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So haben Sie Dornröschen noch nie gesehen

11.08.2024 • Redaktion • Aufrufe: 1828

Gimme, gimme, gimme: Das neue Musical der Mädchenkantorei macht aus klassischem Märchenstoff ein Gagfeuerwerk. Nicht ganz unschuldig daran: zwei Wunstorfer Musiker und Chorleiter, die den Alten von der Muppet Show Konkurrenz machen. Das klassische Märchen, neu interpretiert zu den Melodien von ABBA, brachte das Publikum bei der Premiere im Stadttheater zum Staunen, Lachen und Schwärmen – trotz auch ernster Botschaft.

11.08.2024
Redaktion
Aufrufe: 1828
Nicht Dornröschen ist in den hundertjährigen Schlaf, sondern der König erstmal in Ohnmacht gefallen – angesichts des Kleidungsstils seiner pubertierenden Tochter | Foto: Daniel Schneider

Wunstorf (ds). Eines der großen Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm, vielleicht sogar das Grimm’sche Märchen überhaupt: Dornröschen. Wie passt das mit der Musik von ABBA zusammen? Musical-Komponist und Chorleiter Matthias Schwieger, der am Samstag mit der Mädchenkantorei St. Johannes die Premiere von „ABBA meets Dornröschen“ im Wunstorfer Stadttheater gab, musste sich dafür bereits im Vorfeld der Aufführung einige Kritik anhören in der Art: „Was soll das denn?“

Aber dann am Samstagabend die Überraschung: Klassischer Märchenstoff und ABBA-Songs passen wie gemacht zueinander – jedenfalls mit den von Schwieger teilweise auch neu gedichteten Texten. Denn nicht nur Original-ABBA-Titel sind zu hören, auch teils sehr weitreichend neu interpretierte Weisen untermalen den Märchenstoff.

Es wird laut gelacht

Das Bühnenbild fällt diesmal weniger opulent aus als vor zweieinhalb Jahren bei Aschenputtel, dem Vorgängermusical der Mädchenkantorei. Aber es ist nicht weniger einfallsreich. Der Fokus verschiebt sich stärker in Richtung Situationskomik und lässt das bewegende Märchen zum heiteren Stück werden. Die Kostüme bleiben aufwändig, die Requisiten werden kunstvoll pointiert eingesetzt.

„Was soll das denn?“

Nur einen sehr ernsten Moment bringt Schwieger in die Aufführung und verleiht damit dem gesamten Märchen gleichzeitig auch eine neue innewohnende Botschaft: Selbstverletzendes Verhalten klingt an, als Dornröschen sich nicht aus Versehen an der Spindel sticht, sondern absichtlich aus Liebeskummer ins Spinnrad greift. „Warum soll Dornröschen so schusselig sein und sich zufällig selbst stechen?“, interpretiert Schwieger den Stoff neu und lässt die Märchenprinzessin trotz auferlegtem Fluch als selbstbestimmtere, wenn auch verzweifelte junge Frau handeln.

Kein Märchen ohne Vorleser | Foto: Daniel Schneider

Die Mädchenkantorei erzählt damit vor allem jenen Teil des Märchens, das im Märchen gar nicht vorkommt: Die Zeit des Aufwachsens Dornröschens, bevor sich der Fluch erfüllt. Bis dahin bleibt noch vieles, was bislang noch nicht erzählt wurde – etwa wenn die Prinzessin in die Pubertät kommt.

Pubertierende Prinzessinnen

Die Sängerinnen der Mädchenkantorei – für das Musical stimmlich komplettiert und unterstützt vom Chor AufTakt Luthe – überzeugen nicht nur gesanglich, sondern vor allem auch schauspielerisch. Trotz buchstäblich kleiner Rolle – als Frosch und neugeborenes Dornröschen – wird etwa Marike Thake geradezu zur Charakterdarstellerin und sorgt beim Publikum für (Lach-)Tränen.

Die Schlüsselszene: Die böse Fee verflucht Dornröschen | Foto: Daniel Schneider
Aber gute Feen können den Fluch mildern | Foto: Daniel Schneider
König und Königin mit Hofstaat | Foto: Daniel Schneider
Video: Szenenausschnitt – The Winner takes it all
Mist. Dornröschen liegt nun erstmal 100 Jahre auf der Bühne des Stadttheaters. | Foto: Daniel Schneider
Stark: Aileen Weiss als erwachsenes Dornröschen | Foto: Daniel Schneider

Auch die anderen Darstellerinnen gehen in ihren Rollen auf: Top besetzt etwa Novalie Fenske als Königin und Mutter Dornröschens: Erhaben thront sie auf der Bühne und lässt weder den zur Theatralik neigenden Gemahl noch die freidrehende Hofküche die royale Haltung erschüttern. Nur dem heranwachsenden Dornröschen scheint es kurz zu gelingen, als es mit provozierender Kleidungswahl die königlichen Eltern in den Wahnsinn treibt, bevor Aileen Weiss alias das erwachsene Dornröschen schließlich den Hauptpart singt und in den hundertjährigen Schlaf fällt.

