Wunstorf (as). Das war eine Sternstunde der Demokratie. Eine kleine Sternstunde mit ganz kleinen Schönheitsfehlern. 60 Eltern mit Kindern haben die geplante Satzung kritisiert, bohrende Fragen gestellt und Anregungen gegeben. Ein souveräner Ausschussvorsitzender ließ den heftigen Protest zu. Im alten Saal des Rathauses, in dem schon die Herren Senatoren einst die Zügel der Stadt in den Händen hielten, war die Luft zum Schneiden – und ein Ausschuss in Bedrängnis. Die Eltern saßen und standen dicht gedrängt neben und hinter Ratsmitgliedern und Verwaltung – auf Tuchfühlung. „So viele Besucher hatten wir noch nie!“, freute sich SPD-Ratsherr Wilhelm Bredthauer.
Neue Regeln für die Aufnahme in die städtischen Kindertagesstätten – es sind im Grunde nur zwei, in Steinhude und in Idensen – und für die Elternbeiträge zum Essen standen auf der Tagesordnung. Die Beschlussvorlage war bekannt und brisant. Denn die Regeln wirken mittelbar auch für die Kitas in freier Trägerschaft und somit für alle Betreuungseinrichtungen in der Stadt. Aber die Stadt will und muss Formulierungen anpassen und Kosten begrenzen. Für 2024 gibt die Verwaltung die Zuschüsse zur Finanzierung des Essens mit knapp 480.000 Euro an.
Die Vorschläge aus dem Rathaus sind bei den Betroffenen in den Kitas und in der Elternschaft auf unterschiedliches Echo gestoßen. Vielen Eltern gefallen die Veränderungen nicht. „Gefallen“ ist ein mildes Wort: Fast eine Stunde lang gab ein Dutzend Mütter und Väter dem Ausschuss und der Stadtverwaltung Kontra. Und das zeigte Wirkung: Die neuen Vorschläge der Verwaltung wurden nicht beschlossen. Am gestrigen Montag stand das Thema im Verwaltungsausschuss auf der Tagesordnung. Seit Montagvormittag war klar: In der Ratssitzung am Mittwoch wird die neue Satzung nicht behandelt.
Die CDU-Ratsfraktionsvorsitzende Christiane Schweer und SPD-Fraktionschef Martin Ehlerding gaben am Morgen bekannt, dass die Ratsmehrheit dafür ist, Beratung und Beschluss bis nach den Sommerferien zu vertagen: zu viele Fragen, zu viele berechtigte Bedenken, zu wenig Zeit für eine gründliche Behandlung und die gerichtsfeste Neuformulierung der Satzung. Diese Entscheidung der SPD/CDU-Mehrheit hatte sich am Wochenende abgezeichnet: Bürgermeister Carsten Piellusch äußerte am Rand des Neubürgerempfangs in der Innenstadt Zweifel, dass die Zeit bis zur Ratssitzung ausreiche. Er sprach auch von Missverständnissen und Irritationen, die die Vorlage ausgelöst habe. Vorsichtig deutete er an, die Kommunikation der Stadt sei offenbar nicht gut gelungen.
Was haben die Eltern auszusetzen? Sie stören sich vor allem an der Absicht der Stadt, künftig nur noch Kinder von der Einschulung bis zum Ende der dritten Klasse in die beiden Horte aufzunehmen. Die Nachfrage steigt, und zur Zeit sind nicht genug Plätze vorhanden, um auch weiterhin Kinder aus vierten Klassen zu betreuen. Neu geregelt werden soll auch die Platzvergabe: Eine Zusage soll nur noch für ein Jahr gelten. Für die Fortsetzung sollen die Eltern erneut den Bedarf nachweisen. Bestehende Verträge sollen von dieser Änderung nicht betroffen sein.
