Wunstorf ist eine Stadt mit langer Geschichte, doch geprägt wird sie aktuell vor allem von den 80er Jahren. Die letzten wirklich einschneidenden stadtentwickelnden Bauvorhaben wurden in diesem Jahrzehnt umgesetzt, damals manifestierten sich viele richtungsweisende Entscheidungen, die das Wunstorfer Stadtbild bis heute bestimmen und Wunstorf zu der attraktiven Stadt machen, die sie jetzt ist. Unter dem Titel „Von der grauen Auenstadt zum Schmuckstück der Region“ referierte Heiner Wittrock anhand vieler historischer wie aktueller Bilder über die jüngere Stadtgeschichte, von der Aueregulierung über den Straßenbau bis zur Einrichtung der Fußgängerzone.
Es scheint kaum vorstellbar zu sein, doch die Verkehrssituation in Wunstorf war schon immer angespannt – vor dem Bau der Hochstraße Anfang der 80er noch viel schlimmer als heute. Wie es damals in Wunstorfs Innenstadt ausgesehen hat, mit all dem Verkehr und noch ohne Fußgängerzone, will man sich auch eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Doch die Probleme waren drängend und wurden gelöst: mit einem Konzept, das sich in vielen anderen Städten bewährt hatte: Der Schaffung von Freiraum in den Stadtzentren durch Fußgängerzonen und der stärkeren Kanalisierung der unterschiedlichen Verkehrsarten.
Es war nicht nur eine späte Antwort auf den Zeitgeist der autogerechten Stadt, ein Lösungsversuch für die innerstädtische Verkehrsproblematik, die schon damals die Lebensqualität der Bewohner einschränkte und die Nerven der Autofahrer strapazierte. Es war auch die Grundlage für den Ausbau der heutigen Fußgängerzone. So hässlich die Hochstraße heute auch anmuten mag, sie war die Basis für die weiteren Umwälzungen bei den städtischen Verkehrsströmen. Ihr Bau machte zwei Bahnübergänge obsolet und erschloss die neue Tangente zur Hagenburger Straße. Imposant mutet das Zahlenwerk an: Die 320 Meter lange Straße (erbaut von 1978 bis 1981) besteht aus 11.200 Kubikmetern Beton und 11.000 Tonnen Stahl.
Während andere Städte noch zwei Jahrzehnte zuvor mit neuen Straßen regelrecht plattgemacht wurden, um mehr Autoverkehr direkt in die Innenstädte lenken zu können, und Fußgänger oder Radfahrer dafür oft auch ins Abseits gedrängt wurden, in Tunnel und Unterführungen, blieb Wunstorf von den schlimmsten Auswüchsen der Verkehrskonzepte der 50er/60er Jahre verschont. Die schlimmsten Sünden der autogerechten Stadt wiederholte man nicht. Aber die Idee wurde im Kern umgesetzt. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Jahrzehnt später wurde die strikte Trennung des Individualverkehrs schon sehr viel kritischer gesehen, die autogerechte Stadt war nicht mehr das Maß der Dinge, wandelte sich zum überholten Konzept. 20 Jahre später – und Wunstorf hätte vielleicht nie eine Fußgängerzone bekommen, wie sie heute vorzufinden ist.
Dem Auto wurde mehr Raum gegeben, ein Parkleitsystem installiert und die Verkehrsadern optimiert, das aber in eher behutsamem Rahmen. Abgerissen zugunsten des Straßenbaus musste nur wenig werden, die neuen Verkehrsadern stellten stattdessen sogar historische Ansichten wieder her: Die neue Straße im Stadtkern zerschnitt diesen zwar, aber dort, wo heute die B 441 zwischen Stadtkirche und Stiftskirche verläuft, lag einst auch die historische Trennlinie zwischen Stadt und Stift.
„Der Stadtkern hat heute eine bessere Qualität.“Heiner Wittrock
So beurteilte Wittrock die damalige Verlegung der Verkehrsachsen dann auch als gelungen und vorteilhaft für Wunstorf, denn es habe die Verwandlung von einer grauen Innenstadt in eine lebendige Stadt bewirkt – auch wenn manche den Abriss der Gebäude an der alten Schulstraße als schlimm erlebten. Der Stadtkern habe heute eine bessere Qualität, sei von den Wunstorfern angenommen und von den Niedersachsen anerkannt worden.
Wittrock führte exemplarisch die beiden großen Bahnübergänge an, die man vor Zeiten der Hochstraße noch zu überwinden hatte, um Wunstorf aus Richtung Autobahn/Luthe zu durchqueren. Die Altstadtstraßen, Lange Straße und Südstraße, waren normale Verkehrsadern, durch die der Durchgangsverkehr rollte, die Strecke „Am Stadtgraben“/“Südstraße“ in ihrer heutigen Form gab es noch nicht. Während heute der Durchgangsverkehr hinter der Ecke Hindenburgstraße abknickt, um später wieder in den Kreisel an der Ecke Hagenburger Straße zu münden, floss der Verkehr früher geradeaus weiter durch die Südstraße – womit sich auch die heutige Drängung des unnatürlich wirkenden Straßenverlaufs erklärt.
