Haste ist durch und durch ein Eisenbahnort. Während Bahnhöfe in Städten wie Wunstorf einst dafür sorgten, dass sie mit dem beginnenden Eisenbahnzeitalter zu prosperieren begannen, war der Bahnbau in Haste überhaupt erst der Grund, weshalb der heutige Ort in seiner Form entstehen konnte.
Vor der Eisenbahn war Haste ein kleiner Flecken auf der Landkarte, mit ein paar Gutshöfen und ansonsten Waldgebiet – der Bahnhofs- und Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert veränderte alles. Arbeiter und Bahnbeschäftigte zogen in den Ort, ließen sich nieder, bauten neue Häuser in den Haster Wald, die über die Jahre zu einer zusammenhängenden Ortschaft anwuchsen. Haste war nicht nur eine neue Heimat für die Eisenbahn geworden, vielmehr formte die Eisenbahn den Ort.
Auch im folgenden Jahrhundert blieb Haste Eisenbahnort, bot vielen Menschen rund um die Bahnstrecke Arbeit und ist bis heute ein wichtiger Halt im nördlichen Schaumburger Land. Das mondäne Bahnhofsgebäude, das jedoch schon lange nicht mehr als solches genutzt wird, zeugt weiterhin von dieser Entwicklung.
Die heutige Bahnhofsanlage wirkt, gemessen an der Größe des Ortes, direkt überdimensioniert, doch der Haster Bahnhof war einst sogar noch viel größer. In Haste wurden Dampflokomotiven betankt, auf unzähligen Gleisen wurde rangiert, eine Lokomotivdrehscheibe verteilte Loks an neue Positionen. Ein Wasserturm stand noch bis in die 1960er Jahre im Ort und bildete das Wahrzeichen von Haste.
Den Brunnenanschluss, wo früher der Wasserturm für die Dampflokomotiven in den Himmel ragte, gibt es noch immer. Wenn historische Dampflokomotiven über die Strecke fahren, dann ist Haste wie vor 150 Jahren nach wie vor ihre Anlaufstelle zum Wasserauffüllen.
Am 8. und 9. Februar 2025 wurde die Eisenbahn nun wieder einmal ganz in den Mittelpunkt von Haste gerückt. Nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt, im Haster Bürgerhaus, hatte der Verein Haster Runde für zwei Tage ein kleines großes Eisenbahn-Mekka erschaffen. Eine lebendige Ausstellung zog Eisenbahnfreunde nicht nur aus Haste selbst an.
Auf Stellwänden wurde in drei Reihen die Geschichte der Eisenbahn sowohl allgemein als auch natürlich insbesondere auf Haste bezogen dargestellt. Die Besucher erfuhren von einstigen und heutigen Strecken, von Technik, Bauten und Berufen.
Exponate waren zahlreich beschafft worden: Historische Bahn-Fernmeldetechnik war ebenso zu sehen wie etwa ein Stück Schiene, das einst in Minden gelegen hatte. Dort hatten die Räder einer Lok derart durchgedreht, dass das Metall der Schiene geschmolzen und regelrecht herabgetropft war.
Nicht nur Kinder hatten ihren Spaß am Rangierspiel, das auf einer Brio-Holzeisenbahn absolviert werden konnte. Der Eisenbahnchor Haste trat auf. Im Nebenraum wurden Eisenbahnfilme vorgeführt.
Die vereinseigenen Schaufensterpuppen zeigten extra für die Ausstellung ausgeliehene Originaluniformen früherer Bahnbediensteter – und ließen die Szenerie etwas skurril wirken, als Vorträge gehalten wurden. Denn die Puppen waren so neben dem Rednerpult aufgestellt worden, dass es wirkte, als würden sie den Rednern ganz besonders interessiert über die Schulter schauen. Aber die Vortragenden ließen sich auch von dieser „personellen Unterstützung“ nicht aus der Ruhe bringen.
Dazu gab es Fachvorträge fürs breite Publikum. Eike Loos, Haster Bahntechnikkoryphäe und Eisenbahner im Ruhestand, brachte den Besuchern die Grundzüge der Dampfmaschine näher, die das Eisenbahnzeitalter überhaupt erst begründete. Die Funktionsweise der Dampflokomotive verknüpfte Loos dabei sogar mit regionalen Bezügen: die Heusinger-Schwinge, ein wichtiges Bauteil von europäischen Dampflokomotiven, wurde genauer betrachtet.
Sie war einst vom hannoverschen Ingenieur Edmund Heusinger von Waldegg, der später auch in den Bau der Deisterbahn involviert war, erfunden worden. Die Lokomotiven konnten damit erstmals auch rückwärts fahren – vor dieser Erfindung hatten Loks keinen „Rückwärtsgang“ und mussten für Richtungswechsel noch gedreht werden.
Dass Loos sich auch ganz persönlich auf Spurensuche in die Eisenbahngeschichte begeben hatte, bewies er mit einem eingeblendeten Foto, das ihn neben dem schwierig zu findenden Grab des Ingenieurs auf dem Stadtfriedhof Engesohde zeigte.