Künftig wegfallen soll die Rückerstattung des Entgelts, das die Eltern für das Essen im Hort entrichten müssen. Bislang hat die Stadt dann Geld zurückgezahlt, wenn ein Kind für einen begrenzten Zeitraum von den Mahlzeiten abgemeldet wurde. Im vergangenen Jahr waren das fast 70.000 Euro. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand ist der Stadt zu hoch. Im „Gegenzug“, wie es in der Beschlussvorlage heißt, werde bei der neuen Kalkulation des Entgelts ein Zeitraum von 46 Wochen zugrunde gelegt. Sechs Wochen werden wegen der Schließzeiten, Urlaub und Krankheit nicht einbezogen.
Wiebke Nickel, Erste Stadträtin und zuständig unter anderem für die Kindertagesstätten, leitete die Beratung im Sozialausschuss mit detaillierten Erläuterungen ein und versicherte den Eltern: „Wir wollen Sie nicht ärgern!“ Gute städtische Angebote seien ein „ganz wichtiges Anliegen“, aber dem Haushalt der Stadt drohe ein millionenschweres Defizit, und das zwinge zum Handeln. Sie offenbarte auch, selbst wenn die Stadt das Geld hätte, um Container aufzustellen, würde es nicht gelingen, die Betreuung von Kindern aus vierten Klassen sicherzustellen: Es fehle an Personal.
„Dann haben Sie kein Defizitproblem“, hielt ihr eine Mutter entgegen, „sondern ein Personalproblem!“ Nickels Äußerung, Viertklässler könnten auch eine Stunde allein bleiben, löste Unmut unter den Eltern aus, und eine andere Mutter erklärte, dann verletze sie ihre Aufsichtspflicht. Im Übrigen würden die neuen Regeln vor allem Frauen treffen, weil die die Betreuung der Kinder übernehmen müssten, wenn keine andere Lösung, zum Beispiel in der Familie, gefunden werde. Es seien doch immer die Mütter, die ihre Arbeitszeit reduzieren müssten. Wie solle es da zum Beispiel gelingen, wieder in eine Vollzeitstelle zu kommen?
Andere Kritikpunkte: In Steinhude werde kurzfristig Platz für Flüchtlinge geschaffen – für „die Kinder aber nicht“. Die Situation in den Kindertagesstätten sei absehbar gewesen. Ein weiterer Punkt: Warum es nicht längst in Zeiten der von allen gepriesenen Digitalisierung eine App für die Eltern gebe, mit der der Verzicht auf Essen für einen bestimmten Termin kurzfristig mitgeteilt werden könne? Derartige Serviceleistungen gebe es bereits. Wie die Stadtverwaltung auf 46 Wochen gekommen sei, wollte eine Mutter wissen. Wer genau rechne, müsse zu anderen Ergebnissen kommen. Sei das einfach ein Fehler, schob die junge Frau nach, „oder Absicht?“ Völlig fehlen würden Härtefallregelungen, war ein zusätzlicher Kritikpunkt.
Nickel und die anderen Vertreterinnen der Verwaltung hatten in der Sitzungsunterbrechung einen schweren Stand. Nickel bemühte sich um Aufklärung, erntete aber oft Kopfschütteln und Unmut. Ihr Hinweis, sie sei selbst Mutter von drei Kindern, löste Gelächter aus. Fast eine Stunde lang zerpflückten vor allem Mütter und ein paar Väter die neue Satzung. Dass das überhaupt möglich war, ist das Verdienst des Ausschussvorsitzenden Wilhelm Bredthauer. Er unterbrach die Sitzung und ermöglichte damit ein Frage-und-Antwort-Spiel, das mehr einer Diskussion glich als einer Einwohnerfragestunde.
Bredthauer, als ehemaliger Leiter eines hannoverschen Gymnasiums mit unzufriedenen Eltern vertraut und in ungezählten Gesamtkonferenzen gestählt, öffnete einen Weg, den Eltern echtes Gehör zu verschaffen – über die engen Regeln der Geschäftsordnung für eine Fragestunde hinaus. Der SPD-Ratsherr führte die Aussprache straff und konzentriert. Es ist ihm zu verdanken, dass die Eltern Dampf ablassen konnten. Insofern eine Sternstunde. Allzu oft verlaufen Sitzungen städtischer Gremien, in denen Bürger fragen oder kritisieren, nicht so, wie sich das besorgte oder interessierte Wunstorfer vorstellen.