„Diener, rufe Er den Arzt. Der König ist in Ohnmacht gefallen … das kommt von all dem Zucker.“

Die Königin

Chorleiter Matthias Schwieger ist bekannt dafür, in die Stücke für seine Nachwuchssänger und Jugendchöre die ein oder andere Pointe einzuarbeiten – doch die am Samstag gesehene Gag-Dichte ist neu: Ein Feuerwerk von überraschenden Momenten, skurrilen Situationen und Wortwitz treibt die Zuschauer am Ende zu stehendem Applaus. Der trockene, freche Humor der Aufführung begeistert. Ein Dornröschen, das König und Königin den Mittelfinger zeigt – oder wenn statt von Waterloo von einer vollen Windel gesungen wird. Aber es scheint nur folgerichtig, wenn das eben gerade das bestimmende Thema am Hofe ist angesichts des neugeborenen Dornröschens – oder es später erkennbar die Pubertät durchmacht. So werden dem Märchen völlig neue, lustige Seiten abgewonnen.

Die zwei Alten von der „Muppet-Show“?

Dass die Aufführung zum heiteren Stück wird, dafür sorgt auch Matthias Schwieger persönlich: Die ersten Besucher wundern sich bereits, als er in modisch fragwürdigem Karohemd und Hosenträgern erkennbar kostümiert („Nein, ich laufe nicht immer so rum“) vor dem Stadttheater die ersten Besucher begrüßt. Denn normalerweise ist Schwieger kein Akteur seiner eigenen Inszenierungen, und die Zuschauer dürfen ahnen, dass etwas Besonderes bevorsteht.

Waldorf und Statler? Oder Schwieger und Drude? | Foto: Daniel Schneider

Dieses Mal läuft es tatsächlich etwas anders, und Schwieger hat sich auch noch kollegiale Unterstützung besorgt. Zur Überraschung aller beginnt die Aufführung nicht wie gewohnt, sondern mit einer Sketcheinlage gemeinsam mit Musikerkollege Albrecht Drude, der sich mit ihm zur Bühne durchgrantelt.

Video: Showbeginn mal anders
Keine Zähne sind kein Grund, nicht bissig zu kommentieren | Foto: Daniel Schneider

Auf alt geschminkt und mit gebissvermissendem Lispeln streiten sie sich um reservierte Plätze mit dem Publikum und erkämpfen sich einen Platz direkt auf der Bühne. Es bleibt nicht bei diesem Scherz. Schwieger und Drude übernehmen während der Aufführung die Rolle der aktiven Kommentatoren und leiten vom Bühnenrand aus von Szene zu Szene über. Es fehlte nur noch der bekannte Balkon – und die Hommage an die beiden gehässigen Nörgel-Rentner aus der Muppet-Show wäre komplett gewesen.

Warum ABBA zum Märchen?

Wie ist Schwieger überhaupt auf die Idee gekommen, das Märchen Dornröschen und Musik von ABBA zu kombinieren? Der Wunsch, den Besuchern Vertrautes zu präsentieren, und persönliche Präferenzen spielen hinein: Ein Besuch bei „Mamma Mia“ in Hamburg hatte den ABBA-Fan inspiriert, und Dornröschen schien nach Aschenputtel ohnehin der nächste logische Schritt für den Chor.

Es bot auch die Gelegenheit, autobiographische Elemente mit in das Stück einfließen zu lassen. Die „Bettszene“ des Musicals – mit einem frischgebackenen, aber stürzenden Vater – hat Schwieger einst selbst genau so erlebt, verrät er verschmitzt, weist mit einem breiten Lächeln jedoch die Nachfrage von sich, dass „ABBA meets Dornröschen“ auch so etwas wie persönliche Vergangenheitsbewältigung sei.

Dass das nächste Stück der Mädchenkantorei Rapunzel sein wird, ist nicht unwahrscheinlich – ob dann ebenfalls mit autobiographischen Elementen, das bleibt jedoch noch offen.

Schlussszene mit Spinnrad | Foto: Daniel Schneider

Die Premiere am gestrigen Samstag ist ein voller Erfolg – und wer es verpasst hat, hat direkt heute die nächste und letzte Chance: Um 16 Uhr wird das Musical der Mädchenkantorei zum zweiten Mal aufgeführt.

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