Steinhude (red). Verletzte, Unterkühlte, im Sturm treibende Menschen und gekenterte Boote – das ist der Ausgang eines Abends, der den Höhepunkt des Festlichen Wochenendes darstellen sollte: Das Höhenfeuerwerk vor Steinhude und Mardorf auf dem Steinhuder Meer, genannt „Steinhuder Meer in Flammen“. Es ging nahtlos über in „Steinhuder Meer in Seenot“.
Als das Wetter ungewöhnlich schnell von lauer Sommernacht (mit Windstille bis maximal Windstärke 1) in Sturm (mit Windstärke 8) umschlug, befanden sich sehr viele Boote auf dem Steinhuder Meer, um beim sommerlichen Event des Jahres mitzuwirken oder das Feuerwerk vom Wasser aus zu betrachten. Die schmuckvolle Beleuchtung der Boote trägt traditionell zum Gesamtbild der Veranstaltung bei.
Da „Steinhuder Meer in Flammen“ die einzige Möglichkeit im Jahr ist, das Steinhuder Meer auch bei Nacht zu befahren, übte es für viele Teilnehmer zusätzlich einen besonderen Reiz aus. Nicht nur die großen Segelschiffe waren damit auf dem Meer, sondern quasi alles, was schwimmen konnte: Kanus, Kajaks, Paddleboards, kleine Jollen, Tretboote, Ruderboote und Schlauchboote waren gleichermaßen auf dem Wasser.
Nun kehrten sie nach dem Feuerwerk nicht allmählich und gemütlich zu ihren Ablegepunkten, Stegen und Häfen zurück, sondern kämpften auf einmal dagegen an, die Kontrolle zu behalten und überhaupt noch von der Stelle zu kommen in hohen Wellen und Windböen. Viele schafften es aus eigener Kraft nicht mehr ans Ufer, sondern trieben ab. Kleinere Boote kenterten, größere Boote liefen auf Grund.
Nicht nur auf dem Wasser wurde es gefährlich, auch an Land: Gastronomen sicherten ihre Stände und Lokalitäten, und die Besucher des Festareals wurden aufgefordert, das Gelände zu verlassen – die Veranstaltung wurde beendet.
Um genau 22.20 Uhr, eine Minute nach Ende des Feuerwerks, hatte der Sturm schlagartig eingesetzt, ohne dass er sich vorher in irgendeiner Weise angekündigt hätte. Zeit zum Reagieren blieb den Booten nicht mehr. Wer in der Nähe des Ufers war, hatte Glück und konnte sich teilweise noch an Land retten – oder hatte Pech und lief direkt auf oder kollidierte mit anderen Booten. Weiter draußen auf dem Steinhuder Meer bekamen viele vor allem unerfahrene Bootsfahrer nun aber ebenfalls ernste Schwierigkeiten – und die erfahreneren waren dem Sturm teils ebenso hilflos ausgesetzt.
Die ersten Notrufe gingen bei der Feuerwehr ein, und eine großangelegte Rettungsaktion begann. Glück im Unglück war, dass viele Rettungskräfte bereits vor Ort waren, da sie regulär beim Festlichen Wochenende im Einsatz waren und daran teilnahmen: Die Schnell-Einsatz-Gruppe der Johanniter Unfallhilfe, die Feuerwehr Steinhude, die Einsatzleitung der Stadtfeuerwehr und die Wasserschutzpolizei waren etwa in Steinhude präsent. Die Hilfsmaßnahmen konnten daher schnell vor Ort koordiniert werden. Innerhalb kurzer Zeit waren alle Boote, die für die Personenrettung in Frage kamen, im Einsatz – rund 15 Einsatzboote beteiligten sich zunächst an den Rettungsmaßnahmen. Vom Ufer aus waren die Boote meist an ihren Blaulichtern erkennbar, sie fuhren schnell an verschiedene Stellen im Steinhuder Meer.
Aufgrund der Lage wurde entschieden, auch die Wasserrettung der Feuerwehren Nienburg, Neustadt und Seelze sowie die umliegenden DLRG-Einheiten mit ihren Booten nach Steinhude zu alarmieren, so dass am Ende eine Vielzahl weiterer Rettungsmittel zur Verfügung stand. So rückte etwa die Feuerwehr Neustadt um 23.10 Uhr mit ihrem Rettungsboot Richtung Steinhude aus, um den laufenden Großeinsatz zu unterstützen. Die Wettfahrtvereinigung, die selbstorganisierte Hilfe für Boote auf dem Steinhuder Meer, die bei Problemen ähnlich wie die Feuerwehr zu Hilfeleistungen auf dem See ausrückt, war am Ende sogar mit 16 Booten im Einsatz, statt normal mit 4 Booten.