Die formalen Vorschriften der Einwohnerfragestunde im Rahmen von Sitzungen sind streng: Es darf mit den Ausschussmitgliedern nicht diskutiert werden, an den Ausschuss darf nur eine einzelne Frage gerichtet werden - und zwei Zusatzfragen zum selben Thema. Meinungen dürfen nicht geäußert werden. Diese Beschränkung soll verhindern, dass Fragen zu Diskussionen ausufern und die Arbeit der Ausschüsse lahmlegen.
Bredthauer vor allem – aber auch andere Sprecher und Sprecherinnen aus den Fraktionen – gaben in dieser Sitzung den Eltern das sichere Gefühl, ernst genommen zu werden.
Der kleine Schönheitsfehler: Wiebke Nickel, Erste Stadträtin, allgemeine Vertreterin des Bürgermeisters, zuständig unter anderem für Rechts- und Satzungsfragen, ist auch für Kindertagesstätten zuständig. Die kritisierte Neufassung der Satzung trägt ihren Namen. Das mag erklären, warum sie in der Unterbrechung der Sozialausschusssitzung eher gereizt agierte. So maßregelte sie eine Mutter, die auch im Elternbeirat für die Tagesstätten aktiv ist und eine von ihren Aussagen mit einem Zwischenruf kommentierte, mit den Worten: „Jetzt spreche ich!“
Das ist richtig: Was für Steinhude und Idensen entschieden wird, betrifft letztlich alle Einrichtungen, da die Satzung mittelbar auch Anwendung für die freien Träger findet. Diese „unterwerfen“ sich sozusagen der kommunalen Regelung. Wir haben die Passage präzisiert.
Herr Bredthauer hat die Sitzung vorbildlich geleitet und die Auepost (Herr Süss) hat wie gewohnt sehr gut berichtet. Hut ab. UND: Endlich einmal wurde das demokratische Medium „Einwohnerfragestunde“ ausgiebig genutzt. Die Einwohnerfragestunde ist zusätzlich zu den öffentlichen „Arbeitskreisen“ wie „Barne-Lab“ usw. eines der ersten Instrumente, sich als Einwohner/in demokratisch auf geringster kommunaler Ebene einzubringen.
Liebe Auepost: Fehler in der Berichterstattung, bitte Korrigieren!
Es geht nicht einzig um die zwei städtischen KiTas. Tatsächlich hat auch mich das 2022 kalt erwischt, als es um die letzte Erhöhung der Essengeldbeiträge gab. Es ist leider nicht ganz offensichtlich, aber die Auepost sollte dringend bitte ergänzen: Offiziell im Titel der Satzung werden die städtischen KiTas zwar namentlich genannt, aber die Satzung gilt für alle KiTas!!!
Dementsprechend geht es auch nicht nur um die Essensgelderhöhung der Hortkinder, sondern von allen KiTa-Kindern!
Auch ist vergessen worden, dass eine jährliche Überprüfung (d.h. voraussichtliche Erhöhung ☺️) des Essensgeldes etabliert werden soll.
Und zudem ist eine Erhöhung der Kita-Gebühren (Krippe) geplant, aber Details dazu kommen erst später – vermutlich um nicht alle Eltern gleichzeitig gegen sich aufzubringen …
Siehe hier die Vorlage zur Satzungsänderung:
https://wunstorf.gremien.info/vorlagen_details.php?vid=280705100067
Danke ansonsten für diesen Artikel, der endlich mal den Kindern eine Lobby gibt. Zu oft sind Parkplätze Thema, nicht die Sozialpolitik.
Und auch für die Einschätzung bzw. Hinweis zwischen den Zeilen, dass die Politik und Stadtverwaltung vielleicht mal am Selbstbild (Dienstleister?) und Kommunikationsstil arbeiten sollte !