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„Immer wenn man ein Problem gelöst hat, kommt das nächste“

12.05.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 693

Bedroht wird sie nicht, Angst hat sie keine, aber auch sie bemerkt den rauer werdenden Tonfall in politischen Diskussionen – und wurde schon einmal als die nächste Bundeskanzlerin gehandelt.

12.05.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 693

Bedroht wird sie nicht, Angst hat sie keine, aber auch sie bemerkt den rauer werdenden Tonfall in politischen Diskussionen – und wurde schon einmal als die nächste Bundeskanzlerin gehandelt. Zu Gast bei den Auepost-Quartiergesprächen: Kirsten Riedel von der Wunstorfer SPD.

Kirsten Riedel

SPD-Lokalpolitikerin Kirsten Riedel | Foto: Mirko Baschetti

Wunstorfer Lokalpolitiker haben es vergleichsweise schwer, in die Berufspolitik zu wechseln – denn der gemeinsame Wahlkreis für den Landtag wird in der Regel vom zahlenmäßig größeren Neustadt dominiert. Das hat jedoch den Nebeneffekt, dass erfahrene Kommunalpolitiker Wunstorf erhalten bleiben. Im Stadtrat sitzen viele ehrenamtliche Politiker mit langer Erfahrung. Eine von ihnen ist Kirsten Riedel. In Wunstorf ist sie eines der bekanntesten Gesichter der SPD, denn sie sitzt im Rat stets in vorderster Reihe, nicht nur im übertragenen Sinne: Sie ist Vorsitzende der SPD-Fraktion und Sprecherin der Mehrheitsgruppe aus SPD, Grünen und FDP.

Kommunalwahlkampf sei stressig, aber gehöre dazu und mache Spaß, sagt sie. Vor allem das Ausarbeiten der Kampagnen. Bei der letzten spielte sie selbst eine tragende Rolle – und bekam den Schock ihres Lebens, erzählt sie lachend. Denn sie wusste nicht genau, wann die bestellten Plakatwände errichtet werden würden, fuhr eines Morgens zum Bahnhof und sah sich dann urplötzlich in Überlebensgröße die Wunstorfer grüßen. Gemeinsam mit Ulrich Troschke lächelte sie von den Plakaten herab. Das hätte sich schon sehr seltsam angefühlt, im Mittelpunkt einer Kampagne zu stehen. Wenig später holte sie Verwandtschaft vom Flughafen ab, und als sie an einem der Riesenplakate vorbeifuhren, war der Besuch aus Frankreich nicht mehr von der Überzeugung abzubringen, dass Riedel gerade als Bundeskanzlerin kandidierte.

In der Lokalpolitik darf man nicht zartbesaitet sein.

Ihr Einstieg in die Politik war relativ spät. Ein kurzes Intermezzo mit der SPD hatte sie schon als 18-Jährige, war aber bald darauf wieder ausgetreten. Für Politik hatte sie sich schon immer interessiert, auch im Elternhaus spielte Politik stets eine Rolle. Richtig politisch aktiv wurde Riedel aber erst mit Ende zwanzig. Auslöser war die Kindergartenplatzsituation in Wunstorf vor 30 Jahren. Ihr Sohn war drei Jahre alt, sie voll berufstätig, und es gab generell nur Halbtagsbetreuungsplätze in der Stadt. Sie ging nun zu entsprechenden Veranstaltungen, eine Podiumsdiskussion mit Landtagsabgeordneten war dabei das Schlüsselerlebnis: Dort sprachen auf einmal lauter alte Männer von Kinderbetreuung.

„Das kann irgendwie nicht richtig sein“, dachte sie bei sich – und wurde nun selbst aktiv. Nach knapp zehnjähriger Pause trat sie wieder in die SPD ein, die ihr bei ihren Grundüberzeugungen weiterhin näher war als andere Parteien, und zog bei der nächsten Wahl in den Stadtrat ein. Damit war sie damals dann gleich eine der Jüngsten im Rat, und auch nur eine von wenigen Frauen. Man müsse sich melden, wenn man einen Posten haben wolle in der Kommunalpolitik, sagt Riedel. Zur Fraktionsvorsitzenden rückte sie jedoch auf, als sie bereits Stellvertreterin war, ihr Vorgänger aus Altersgründen nicht weitermachen wollte und sie gefragt wurde.

