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Gerhard Schröder und Karl Nolle in Wunstorf – ein fast vergessenes Kapitel

02.11.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 1846

Nun schreiben sie wieder über ihn, und er ist in den Schlagzeilen: Die SPD – wenigstens ein paar Getreue – hat Gerhard Schröder für seine 60-jährige Mitgliedschaft geehrt. Und: In der Marktkirche in Hannover prangt endlich das Lüpertz-Fenster, für das der Altkanzler Geld gesammelt hat. Das ist Anlass für Würdigungen und Rückblicke. Die Auepost reiht sich ein und geht der Frage nach: Was verbindet Schröder mit Wunstorf?

02.11.2023
Achim Süß
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Gerhard Schröder mit Kaffee neben Klaus Matthiesen bei einem Treffen mit Landwirtschaftsexperten in Neustadt | Foto: Achim Süß

Polit-Prominenz hat immer mal wieder den Weg in die Auestadt gefunden: Konrad Adenauer nahm eine rekordverdächtige Parade auf dem Fliegerhorst ab, seine Nachfolger Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl sprachen einst im Stadttheater und vor der Stadtsparkasse zum Wahlvolk, Frank Walter Steinmeier kam vor Jahren in die Abtei. Die Verteidigungsminister sind immer mal wieder auf dem Fliegerhorst. Ministerpräsident Stephan Weil sagt selbst, er sei so etwas wie ein Dauergast.

Immer schon gab es besondere Besuche: So treffen sich bei Kriegsende und ein Jahr später bei einem Großmanöver zwei Soldaten nahe Kolenfeld, die weltberühmt waren oder wurden: der britische Field Marshal Bernard „Monty“ Montgomery und Dwight D. „Ike“ Eisenhower, US-General und späterer Präsident. Ganz in der Nähe ist im Mai 1945 auch ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der US-Armee: Henry Kissinger, Jahrzehnte später Außenminister der Vereinigten Staaten.

„Schröder und Wunstorf“ ist ein lange zurückliegendes Kapitel, das sich in den Büchern über den SPD-Politiker nicht findet. Sie beginnt 1968 – mit einem 23-Jährigen namens Karl Nolle, den in seiner Wunstorfer Zeit alle nur Karlchen nennen. Das sollte ihn unterscheiden von seinem Vater, der auch Karl hieß. Karl Senior und Ehefrau Thea sind Urgesteine der Wunstorfer SPD, und so ist Karlchens Weg quasi vorbestimmt. Nolle engagiert sich früh in der Friedens- und Antiatomkraftbewegung, geht ins Sozialistische Osteuropakommitee, setzt sich für Oppositionelle in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR ein. Er nimmt an Aktionen gegen die Militärdiktatur des Generals Pinochet in Chile teil und organisiert in Kassel, Bochum und Marburg sogenannte sozialistische Konferenzen.

Gemeinsame Firma in der Hindenburgstraße

Von 1970 bis 1976 studiert er in Hannover Geschichte, Politologie, Soziologie und Psychologie. 1968, im Jahr der Studentenunruhen, gründet er in Hannover eine Kleindruckerei, die er bald nach Wunstorf verlegt: in die frühere Kutschen-Remise der Villa Schönfeld an der Hindenburgstraße, die zu dieser Zeit der Stadt Wunstorf gehört. Bruder im Geist und enger Partner in dem stark links geprägten Unternehmen ist Gerhard Schröder.

Schröder – ein Jahr älter als Nolle – ist nach seinem Jura-Studium in Göttingen in diesen Jahren Referendar am Landgericht Hannover. Er ist nur etwa drei Jahre in der Firma aktiv. Von 1976 an orientiert er sich neu und stellt die Arbeit als Anwalt und in der SPD in den Vordergrund. In Hannover hat er von 1978 an eine eigene Kanzlei und arbeitet mit profilierten Kolleginnen wie Hela Rischmüller oder mit Götz von Fromberg zusammen. Es ist eine Zeit, in der ein heftiger Streit in der SPD geführt wird: Reformsozialisten gegen Anhänger der Theorie vom Staatsmonopolismus. Schröder vertritt die Linie der Anti-Revisionisten.

Die großen Namen

Er bleibt sich damit treu – und der Politik, die die kleine SOAK-Druckerei an der Hindenburgstraße in ihren vielfach ins Land geschickten Erzeugnissen vertritt. SOAK steht für Sozialistische Aktion, und Nolles Materialien zur sozialistischen Theorie und Praxis rufen im bürgerlichen Wunstorf der frühen 1970er Jahre Skepsis und Misstrauen hervor. In der linken Szene hat SOAK jedoch lange einen großen Namen, nicht zuletzt, weil Schröder und Nolle die Thesen bekannter Sozialphilosophen wie Oskar Negt, Politikwissenschaftler wie Peter von Oertzen oder marxistischer Theoretiker wie Ernest Mandel verbreiten. Die Wunstorfer Zeit von SOAK endet nach ein paar Jahren. Nolle verlässt Wunstorf 1976 und zieht nach Hannover. Die Druckerei verkauft er 1995. Die alte Remise wird anders genutzt. Das ist eine neue Geschichte.

Gerhard Schröder (Mitte), hier im Wahlkampf mit Landwirtschaftsexperten Klaus-Peter Bruns (links) und Klaus Matthiesen | Foto: Achim Süß

Wie auch für Nolle stehen für Schröder bald andere Interessen und Ziele im Vordergrund. Schröder ist in der großen Politik angekommen: Anführer der Jungsozialisten, Landtagsabgeordneter, Mitglied des Bundestages. 1995 ist er schon seit fünf Jahren als Nachfolger von Ernst Albrecht Ministerpräsident von Niedersachsen. Wunstorf steuert er immer mal wieder an: als Wahlkämpfer, als Abgeordneter.

Schröder geht in die große Politik, Nolle bleibt Unternehmer

Nolle bleibt Nonkonformist. Seit dem Mauerfall ist Dresden seine Heimat, und dort wird er zum Verleger und Kunstmäzen. Er engagiert sich gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und rettet das Druckhaus Dresden vor dem Ruin, ist Landtagsabgeordneter. Bundesweit bekannt wird er als Aufklärer und Kontrahent von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der sich vom CDU-Generalsekretär in Sachsen zu „König Kurt“ entwickelt. Wie in seinen frühen Jahren in Wunstorf teilt Nolle kräftig aus. „Immer mitten in die Flanke des politischen Gegners“, schreibt die Sächsische Zeitung: „Ohne Filter. Frei heraus. Ob es um die Biedenkopfschen Wohnverhältnisse ging, die Landesbank-Misere von Regierungschef Georg Milbradt oder die frühere berufliche Tätigkeit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich.“

In Wunstorf spielt Nolle keine Rolle mehr. Einen großen Teil seines Besitzes büßt er im Lauf der Zeit ein. Politisch ist er nicht mehr aktiv. In einer Dachwohnung bastelt er Modellflugzeuge. SOAK ist Geschichte.

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Kommentare


  • Lydia Bertani sagt:

    Vor etwas mehr als einem Jahr hiess es vom ZDF noch:
    „Schröder bleibt Parteimitglied : Eine Niederlage für die SPD – mit Ansage“

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