richtig ist, dass die Stadt bezahlbaren Wohnraum dringend benötigt, alle Akteure den Bau fordern, aber bislang kein Vorhaben angeschoben worden ist.
Auch im Entwurf für das Wohnquartier Neue Mitte sind Sozialwohnungen vorgesehen, standen aber als Thema der Gesprächsrunden nicht im Vordergrund. In Rathaus und Rat erscheint es möglich, dass Hiss den Vorstoß jetzt – entgegen der Aussage, das Projekt nicht mehr voranzutreiben – als Druckmittel einsetzt und taktisch agiert. Über seine inzwischen guten Kontakte in die Wunstorfer Kommunalpolitik hat er früh davon erfahren, dass seine Bauvoranfrage abgelehnt werden soll. Sollte dem der Rat im Mai zustimmen, kann er seinen ständigen Vorwurf wiederholen, die Stadt halte stur am ursprünglichen Plan und ihren Maximalforderungen fest. Die Stadt kann wieder kontern, sie sei Hiss und Neue Mitte Wunstorf wiederholt entgegengekommen und immer wieder verhandlungsbereit gewesen. Das seit vielen Monaten bekannte Spiel würde in eine neue Runde gehen.
Hiss hat schon angekündigt, gegen die Ablehnung seiner Voranfrage werde er klagen. Damit geriete der Streit in eine neue Dimension: Aus Beratung, Verhandlung und Streit würde ein Gerichtsprozess. Ob Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) und Hiss das Anfang Mai abwenden können, wenn sie ein bereits vereinbartes Gespräch führen, im Rathaus oder in einer Videokonferenz, muss abgewartet werden. Stadtsprecher Alexander Stockum lässt an zwei Positionen keinen Zweifel: Die Stadt bleibe verhandlungsbereit, auch wenn das Projekt auf Eis liege. Und: Die Bebauung einer Teilfläche mit Sozialwohnungen komme nicht in Frage. Das passe nicht ins Gesamtkonzept.
Dieses Konzept von 2017 hat inzwischen zwei Projektentwickler auf den Plan gerufen, und schon ist von „weißen Rittern“ die Rede. Zwei in der Branche etablierte Großunternehmen haben sich im Rathaus über den Stand der Dinge informiert. Beide „Big Player“ seien bereit, auf die Bedingungen der Stadt einzugehen, heißt es aus der Stadtverwaltung. Beide würden den Siegerentwurf aus dem Wettbewerb so umzusetzen, wie es sich die Stadt wünsche. Einer der beiden Interessenten habe bereits in Niedersachsen ein ähnliches Vorhaben verwirklicht. Auch ein großer Lärmschutzwall sei dabei gebaut worden. Hiss weiß von den Gesprächen der Investoren mit dem Bürgermeister und hat nach eigenen Angaben den Unternehmen seinen Standpunkt und seine Erfahrungen übermittelt. Einer der Interessenten habe sich daraufhin zurückgezogen, teilt Hiss der Auepost mit.
Stadtsprecher Stockum bestätigt das nicht. Bei dem Unternehmen handelt es sich um eine saarländische Firmengruppe, die sich auf die „Revitalisierung komplizierter und kontaminierter Industrieflächen“ spezialisiert hat. Auf diesem Feld sei die Geschäftsentwicklung rasant. Das Unternehmen erklärt, im weltweiten Vergleich auf Platz 8 zu stehen. Stockum sagt, das Gespräch mit dem zweiten Interessenten vor wenigen Tagen eröffne Perspektiven und gebe Anlass zur Hoffnung.
Piellusch und Hiss wollen die neue Situation in wenigen Tagen besprechen. Hiss betont vorher, NMW werde nicht unter Wert verkaufen. Wenn überhaupt ein Verkauf in Frage kommen sollte, so will er einen Erlös erzielen, der seine bisherigen Ausgaben deckt. Das heißt, es ginge um eine Summe von etwa sechs Millionen Euro. Er hofft weiter auf das Einlenken der Stadt und bereitet zum Tag der nächsten Ratssitzung zwei öffentliche Aktionen vor: Am 15. Mai soll das Grundstück am Luther Weg um 13 Uhr für jedermann geöffnet werden. Alle Interessierten sollen sich ein Bild vom Gelände machen können. Von 15 Uhr an will Hiss im Lokal „Calenberger“ an der Adolf-Brosang-Straße mit seinen eigenen und externen Experten über seine Pläne informieren.
Die Stadtverwaltung, so Hiss, habe kein Interesse an dem Termin. Mehrere Versuche, darüber in Kontakt zu treten, seien im Rathaus gescheitert. Hiss meint, die Ratsmitglieder müssten doch erfahren wollen, was er vorhabe, bevor sie in der Ratssitzung am Abend gegen seine Bauvoranfrage stimmten. Er versteht die beiden Termine ausdrücklich auch als Angebot an die Kommunalpolitiker, von denen er glaubt, dass sie von der Stadtverwaltung nicht ausreichend informiert werden.
Kritik am Umgang der Stadt mit dem Thema kommt erneut von den Grünen. Sie verlangen eine konzentrierte Suche nach Lösungen und den Verzicht auf persönliche Eitelkeiten im Umgang miteinander. Verwundert und verärgert sind die Mitglieder der Stadtratsfraktion, dass Bürgermeister Piellusch ihre Bitte um einen Gedankenaustausch abgelehnt hat. Sie verstehen seine Begründung nicht, es gebe zur Zeit keinen Anlass für ein Treffen.
Dass der aktuelle Vorstoß von Hiss nicht nur im Rathaus auf Ablehnung stößt, sondern wahrscheinlich auch im Rat der Stadt keine Mehrheit finden wird, zeigt die jüngste Sitzung des Wunstorfer Ortsrates. Im vertraulichen Teil wurde die Bauvoranfrage von NMW abgelehnt, wie vom Rathaus vorgeschlagen. Somit ist vorauszusehen, dass auch der Rat am 15. Mai dem Bau von Sozialwohnungen an dieser Stelle nicht zustimmen wird. Der Tagesordnungspunkt wird hinter verschlossenen Türen behandelt.
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