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Unfrieden im Wunstorfer Tafelhaus – Polizei schickt jetzt Streifenwagen

13.11.2022 • Achim Süß • Aufrufe: 3666

Die Zahl der Menschen wächst, die der Ukraine den Rücken kehren. Den Geflüchteten angemessen zu helfen, stellt staatliche und private Stellen vor wachsende Probleme. In vorderster Reihe bekommen das die deutschen Tafeln zu spüren. Auch in Wunstorf: Wortgefechte, Drängeleien, Beschimpfungen und Bedrohungen sind keine Seltenheit mehr, Betrugsversuche nehmen zu. Die Tafelleitung sieht sich zu rigorosen Schritten gezwungen, und die Polizei schickt regelmäßig Streifenwagen.

13.11.2022
Achim Süß
Aufrufe: 3666
Die Ausgabe bei der Tafel steht neuerdings unter Beobachtung der Polizei | Graphik: Auepost

Wunstorf (as). Von rabiaten Kundinnen und Kunden – so werden im Tafel-Jargon Bedürftige genannt, die Waren abholen – berichten in diesen Wochen Tafelsprecher aus allen Teilen Deutschlands. Sie machen damit Vorkommnisse öffentlich, die andere Repräsentanten der Hilfsorganisation nur hinter vorgehaltener Hand beklagen: Immer wieder geraten Ausgabe-Teams mit Menschen aus der Ukraine aneinander. Besonders drastische Schilderungen kommen aus Weimar.

Das Nachrichten-Magazin Focus recherchierte daraufhin im ganzen Land. Der Bericht offenbart eine Gemengelage. Die Erfahrungen sind so vielfältig wie die deutsche Tafellandschaft mit inzwischen mehr als 960 einzelnen Vertretungen, in denen 60.000 Helferinnen und Helfer insgesamt zwei Millionen Bedürftige pro Jahr unterstützen. In allen Tafeln geraten die Freiwilligen-Teams an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, körperlich und seelisch. Eine Million Geflüchtete können nicht ohne Weiteres mit Lebensmitteln versorgt werden – in Zeiten, in denen die Mengen gespendeter Waren ohnehin abnehmen. Überall verlangen Helferinnen und Helfer nach Auszeiten oder ziehen sich zurück.

Ämter schicken Flüchtlinge direkt zu den Tafeln

In Wunstorf haben Krieg und Flüchtlingsstrom schon längst gravierende Auswirkungen auf den Alltag im Tafelhaus an der Neustädter Straße: Die Zahl der registrierten Bedürftigen verdoppelte sich bis zum Mai 2022 auf 1.650. Konsequenz: Die Ausgabe wurde auf Wunstorfer Bedürftige und Menschen aus der Ukraine beschränkt, auswärtige Kunden werden nicht mehr aufgenommen.

Warenknappheit und Arbeitsbelastung sind in allen Tafeln so groß, dass Jochen Brühl, der Tafel-Bundesvorsitzende, mehr als einen „Hilferuf“ an die Politik startete. An Behörden und Politiker richtet sich die Klage, die vor allem im Sommer aus vielen Tafeln zu hören war, auch in Wunstorf: Die Ämter machten es sich zu leicht, hieß es. Die Flüchtlinge würden gezielt zu den Tafeln geschickt.

Missverständnisse lösen Reibereien aus

Der Wunstorfer Tafelvorstand hat es nicht bei Beschwerden im kleinen Kreis belassen, sondern die Konsequenzen des Zustroms von Bedürftigen im Detail mit Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) und den Fachleuten vom Sozialen Dienst besprochen. Mit am Tisch saßen Wunstorfer Polizisten, denn der Umgang mit den neuen Flüchtlingen hat sich frühzeitig als problematisch erwiesen.

Oft sind es nur Missverständnisse, die Reibereien auslösen: Das Konzept der Tafeln, in denen Ehrenamtliche vorwiegend Lebensmittel verteilen, ist in der Ukraine offenbar nicht bekannt. Geflüchtete halten das Angebot für eine staatliche Leistung.