Um das etwa 30 Quadratkilometer große Steinhuder Meer schneller absuchen zu können, wurden alle Drohnen der Regionsfeuerwehrbereitschaften der Region Hannover alarmiert. Auf diese Weise kamen fünf Feuerwehr-Spezialdrohnen, die auch bei schlechtem Wetter fliegen können, eine große Betriebsdauer haben und über Scheinwerfer und Wärmebildkamera verfügen, zum Einsatz.
Wegen anderer Einsätze und der Wetterlage konnten in ganz Niedersachsen zu diesem Zeitpunkt keine Hubschrauber starten, so dass diese Möglichkeit des Wärmebildkameraeinsatzes ausfiel. Um sicherzustellen, dass sich keine weiteren Menschen in akuter Not befinden, wurden daher die Drohnen genutzt und das Steinhuder Meer systematisch aus der Luft abgesucht.
Für die Suchaktionen wurde das Steinhuder Meer in mehrere Sektoren aufgeteilt. Wurde über eine Drohne etwas entdeckt, wurde sofort ein Rettungsboot zu der entsprechenden Position geschickt für eine genauere Kontrolle.
Unter den Menschen, die in den Sturm geraten waren, war etwa auch Sophia Bechtold, die in einer Gruppe von sieben weiteren Personen in zwei Booten auf dem Steinhuder Meer fuhr, als das Unwetter losbrach, und eine Stunde lang manövrierunfähig auf dem See verbrachte. Sie berichtete der Auepost: „Wir waren zwei kleine Boote mit einem Motor, welcher erst nicht gegen die Wellen ankam und dann keinen Strom mehr hatte. Wir wurden mit der Zeit von den Wellen wieder ans andere Ufer geschwemmt, wo wir dank der Hilfe einiger anderen unsere Boote sicher an einem Steg befestigen konnten.“
Von der großen Hilfsbereitschaft der Menschen am Ufer und bei den Bootsfahrern untereinander wurde mehrfach ähnlich berichtet. Wo geholfen werden konnte, wurde geholfen, während die Einsatzkräfte die unmittelbaren Notfälle abarbeiteten.
Denn währenddessen waren andere Boote bereits gekentert, Menschen trieben im um die 15 Grad kalten Wasser. Bei dieser Wassertemperatur droht ein Kälteschock und ohne spezielle Schutzausrüstung eine schnelle Auskühlung des Körpers, so dass viele Personen nun in Lebensgefahr schwebten.
Gegen 23 Uhr war der Wind abgeflaut, doch nun zog ein heftiges Gewitter über das Steinhuder Meer, das die Rettungs- und Suchmaßnahmen wiederum erschwerte. Das Steinhuder Meer wurde die ganze Nacht hindurch weiter abgesucht.
Die Hilfe kam nach jetzigem Kenntnisstand für alle rechtzeitig: Niemand war im Zusammenhang mit dem Sturm seit Samstag als vermisst gemeldet, alle Notrufe konnten den Einsätzen zugeordnet werden. Infolge des Starkwindereignisses war es zwischenzeitlich gleichzeitig zu mehr als 20 Einsatzstellen gekommen, an denen geholfen werden musste. Die Leitstelle übermittelte die Notrufe an die Einsatzkräfte vor Ort.
Eine Gesamtzahl der Einsätze ist aktuell noch nicht bekannt – wie viele Boote tatsächlich am Samstagabend auf dem Steinhuder Meer in Schwierigkeiten waren, lässt sich zudem nur schätzen, da nicht alle Boote einen Notruf absetzten oder die Rettungskräfte kontaktierten.
Am Sonntagabend zog die Feuerwehr eine Bilanz: Insgesamt wurden 14 Personen von Rettungskräften aus dem Wasser geholt. Einige der Geretteten waren bereits unterkühlt, schwer verletzt wurde jedoch niemand. Leichtere Verletzungen hatten sich Personen etwa auch beim Versuch, ihre Boote zu sichern, zugezogen. Die aus dem Wasser Geretteten wurden von den Johannitern direkt an den Strandterrassen versorgt.
Alles in allem waren 200 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst, Wettfahrtvereinigung und Polizei im Einsatz gewesen. Der Großeinsatz konnte erst am Sonntagmorgen beendet werden.
Wirklich untergegangen war keines der Boote, aber so gut wie: Direkt vor dem Hagenburger Kanal hatte etwa ein Boot auf der Seite gelegen, auch vor der Badeinsel lag ein Boot im Wasser. Nach Angaben der Wettfahrtvereinigung gab es auch zwei zerstörte Boote: Bei einem Segler war der Mast abgerissen, bei einem anderen das Rigg zerstört worden. Am gestrigen Sonntag kümmerte sich die Wettfahrtvereinigung dann mit um die Beseitigung der Folgen des Sturms: Havarierte Boote wurden geborgen und zurück in die Heimathäfen gebracht.