Die Hochstraße und die damit einhergehende neue Verkehrsführung war somit die Voraussetzung dafür, den Stadtkern menschenfreundlicher zu gestalten. Die Einrichtung der Fußgängerzone bzw. die Sperrung für den Verkehr und den Umbau zur Flaniermeile waren gekoppelt an den Hochstraßenbau und die Verlegung des Durchgangsverkehrs. Nun konnte die Fahrbahn an dieser Stelle zurück- bzw. die Bordsteine abgebaut werden. Die grauen, schmutzigen Straßen mit schmalen Bürgersteigen wichen dem aktuellen Erscheinungsbild.
1982 wurde die Fußgängerzone eingeweiht. In der Umgestaltung zeigen sich dann auch deutlich die Einflüsse der beginnenden 80er Jahre: Das zweifarbig verlegte Pflaster, die gepflanzten Bäume, die Schaukästen vor den Geschäften in der Nordstraße, die drei neugeschaffenen Brunnen. Vieles atmet noch das Flair der 80er.
Gerade die Brunnen waren es nach Wittrocks Darstellung dann auch, die zur schnellen Akzeptanz der neuen Fußgängerzone führten, denn dass die Wunstorfer bei der Suche nach Brunnengestaltungen aktiv miteinbezogen worden seien, habe viel zur Identifizierung mit der Neugestaltung beigetragen. Kuhbrunnen, Säulenbrunnen und Schnitterinnenbrunnen tragen seitdem zum innerstädtischen Ambiente bei und haben sich teils sogar zu einem Markenzeichen von Wunstorf entwickelt – kaum eine Ansichtskarte kommt ohne Kuhbrunnen aus.
Ein Verweis auf den Bahnhofsumbau rundete den Ausflug in die Stadtplanung ab, denn nicht nur Hochstraße und Fußgängerzone entstanden in den 80er Jahren. Auch die Deutsche Bundesbahn schickte sich im Zuge der geänderten Umgebung an, ihr Aushängeschild in Wunstorf auf einen modernen Stand zu bringen – und baute den Bahnhof so um, wie er heute vorzufinden ist. Seit 1986 zeigen sich die Bahnanlagen des Wunstorfer Bahnhofes somit auch im Stile der 80er Jahre und bilden eine architektonische Symbiose mit dem historischen Bahnhofsgebäude.
Den Auftakt des Vortrags bildete jedoch der Themenkomplex um die Aueregulierung. Dort, wo heute die Südaue als kleines Bächlein plätschert, war sie einst deutlich wasserführender – und Wunstorf verwandelte sich bei Hochwasser regelmäßig in das Venedig des Nordens bzw. drohte sich in dieses zu verwandeln. Um dem zu begegnen, wurde Anfang der 70er Jahre der natürliche Wasserlauf der Südaue manipuliert.
Das Wasser der Südaue wurde teilweise in die Westaue umgeleitet, der Wasserstrom der Südaue durch die Wunstorfer Kernstadt so abgeschwächt. Dadurch konnte der Fluss – die jetzige „Alte Südaue“ – zu großen Teilen kanalisiert und somit überbaut werden. Die Mühlenaue verschwand, ebenso wie der offene Wasserlauf an der Wasserzucht. Nur die Westaue darf seitdem noch, mit großzügig bemessenem Ufer, ungehindert durch Wunstorf fließen.
Von Einblicken in die jüngste Stadtgeschichte wollten sich zahlreiche Wunstorfer am Donnerstagabend nicht abhalten lassen. Wittrock gelang mit seinem Vortrag, wie er augenzwinkernd im Zuge der Präsentation selbst anmerkte, die Innenstadt auch nach Ladenschluss in ein belebtes Pflaster zu verwandeln.
Dem Vortrag von Heiner Wittrock im Saal der Abtei lauschten am Donnerstagabend an die 200 Zuhörer, darunter auch Bürgermeister und Ortsbürgermeister. Sitzplätze gab es keine mehr, die Besucher des Vortrags standen dichtgedrängt vor den Fenstern oder setzten sich sogar auf den Boden. Die Atmosphäre erinnerte beinahe an die universitäre Auftaktvorlesung zu Beginn eines neuen Semesters. Viele waren alteingesessene Wunstorfer, die ob der historischen Fotos in Erinnerungen schwelgen konnten, doch auch die jüngeren Generationen verschafften sich an diesem Abend einen interessanten Überblick über die Stadt, in der sie leben.
Wittrock schloss seinen Vortrag mit einem Bogen zu den aktuellen städtebaulichen Fragen, wie etwa der Suche nach neuen Parkplätzen. Er appellierte an die künftigen Planer, den Grünbereich am Jahnplatz nicht vollends zu opfern, also nicht ausgerechnet an der Alten Südaue Parkplätze anzulegen. Doch getan werden müsse etwas, denn auch die schönste Innenstadt könne nur erhalten werden, wenn die Leute auch dort parken könnten.
Mit Sachverstand, rhetorischer Schärfe, einer Prise Humor und nahezu ebenso vielen Bildern und Luftaufnahmen wie Besuchern führte Heiner Wittrock eben jene durch den Abend und sorgte damit sicherlich bei nicht wenigen für neue Erkenntnisse in Sachen Stadtgeschichte.
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