Einzelfälle, aber die sind gravierend

Tafelmitarbeiter berichten immer öfter von Ansprüchen und aggressiven Forderungen nach bestimmten Waren und Warenmengen. Es sind nach den Schilderungen der Helfer Einzelfälle, aber die sind gravierend: Kunden und Kundinnen aus den Kriegsgebieten halten sich nicht an das seit Jahren bewährte Nummernsystem, das die Reihenfolge im Tafelladen regelt, legen immer wieder Tafel-Ausweise anderer Personen vor, verlangen gezielt bestimmte Waren, lehnen Gemüse mit kleinen Fehlern ab oder weigern sich, die geringen Beträge zu zahlen, die von allen Kunden verlangt werden.

Frank Löffler
Frank Löffler berichtet am kommenden Montag im Sozialausschuss (Archiv) | Foto: Daniel Schneider

Diese Probleme nehmen zu, berichten Helfer und schildern auch, wie sie beschimpft, beleidigt und bedroht werden und dass immer wieder Angetrunkene aus dem Laden gewiesen werden müssen. Anfang dieser Woche eskalierten die Spannungen derart, dass das Helferteam die Polizei rief – und einen Schritt tat, der in 16 Jahren Tafelarbeit in Wunstorf nicht nötig war: Die Warenausgabe wurde vorübergehend unterbrochen, die Eingangstür verschlossen.

Polizei ist nun regelmäßig vor Ort

Polizeiwagen vor dem Grundstück, Beamte im Laden: Das wollte der Tafelvorstand um Frank Löffler auf keinen Fall. Lange hat er sich heftig gesträubt, und dann doch zugestimmt, als das Kommissariat eine behutsame Präsenz und Observation vorgeschlagen hat. So schauten regelmäßig zwei Beamte während der Ausgaben nach dem Rechten – mit dem Auto als deutlichem Zeichen vor dem Gebäude. Das war im Spätsommer der letzte Ausweg in einem Interessenkonflikt, der die Tafelarbeit zunehmend belastete.

Die Aufnahme der Ukrainer in den Kreis der Hartz-4-Berechtigten reduzierte ihre Zahl nach Angaben der Tafelleitung um etwa 250 Personen – und entspannte die Lage. Der zusätzlich eingerichtete Ausgabetag wurde gestrichen. Dass sich die Spannungen jetzt wieder verschärft haben, kam für das Tafel-Team unerwartet.

Löffler und seine Kolleginnen und Kollegen lassen keinen Zweifel daran, dass sie Unfrieden und Aggression nicht dulden. „Rigoros“ würden Störer und Betrüger aus dem Haus gewiesen, unberechtigt vorgelegte Ausweise sofort konsequent eingezogen und vernichtet. Ab sofort müssen Kunden amtliche Papiere wie Reisepässe ebenso vorzeigen wie Tafelausweise. Am Montag hört der Sozialausschuss des Rates einen Bericht von Löffler über die Arbeit der Tafel Wunstorf.

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Kommentare


  • Birgit sagt:

    Das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich wird nicht bekämpft. Es wird forciert. So ist das, was sich vormals im Bereich des Erträglichen befand, nicht mehr tragbar.

    Wenn Existenzberdürfnisse nicht mehr erfüllt werden und für Tausende von Menschen das Dach über dem Kopf zum Luxusgut wird, ist die Bereitschaft zur Wehr gegen soziale Ungleichheiten formierend. Solange von staatlicher Seite nichts, aber auch garnichts gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und Existezängste Vieler getan wird, ist die Kluft unmessbar groß, die sich auftut, wenn die Verzweiflung immense Formen annimmt. #

    Dass viele Menschen in Not von staatlichen Stellen gleich zur Tafel geschickt werden, zeigt die Inkompetenz der Politik, eigenständig der Lage Herr zu werden.

    So müssen Andere dafür herhalten, die keine Schuld an der Misere tragen. Hervorgerufen durch Schreibtischsitzer und in jedem Fall finanziell gut Proportionierte.­

    Die Frage taucht auf, warum diese soziale, staatlich forcierte Ungleichheit, die klaffende Schere zwischen Arm und Reich, keiner Beseitigung unterliegen kann. Und auch, warum die Lobby so dünn ist für die Beteiligten. Und so ändert sich nichts. Der süffisant und mitleidig lächelnde Wohlhabende in dicker Karosse sich dem Unterlegenen im Müll Flaschesuchenden erhebend, erbärmlich.

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