Hannover (ds). Die Sängerinnen der Mädchenkantorei St. Johannes kennt man vor allem von überschaubareren örtlichen Auftritten. Der Wunstorfer Chor begleitet Gottesdienste der St.-Johannes-Gemeinde, singt bei Taufen im Naturerlebnisbad, bietet einen musikalischen Rahmen für die Weberschiffchen-Verleihung oder bei Platzeröffnungen und gastiert als Höhepunkt mit Musicals im Stadttheater.
Nun kam ein neuer Höhepunkt in der Geschichte des 2012 gegründeten Chores hinzu – die Teilnahme bei den niedersächsischen Chortagen: den Chortagen Hannover des Niedersächsischen Chorverbandes. Chorleiter Matthias Schwieger hatte sich mit seiner Mädchenkantorei beworben – „Können wir da auch mal mitmachen?“ – und war prompt eingeladen worden.
Was das bedeutete, das wurde ihm erst so richtig bewusst, als er erfuhr, wer am 22. Juni gemeinsam mit seinem Chor auftreten würde: Der Nachwuchschor des Mädchenchors Hannover, sozusagen die Vorstufe zu einem der weltweit besten Jugendchöre, bildete nicht nur die Konkurrenz, sondern würde auch noch als Erstes, unmittelbar vor den Wunstorfern, singen.
Schlaflose Nächte hatte es Schwieger beschert, denn was konnte man dem entgegensetzen? Wie erwartet waren die Nachwuchssängerinnen des Mädchenchors Hannover perfekt – stimmlich, choreographisch, bildlich: In grandioser Form eröffneten sie am Nachmittag des 22. Juni das Konzert der Chorjugend im Rahmen der 13. Chortage und füllten – in drei Reihen hintereinanderstehend, in einheitlicher rot-schwarzer Kleidung – die Bühne in voller Breite aus. Mit klassischen und modernen Werken, gesanglich anspruchsvoll und bei großartiger Bühnenpräsenz legte der Nachwuchschor vor.
Dann lief der Wunstorfer Mädchenchor zur Bühne. Das einheitliche Erscheinungsbild war nicht ganz gelungen, und man trat nur knapp über Fußballmannschaftsstärke an. Schon dieser erste Eindruck hätte im Vergleich zu den hannoverschen Sängerinnen kaum unterschiedlicher ausfallen können.
Schwieger entschloss sich, offensiv damit umzugehen – und bewies auf diese Weise seine Fähigkeiten als Unterhalter. Nun bekam das Publikum nicht nur erstklassige Chormusik zu hören, sondern auch etwas zum Schmunzeln geboten. Denn Schwieger setzte ganz auf den Überraschungseffekt. Er begann allein auf der Bühne am Flügel zu klimpern, dann erst tauchte Solistin Aileen auf – und schließlich nach und nach der übrige Chor zum Adele-Stück „Rolling in the deep“.
Mit so viel Selbstironie eines Chorleiters hatte unter den Zuhörern kaum jemand gerechnet. Schwieger legte verschmitzt die Hürde bewusst tief, senkte die Erwartungen – und verschaffte den Sängerinnen der Mädchenkantorei damit die Möglichkeit, gleich noch einmal zu überraschen: Während Schwieger zu einer Art Manuel Neuer der Jugendchorleitermoderation wurde, zeigte sein Chor, wie man auch in geringerer Besetzung ein großes Publikum in seinen Bann ziehen kann.
Mit dem Lieblingsstück des Chores – Viva forever von den Spice Girls – war der Rahmen gesetzt, mit „Gimme, gimme, gimme“ zogen abbaeske Klänge in die barocken Gemäuer und mit „Barbaras Rhabarberbar“, das Bodo-Wartke-Fan Schwieger schon ins Repertoire aufgenommen hatte, als es noch unbekannter war, brach ein echter Begeisterungssturm vor allem für die beiden Solistinnen Lea und Hannah aus, die das Zungenbrecherwerk mit Tempo und ohne Fehlstelle herunterrappten.
Es dürfte sich gleichsam um die Weltpremiere des Stückes in einer Chorfassung gehandelt haben. Auch tief berühren konnte der Chor sein Publikum – mit dem bekannten Gospel „Draw me close to you“.
Jetzt wurden die Wunstorfer gefeiert – und auf einmal kam die Sorge auf, dass es nun der Folgechor schwer haben würde, obwohl auch hier Populäres wie „I will follow him“ aus dem Sister-Act-Film im Repertoire war. Nach der Pause trat der Schaumburger Jugendchor auf – und die Sorge erwies sich als unbegründet. Mit einer Mischung aus Traditionellem und Zeitgenössischem hatte man ebenfalls das Publikum auf seiner Seite – und Konkurrenzdenken unter den Chören gab es sowieso nicht. Im Gegenteil: Während die einen auf der Bühne sangen, klatschten die anderen nun im Publikum sitzenden jungen Sänger stellenweise spontan rhythmisch mit. Es spiegelte Anerkennung untereinander und schuf ein ganz besonders sympathisches Konzerterlebnis.
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