Wunstorf (as). „Es reizt mich schon“: Kurz spielt Brodowy mit dem Gedanken, auf die Kanzel zu steigen. Er hat Sorge, dass er in den letzten Reihen nicht zu sehen ist. Aber es wird dann doch der leicht abgewetzte Ledersessel, den die Organisatoren von Lese- und Kulturfestival und Forum Stadtkirche in den Hohen Chor gestellt haben.
Es dauert nur Minuten, und der 51-Jährige hat das Publikum gepackt. So war es schon bei seinem Auftritt im „Kulturzelt“ und im Rathausinnenhof. Dort bot er seine kabarettistischen Spitzen. Diesmal sind es bizarre Betrachtungen von Erlebnissen, die er niedergeschrieben und als Buch herausgebracht hat – eine Idee des hannoverschen Redakteurs und Autors Simon Benne, der exakt an derselben Stelle in der Stadtkirche auch schon gelesen hat.
Brodowys Büchlein dreht sich vordergründig um einen Titel-gebenden Klappstuhl, der eigentlich ein Liegestuhl ist, den er irgendwo in die Welt stellt, um abzuwarten, was passiert. Oder auch nicht. Wer kommt vorbei? Wer reagiert wie? Passiert überhaupt etwas? Vergeht die Zeit? Wie schnell? Brodowy registriert, notiert, kommentiert, dokumentiert. Auch Nichtigkeiten und Banalitäten kann er unterhaltsam erzählen. Eben ein Vertreter gehobenen Blödsinns, wie er sich selbst katalogisiert. Immer wieder lachen die 130 Zuhörerinnen und Zuhörer auf, glucksen in sich hinein oder applaudieren spontan.
Der Kabarettist, der auch musizieren kann, der unter anderem katholische Theologie studiert hat, feinsinnig und heftig den Vatikan kritisiert und sich für soziale Einrichtungen einsetzt, steht seinem Förderer Hans Dieter Hüsch, dem Mann an der Orgel, kaum nach. Er spricht schnell, verhaspelt sich scheinbar, unterbricht und – scheinbar – extemporiert. Dann flicht er zum Beispiel einen semantischen Versuch über das schöne alte Wort „Kabuff“ ein. Er hält es für vergessen. Zu Unrecht für vergessen. Das ist hohe Kunst – und beste Unterhaltung.
Dann steht er auf und scheint gehen zu wollen. Doch nein. Gerade fallen ihm noch Szenen einer Ultraschalluntersuchung ein und Details einer Darmabtastung. Es bleibt appetitlich und amüsant. So wie seine Lieblingsepisode aus dem Buch: die Klappstuhl-bewehrte Visite auf einem Parkplatz, wo er eine Bucht blockiert, nicht ohne einen Parkschein zu lösen. Was ihm passiert, ist so bedeutungslos wie witzig, so sinnlos wie unterhaltsam. Der Mentor vom Niederrhein hätte seine helle Freude. Brodowy entwirft eine Szenerie der Alltäglichkeit: den Macho mit Pilotenbrille im Fiat 500, den Mercedesfahrer, die befreundete Mathematiklehrerin, die zufällig vorbeikommt. Lachhaft im besten Sinn seine gedankliche Brücke von der Parkplatz-Turbulenz über den Niedergang des Eigentümer-geführten Einzelhandels zu den Ladenöffnungszeiten. Starker Applaus.
Brillant seine sprachlich gekonnt gespielte Begegnung mit einem Schweizer Zöllner. Der filzt ihn und seinen besten Kumpel Detlef Wutschik alias Herr Momsen auf dem Weg zu einem Gastspiel. Eine Theater-Guillotine kommt ins Spiel, die Headsets, die Urne von Ilse Werner, Puderzucker, der wie Kokain aussieht, und die Gründlichkeit eidgenössischer Beamten. Es ist zum Tränenlachen. Und Emil Steinberger, ein amtlich anerkannter Spezialist für eben diese Spezies, schaut verstohlen hinter der Kanzel hervor und freut sich diebisch. Oder ist es eine Imagination à la Brodowy?
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