Den Wunstorfern ist es vertraut: Das Geschwaderwappen des Lufttransportgeschwaders 62 auf dem hiesigen Fliegerhorst. Auf blauem Grund ein schwarzer Rabe mit durch weißem, rotgetupftem Tuch verbundenen Augen, darüber in schwarzen Buchstaben auf gelb-goldenem Hintergrund der Schriftzug LTG 62.
Am Eingang des Fliegerhorstes begrüßt es die Besucher, auf allen Maschinen des Geschwaders ist es angebracht, auf den Overalls der Besatzungen aufgestickt, der Kommodore der Luftwaffenbasis trägt es an der Dienstuniform.
Wer der abgebildete Rabe ist, ist kein großes Geheimnis, in Wunstorf wird allgemein angenommen, dass er „Hans Huckebein“ darstellen soll, den Unglücksraben aus dem Werk von Wilhelm Busch. Dort wird der Rabe in einer Geschichte ins Haus von „Tante Lotte“ gebracht und stellt es auf den Kopf. Der Rabe verschreckt und verletzt Mensch und Tier, bevor er sich nach dem Naschen am Alkohol selbst erdrosselt.
Mit diesem Unglücksvogel identifiziert sich das Lufttransportgeschwader? Wie ist das möglich? Außerdem: Die Rabenfigur kann nicht direkt bei Wilhelm Busch entliehen worden sein, denn obwohl die Abbildung mit dem um den Kopf gebundenen Tuch wie eine typische Darstellung wirkt, gibt es eine solche Szene mit Hans Huckebein und verbundenen Augen nicht. Wie also kommt der Rabe ins LTG-62-Wappen? Soll es Glück bringen, im Zeichen eines blinden Vogels abzuheben? Noch merkwürdiger: Ursprünglich hatte das LTG 62 einmal einen Elefanten als Emblem. Warum wurde er durch einen Raben ersetzt?
Licht ins Dunkel bringen kann Heiner Wittrock, Heimatforscher und Fliegerhorstchronist, der einst gemeinsam mit Manfred Pickel die Geschichte des Wappens erhellt hat. Denn schon früher kursierten viele Theorien, wie es zu dem Raben beim LTG 62 kam – die meisten waren jedoch frei erfunden.
Denn das Geschwaderwappen hatte eine Vorgeschichte: Der blinde Rabe war ursprünglich nicht das Zeichen des LTG 62, sondern wurde erst später dazu. Zuerst war es ein Symbol einer Ausbildungsgruppe innerhalb der Flugzeugführerschule S gewesen und hat seine Ursprünge Ende der 1950er Jahre. Als 1959 Räume im Kasino des Fliegerhorstes zu dekorieren waren, griff ein Gefreiter zum Pinsel und malte in mehreren Variationen einen Raben an die Wände der Bar – inspiriert von Wilhelm Buschs Hans Huckebein.
Das Rabenmotiv soll den Offizieren aus dem „Hotel Rabe“ beim Fliegerhorst Uetersen vertraut gewesen sein – dort hätte sich eine ähnliche Zeichnung befunden. Neben zwei weiteren Symbolen, einer Libelle und einem Falken, wurde der Rabe dann schließlich zum Symbol in der Flugschülerausbildung – und bekam dazu noch die Augen verbunden, um den Blindflug in der Ausbildungsgruppe B zu verdeutlichen. Vom damaligen Gruppenkommandeur beauftragt, entwickelte der Gefreite seine Zeichnung zum Emblem weiter, wie es fast heute noch verwendet wird. 1960 tauchte der blind fliegende Rabe damit zum ersten Mal auf und wurde wenig später auch ins Wappen der Flugzeugführerschule übernommen.
Schließlich wurde der Rabe zum alleinigen Symbol der Wunstorfer Flugausbildung, und im Laufe der Jahre veränderte sich das Aussehen des Rabens auch noch etwas, die Beine wurden beispielsweise anders gezeichnet oder die roten Punkte auf dem „Kopftuch“ kamen hinzu. Doch dann wurde es eng für den Raben: Die Flugzeugführerschule ging 1978 in das wiederbelebte und neu in Wunstorf aufgestellte LTG 62 über.
Doch das ehemalige LTG 62 hatte bereits ein Wappentier gehabt: ein Elefant symbolisierte die großen Transportmaschinen. Nun geschah das Unerwartete: Nicht das Traditionslogo des LTG 62 wurde übernommen, sondern der am Standort vertraute Rabe machte das Rennen. Das verwundert nicht, denn die Verbundenheit zum Raben war hoch: In den 1960er Jahren hielt man sich auf dem Wunstorfer Fliegerhorst sogar mehrmals Raben als Maskottchen – der erste Rabe hieß jedoch nicht Hans, sondern wurde „Gefreiter Jakob Huckebein“ getauft.
Hans – oder Jakob – Huckebein mit Kopftuch wurde auf diesem Weg zum alleinigen Geschwaderwappen des neuen LTG 62 bestimmt. Seitdem ist es endgültig fest mit den Wunstorfer Fliegern verbunden – und wurde damit gleichermaßen zum heutigen Erkennungszeichen für die Transportflieger der Luftwaffe in der Bundeswehr. Inzwischen gibt es allerlei Material und sogar Fanartikel mit dem LTG-62-Maskottchen. Kontor-3-Chef Manfred Henze brachte vor einigen Jahren sogar eine Plüschfigur des Rabens auf den Markt.
Das Rabenlogo ist damit im Kern tatsächlich schon 65 Jahre alt – und hat seine ganz eigene Tradition entwickelt. Warum der Rabe – vormals auf Grau abgebildet – nun auf blauem Hintergrund fliegt und der LTG-Schriftzug auf Gelb prangt, das aber bleibt bis auf Weiteres ungeklärt. Man könnte sich Ende der Siebzigerjahre an den Stadtfarben Wunstorfs orientiert haben, die zu diesem Zeitpunkt eine größere Rolle bekamen – es könnte aber auch die Fortführung der weiteren Grundfarben aus dem historischen Flugzeugführerschulwappen gewesen sein. Oder das Blau steht einfach für den Himmel und das Gelb knüpft an den Schnabel des Rabens an. So bleibt vorerst genug Stoff für neue Spekulation und Legendenbildung.
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