Zwischen Lokal- und Bundespolitik

Obwohl sie seit Jahren Kommunalpolitik macht, ist sie gleichzeitig trotzdem nah dran an der großen Bundespolitik. Denn Riedel arbeitet als Büroleiterin für die Bundestagsabgeordnete Caren Marks. Das war nicht ihr ursprünglicher Berufswunsch, studiert hat Riedel einmal Anglistik und Germanistik. Lehrerin wollte sie damit aber nicht werden, und so schloss sich in Zeiten der damaligen Akademikerschwemme eine Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin an, was auch heute noch auf den Kommunalwahlzetteln als Berufsangabe unter ihrem Namen auftaucht. Gearbeitet hat sie in diesem Beruf aber nie, sie wurde Verwaltungsangestellte und war Mitarbeiterin im Kriminologischen Forschungsinstitut. Irgendwann wurde sie dann aus der Partei heraus darauf aufmerksam gemacht, dass eine Abgeordnete Mitarbeiter suchte. So kam sie zum Wahlkreisbüro in Hannover, damals noch von Monika Ganseforth. Seit mittlerweile 22 Jahren ist sie nun dort tätig. Die Kommunalpolitik betreibt sie nebenbei ehrenamtlich. Sie sei keine Ideologin und mache Realpolitik, sagt Riedel. Ihr ginge es darum, in Wunstorf etwas zu bewegen. Ihre aktuellen Lieblingsprojekte sind die Bebauung des Viongeländes und der Umbau des Wunstorf Elements. Als Fraktionsvorsitzende und Gruppensprecherin zählt zu ihren wichtigsten Aufgaben, für ein harmonisches Miteinander zu sorgen, zu moderieren, damit sich alle wiederfinden in der politischen Diskussion. Nach außen hin vertritt sie die Gruppe gegenüber der Verwaltung.

Man wird im Laufe der Jahre nicht dickfelliger, man wird eher dünnhäutiger.

Der schärfer werdende Ton in politischen Diskussionen macht sich bemerkbar, nicht im direkten Gespräch, aber in den sozialen Netzwerken. Auch bekommt sie manchmal anonyme Briefe. Bedroht fühlt sie sich aber nicht. Wenn das der Fall wäre, würde sie aufhören. Das wäre ihr das Ehrenamt nicht wert. Im Internet wird sie dagegen oft verbal angegriffen, auch persönlich. Unsachliche Debatten versucht sie eigentlich zu ignorieren, doch manchmal platzt ihr einfach der Kragen – dann schaltet sie sich auch selbst in hitzige Internetdebatten ein. Sie würde aber nie etwas schreiben, was sie dem anderen nicht auch ins Gesicht sagen könne.

Doch die Attacken frustrierten, das ginge auch den Kollegen so. Irgendwann strapaziere es die Geduld, wenn man die gleichen Diskussionen immer wieder neu führe. Aber abstumpfen dürfe man auch nicht, denn man müsse das Gespür für die Sorgen der Menschen behalten. Das allgemeine Misstrauen gegen die Politik würde es schwierig machen. Das ziele meist auf die Bundespolitik, aber die Kommunalpolitiker würden es abbekommen. Solche Auseinandersetzungen kosteten unnötig Kraft, die man konstruktiver verwenden könnte – auf beiden Seiten. Dass die Bundespolitik abfärbe, sei auch nicht schön. Auch Riedel hat es erlebt, dass Leute, die einen wirklich guten Job gemacht hätten, nicht wiedergewählt wurden, weil die Partei an sich gerade im Stimmungstief war. Persönliche Leistungen zählten dann nicht mehr.

