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Wenn plötzlich vor deinem Fenster ein Zug zu explodieren droht …

27.09.2023 • Redaktion • Aufrufe: 2924

Als in der Dienstagnacht ein Güterwaggon in Flammen aufgeht, filmen Anwohner das Geschehen. Sie ahnen nicht, dass neben dem Feuer ein Kesselwaggon steht, der mit explosionsgefährdetem Batteriegrundstoff gefüllt ist.

27.09.2023
Redaktion
Aufrufe: 2924
Feuer auf der Bahnstrecke | Quelle: Sven R.

Wunstorf (red). Das hätte auch anders ausgehen können: Ein Güterzug bleibt auf offener Strecke liegen, der Auflieger eines Waggons brennt – und plötzlich ist da eine Flammensäule an der Lärmschutzwand, wenn man aus dem Fenster sieht. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Neben dem Feuer steht ein Kesselwaggon mit leicht entzündlichem Gefahrstoff.

Aufmerksam werden die ersten Anwohner durch einen lauten Knall – und dann sei auch schon das Feuer auf dem Bahndamm über der Lärmschutzwand zu sehen gewesen, berichtet ein Anwohner noch in der Nacht des Unfalls der Auepost. Kurz darauf sei ein zweiter lauter Knall zu hören gewesen, wird weiter berichtet.

Die Situation mutet surreal an, denn normalerweise sieht man in diesem Bereich im Wohngebiet südlich der Bahnstrecke entlang der Sudetenstraße nicht viel von den Zügen, die dort unterwegs sind. Die grüne Lärmschutzwand schirmt die Blicke ab. Doch nun steht dort ein Güterzug, und es schlagen Flammen in den Himmel, eine bedrohlich wirkende Rauchwolke breitet sich aus. Erste Notrufe werden abgesetzt, die 112 gewählt und die Feuerwehr verständigt. Die Leitstelle ruft schließlich Großalarm aus.

Blick von der Sudetenstraße auf den brennenden Zug | Video: privat

„Verlassen Sie jetzt das Haus!“

Wenig später beginnt die Evakuierung der unmittelbaren Anwohnerschaft: Kurz nach 3 Uhr in der Nacht klingelt die Feuerwehr an den Haustüren und fordert auf, das Nötigste einzupacken und so schnell wie möglich die Häuser zu verlassen und sich zur Otto-Hahn-Schule zu begeben. Dort beginnen die Johanniter, eine Sammelstelle einzurichten. Wenig später geht auch noch einmal die Polizei von Tür zu Tür.

Einige Anwohner sind überrascht, einige finden die Vorsichtsmaßnahme sogar übertrieben und hätten sich am liebsten schnell wieder schlafen gelegt. Andere rechnen jedoch bereits damit: „Mir war vorher schon klar, dass es zu einer Evakuierung kommen würde“, sagt etwa Sven R. im Gespräch mit der Auepost, „vor allem, weil man ja nicht wusste, was noch passieren wird – ob sich das Feuer irgendwie ausbreitet oder es zu weiteren Explosionen kommt.“ Es sei dennoch ein seltsames beziehungsweise ungutes Gefühl gewesen, das Haus mitten in der Nacht verlassen zu müssen, berichtet der Anwohner.

Evakuiert wurde zunächst vorsorglich nur wegen der Rauchwolke am Bahndamm. Es war nicht auszuschließen, dass sich giftiger Qualm über das Areal legen würde. Außerdem wollen die Einsatzkräfte auf Nummer sicher gehen: Es ist zu Beginn des Einsatzes nicht klar, welche Art von Güterwaggons dort überhaupt brennt.

Explosionsgefahr

Das Vorgehen der Einsatzkräfte erweist sich als richtig, denn kurz darauf stellt sich heraus: Es brennt nicht nur ein Auflieger eines Güterwaggons, sondern bei den nächsten Waggons daneben handelt es sich um Kesselwagen. Und die transportieren keine Milch, sondern sind mit Gefahrenzeichen gekennzeichnet. Drohnenaufnahmen der Feuerwehr liefern dann die Bestätigung, dass es sich in den Kesseln neben dem lodernden Feuer um feuergefährliche Fracht handelt.

So dicht stand der Kessel an dem brennenden Waggonauflieger | Foto: Daniel Schneider
Anwohner-Sicht auf das Feuer | Foto: privat
Der Auflieger nach dem Brand | Foto: Daniel Schneider

Die Waggons haben Methylcarbonat geladen, welches zur Batterieproduktion vorgesehen ist. Einer der Waggons mit dem hochentzündlichem Stoff steht damit in nur knapp 10 Metern Entfernung zu dem brennenden Auflieger.