Die Züge der Steinhuder Meer-Bahn hielten nie in Haste, aber die Meer-Bahn hat das Schaumburger Land einst mit verändert. Darauf ging Professor Karl-Heinz Schneider ein, der die Geschichte des Eisenbahnunternehmens und ihren Einfluss auf die Region nachzeichnete.
Der Historiker aus Hannover hatte dabei auch einen ganz persönlichen Bezug zur Meer-Bahn: Schneiders Vater war 40 Jahre lang im Unternehmen gewesen, fuhr einst als Heizer auf der „Uchte“, einer der Lokomotiven der Steinhuder Meer-Bahn.
Was viele heute gar nicht mehr wissen: Hätte es die Meer-Bahn nicht gegeben – nicht Steinhude wäre nun der touristische Anlaufpunkt, sondern wahrscheinlich Hagenburg. Denn einst war Hagenburg das Tor zum Steinhuder Meer. Der Hagenburger Kanal zeugt noch heute davon. Erst die Meer-Bahn änderte dies, machte Steinhude zum neuen Anlaufpunkt und sorgte für starke touristische Entwicklung. Auf einmal war das Steinhuder Meer gut für die Städter erreichbar, und die Personenbeförderung wurde viel bedeutsamer als der ursprünglich ins Auge gefasste Güterverkehr bei der Meer-Bahn.
Und auch wie sich ein Vorteil in einen gravierenden Nachteil verwandeln kann, darauf ging Schneider ein. Denn es war die Bauweise der Strecke in Klein Heidorn, die später wesentlich zum Ende der Meer-Bahn beitrug. Dabei hatte es die Eisenbahnstrecke dort ursprünglich sogar besonders einfach gehabt. Als die Bahnlinie gebaut wurde, war die Klein Heidorner Hauptstraße als einzige in den Ortschaften bereits so breit angelegt, dass die Meer-Bahn hier einfach auf die normale Straße dazugebaut werden konnte, es wurde kein eigener Bahndamm nötig.
Allerdings ahnte man damals noch nichts vom späteren motorisierten Individualverkehr. Als der ab den 1950er Jahren zu explodieren begann, wurde die Meerbahnstrecke in Klein Heidorn zum permanenten Verkehrshindernis. Das Nadelöhr wurde zu einem der Sargnägel für die Eisenbahn. Ein Streckenneubau wäre nicht nur in diesem Bereich langfristig nötig geworden, um die Meer-Bahn zu erhalten – doch das war in späteren Jahren schon nicht mehr finanzierbar.
Ein wenig Wehmut klang mit: „Die Meer-Bahn werde es immer geben“, habe es noch in ihren letzten Jahren geheißen. Dann war das Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt schon längst keine Bahnen mehr betrieb, in der Regiobus aufgegangen, die nun auch wiederum als Marke zu verschwinden beginnt.
Die „Fahrgastzahlen“ steigern konnte dagegen die Haster Runde: Zum Ausstellungswochenende wurde ein neuer Besucherrekord erreicht. Bei 500 Gästen hörten die Vereinsmitglieder auf zu zählen. Gut 20 Prozent mehr Menschen als im Vorjahr waren zur Ausstellung nach Haste gekommen.
Für besonderen Glanz auf der Veranstaltung sorgte Claus-Peter Enders. Eigentlich war er als Geschichtsinteressierter am ersten Tag nur als Besucher zur Ausstellung gekommen – in zivil. Doch dann wurde er kurzerhand zum Beitragenden, als er sah, was der Verein dort auf die Beine gestellt hatte. Er schmiss sich persönlich in Schale – legte direkt die historische Eisenbahneruniform aus seinem Fundus an und gab den königlichen Eisenbahnbediensteten.
Denn die Haster Runde hatte hier tatsächlich einen ganz besonderen Besucher in ihren Reihen: Enders ist in Hannover bekannt als Königshausdarsteller, zu vielen Gelegenheiten schlüpft er, in prachtvoller Offiziersuniform, vor allem in die Rolle von König Georg V. von Hannover. In Eisenbahneruniform samt weißen Handschuhen und umgeschnalltem Degen wurde er in Haste zum Ehrengast.
Zwischen den übrigen Besuchern an den Kaffeetafeln hatte er Platz genommen, lauschte den Vorträgen und blies ab und an in die Trillerpfeife, um den Vortragenden auch den nötigen Respekt an der „Bühnensteigkante“ zu verschaffen. An Bordverpflegung mangelte es nicht: 39 Kuchenspenden hatte die Haster Runde diesmal im Ort für das Event organisieren können.
siehe auch: Mit der Dampflok direkt am Wunstorfer Rathaus vorbei - die Geschichte der Steinhuder Meer-Bahn
Alles sehr gut illustriert und dargestellt. VVUELES davon habe ich gar nicht gewusst.
Meine Hochachtung den Autoren und der Haster Runde.