Postenverteilung

Ein Vorwurf, den sich Riedel im Netz gegenübersah, war, dass sie den Job als Büroleiterin nur bekommen hätte, weil sie in derselben Partei sei. Natürlich, sagt Riedel. So etwas gebe es gar nicht, dass sich Berufspolitiker mit Mitarbeitern eines anderen politischen Lagers umgäben. Schließlich sei der Posten eine Vertrauensposition. Es sei ein Job „an vorderster Front“, bei dem man die Überzeugungen der Abgeordneten kennen und teilen müsse, sonst könnte man die Tätigkeit gar nicht machen. In der Bundespolitik käme es – anders als in Wahlkreisbüros – vor, dass z. B. wissenschaftliche Mitarbeiter nicht derselben Partei angehörten, den Themen der SPD müsse man aber trotzdem nahestehen.

Man trifft sich immer zweimal im Leben. Und in der Kommunalpolitik noch ein paarmal öfter.

Eine „große Koalition“ gab es während ihrer Zeit im Stadtrat nicht. Vorstellbar sei es, aber gut wäre das nicht, sagt Riedel. Solche Zweckgemeinschaften wären in Wunstorf nicht nötig. In der Kommunalpolitik müsse man sowieso mit jeder Fraktion zusammenarbeiten können. Eine Ausnahme sei die AfD. Anträge der AfD würden zwar nicht blockiert, bislang sei es aber einfach noch nicht der Fall gewesen, dass etwas von dieser Seite zustimmungsfähig gewesen wäre. In der Kommunalpolitik sei der Umgang nicht so konfrontativ wie in der Landes- oder Bundespolitik, hier käme man auf menschlicher Ebene eigentlich immer gut miteinander aus. Ein so harter Tonfall wie bei der letzten Landtagswahl sei in der Kommunalpolitik nicht vorstellbar. Die Positionen lägen auch oft gar nicht so sehr auseinander, und ob ein Straßenpflaster nun grau oder rot werde, sei auch keine politische Frage. Vieles sei Schwerpunktsetzung.

Trotz der in Wunstorf interessanten Konstellation einer SPD-geführten Mehrheit mit einem CDU-Bürgermeister sei die politische Kultur ausgesprochen gut. Letztlich wäre der Bürgermeister bei Beschlussvorlagen eigentlich machtlos, wenn der Rat sich querstellen würde, doch es herrsche gegenseitige Kompromissbereitschaft, dass es gar nicht erst zu Kampfabstimmungen komme. Mit dem Bürgermeister duzt sie sich selbstverständlich, man versteht sich gut.

Fraktionsvorsitz ist auch nicht immer vergnügungssteuerpflichtig.

Den nächsten Bürgermeister will die SPD trotzdem wieder selbst stellen, es wird auf jeden Fall einen SPD-Kandidaten geben. Wer dafür bereitsteht, verrät Riedel nicht, nur, dass sie es nicht selbst sein wird. „Mit bald 60 muss man nicht mehr antreten“, lacht sie. In der Vergangenheit wurde sie tatsächlich immer wieder gefragt, ob sie kandidieren wolle, hat aber immer abgelehnt. Verwaltungschef wäre nicht ihr Traumjob, denn es gehöre schon etwas dazu, Bürgermeister in der eigenen Stadt zu werden, in der man auf Schritt und Tritt mit seiner Arbeit konfrontiert sei. Hauptamtlich wollte sie nie Politik machen, erzählt Riedel. Sie sei gerne ehrenamtliche Politikerin. Dann könne sie auch einmal die Tür hinter sich zumachen, wenn es doch zu viel wird. Das Ehrenamt ermögliche ihr mehr Selbstbestimmung, das ginge als Berufspolitiker nicht. Nur einmal war sie überredet worden, als Landtagskandidatin anzutreten, war dann im Wahlkreis aber nicht aufgestellt worden. Todtraurig war sie deswegen dann nicht.


Interview/Text: Daniel Schneider
Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost 02/2020

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