Insgesamt ging es damit trotz der dramatischen Szenen noch glimpflich aus: Der Sachschaden, der noch nicht zu beziffern ist, dürfte infolge der beschädigten und gekenterten Boote beträchtlich sein. Ernsthaft zu Schaden kam nach letztem Stand dabei jedoch niemand.
siehe auch: Steinhuder-Meer-Feuerwerk geht in großen Rettungseinsatz über
Mich verwundert, dass anscheinend niemand eine WetterApp im Blick hatte und zu interpretieren wusste. Weder die auf dem Wasser Schippernden, noch die
verantwortlichen Veranstalter, noch die beteiligten Einsatzzentralen, noch die Führungskräfte vor Ort. Auf dem RADAR von Wetteronline.de waren
der herannahende Sturm wie auch das folgende Regenband und die Blitzeinschläge fast minutengenau mitzuverfolgen. Ich hätte gedacht, das sei bei solchen Veranstaltungen Standard. Höchst bedauerlich, dass diese absolut kritischen Rettungseinsätze nötig wurden.
Das gleiche habe ich mir auch gedacht.
Wir haben uns das Feuerwerk aus sicherer Entfernung in Feldesnähe angeguckt. Ich wusste dass ich direkt danach nach hause muss. Für mich auch unverständlich.
Nach der Wettervorhersage hätte das Feuerwerk meiner Meinung nach entweder gar nicht stattfinden dürfen oder vorzeitig (rechtzeitig?) abgebrochen werden müssen, um die gefährdeten Wasserfahrzeuge und Menschen in Sicherheit bringen zu können.
Frage ist, wer hat hier was gewusst (über die Wettervorhersage) und wie entschieden bzw. nicht entschieden. Das muss transparent gemacht werden. Sonst sieht die Zukunft düster aus.
Ohne Polemik schreibe ich das: Diese Frage muss geklärt werden, vor Ort vom Bürgermeister. Das haben die Bürger zu erwarten.
Andere Institutionen werden sich ebenfalls mit dem Geschehen zu befassen haben.
Und wenn man nicht mehr weiter weiß, dann bildet man einen Arbeitskreis! Nach diesem Motto bleibt wohl leider alles so wie es ist. Keiner hat was gesehen, keiner trägt die Verantwortung. Nur weiter so!
Habe ich das richtig verstanden, dass wegen eines Sturmes im Wasserglas (so unübersichtlich ist das Steinhuder Meer ja nun nicht) in ganz Niedersachsen keine Rettungseinsätze mehr geflogen werden konnten?
Das halte ich schon für eine Bankrotterklärung!
Oh je, wie kann man nur so etwas denken und dann auch noch schreiben. Bin entsetzt, es gab so viele Besucher, die in Panik geraten sind und traumatische Szenen erleben mussten.
Die illuminierten Boote und Paddler bilden die Kulisse für das Festliche Wochenende, es ist gewünscht, dass viele auf dem Wasser sind.
Bis 18 Uhr war die Vorhersage für das Unwetter zu deutlich späterer Uhrzeit, und lange nicht in dieser Stärke.
Bei einer Großveranstaltung wie dieser sind die Mobilfunk-Zellen gnadenlos überlastet. An Land im Veranstaltungsbereich, aber besonders für die ganzen Boote und Paddler auf dem Wasser war es nicht möglich, aktuelle Wetterdaten zu empfangen.
Es wäre wünschenswert gewesen, dass der Veranstalter bei Ankündigung des Feuerwerkes um 22 Uhr über die Lautsprecher eine Warnung weitergegeben hätte an alle auf dem Wasser.
Das würde ich gerne wissen:
Ob eine Mobilfunk-Überlastung die anscheinden herrschende Ahnungslosigkeit erklärt. Vermutlich gab es doch Leute an Land mit WLAN. Und für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten kann das sowieso nicht gelten, das dürfte klar sein.
Um 18 Uhr auf die Vorhersage zu schauen und dann „den Herrgott einen lieben Mann sein zu lassen“, kann erfahrungsgemäß im Sommer nicht funktionieren. Da ist lokal alles möglich, da muss man schauen, und das RADAR bildet das ab. Früher, vor Zeiten des Internets, waren solche Informationen nur mit telefonischer Verbindung zu einem metereologischen Institut zu erhalten. Heute kann das jeder mit einem Internet-Endgerät. Und staatliche Einsatzkräfte sowieso.
Selbst erfahrene Segler wurden vom Unwettern in dieser Stärke überrascht.
Die Antwort der Natur auf das Feuerwerk ..