Glück im Unglück ist: Die Kessel sind ebenfalls eine Aufliegerkonstruktion – je zwei Kessel passen auf einen Waggon. Der Waggon, der neben dem brennenden Auflieger angekoppelt ist, trägt jedoch nur einen Kessel – und zwar auf der dem Feuer abgewandten Seite. So bleibt eine größere Lücke zwischen Feuer und Kessel. Auf diese Weise hat das Feuer keinen direkten Kontakt zu dem ersten der Kessel und kann diesen nicht so stark aufheizen. Das verschafft der Feuerwehr mehr Zeit, die Kühlung des Waggons in Angriff zu nehmen.

Bei 450 Grad wird es kritisch

Kesselwagen sind so konstruiert, dass sie bei Unfällen auch größere Kräfteeinwirkungen und auch Feuer aushalten können – aber eine große Gefahr liegt darin, wenn sich der Inhalt aufheizt. Ein Feuer entwickelt so hohe Temperaturen, dass sogar Objekte in der Nähe zu brennen beginnen, die keinen direkten Flammenkontakt haben.

Der Brand, aufgenommen gegen 2.50 Uhr in der Nacht. Kurz darauf werden Anwohner evakuiert. | Quelle: Sven R.

Auch das flüssige Methylcarbonat hätte sich ohne direkten Kontakt zu Feuer oder Funkenflug allein wegen der Wärmestrahlung derart erhitzen können, dass es innerhalb der geschlossenen Kessel zur In-Brand-Setzung gekommen wäre. Dies hätte wiederum zum explosionsartigen Bersten der Behälter führen können – mit unabsehbaren Folgen für die Umgebung. Austretendes Methylcarbonat hätte die Lage ebenso massiv verschärfen können.

Eine Kettenreaktion hätte gedroht, wäre das Feuer weiter an die Kesselwaggons herangerückt – insgesamt waren 5 Kessel mit dem Gefahrstoff auf dem Zug geladen. Der Zündpunkt von Methylcarbonat liegt bei rund 450 Grad Celsius – bei Erreichen dieser Temperatur im Kesselwagen hätte die Flüssigkeit auch von selbst brennen können. Dies kann abgewendet werden – unter Einsatz enormer Wassermengen, die in diesem Fall nicht nur das Feuer löschen, sondern auch wie ein Kühlmittel für den Kesselwagen funktionieren.

Am Tag nach dem Brand steht der Zug auf der Strecke | Foto: Daniel Schneider

Unterdessen laufen die Reparaturen an der Strecke weiter. Der Zug ist inzwischen abgeschleppt worden, aber die Instandsetzungsarbeiten werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Strecke soll voraussichtlich erst gegen Ende der Woche wieder voll befahrbar sein. Da Wunstorf sowohl eine Engstelle als auch einen neuralgischen Punkt im Streckennetz darstellt, kommt es derzeit zu weiteren Verspätungen und Zugausfällen im Nah- und Fernverkehr.

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Kommentare


  • Grit D. sagt:

    Sehr viele „Hääte; Würde; Könnte“ in diesem Artikel zu den dramatischen (darf durchaus so ohne die „Drama-Queen“ zu geben¤ gesagt werden) Ereignissen.

    Wir alle- vor allem jedoch die direkt an der Unglücksstelle wohnenden Menschen haben allen Grund „drei Kreuze zu schlagen“, dass hier KEINE Menschen zu Schaden kommen mussten, sondern es „nur“ bei immensen Sachschäden blieb.

  • Enrico Pelocke sagt:

    „Auch das flüssige Methylcarbonat hätte sich ohne direkten Kontakt zu Feuer oder Funkenflug allein wegen der Wärmestrahlung derart erhitzen können, dass es innerhalb der geschlossenen Kessel zur In-Brand-Setzung gekommen wäre.“ Zum Brennen braucht es Sauerstoff. Ohne Sauerstoff brennt nichts. Der ist im Kessel aber sehr knapp, da der Kessel mit Methylcarbonat gefüllt ist. Erst wenn sich der Druck im Kessel aufgrund der Hitze soweit erhöht hat, daß er platzt oder das Sicherheitsventil öffnet, kann Methylcarbonat austreten und brennen. Neben dem Feuer ist kein Kesselwagen, sondern ein Drehgestellflachwagen der Sonderbauart, Gattung Sdggmrss. Darauf steht ein Container mit einem Kessel.

    • Grit D. sagt:

      @Enrico Pelocke

      Zugegben war und bin hier nicht zu den „hellen Leuchten am Baum“ zu zählen.
      So danke ich Ihnen für Ihren informativen Kommentar zum Artikel.

  • Basti g. sagt:

    Da machen sich die Anwohner wieder wichtig ! Der Wind ging doch nicht Richtung sudetenstraße also die andere Seite hat mehr abbekommen

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