Emotional wurde die Kommandoübergabe am 10. Januar, als Oberst Christian John, bis zu diesem Tag der Kommodore und damit die vergangenen knapp vier Jahre Chef des Lufttransportgeschwaders (LTG) 62 gewesen, seine Abschiedsworte sprach. Das Lied, das zu seinem Abschied vom Heeresmusikkorps Hannover gespielt wurde, hatte er sich selbst ausgesucht: „Always look on the bright side of life“.
Es wurde ein Rückblick auf die zurückliegenden Jahre am Fliegerhorst Wunstorf, die von vielen Umbrüchen und Neuerungen gekennzeichnet waren. Die Verschmelzung von ehemals drei verschiedenen Lufttransportgeschwadern zu einem – dem Wunstorfer –, die „Metamorphose vom vermeintlichen Pannenflieger zum Medienstar und neuen Engel der Lüfte“, der Aufbau der Fähigkeiten, weltweit zu operieren, das fällt in die Dienstzeit Johns als Kommodore des LTG 62.
Viele Einsätze habe man geflogen, einer davon werde in die Geschichte eingehen, prognostizierte der Oberst: Der Evakuierungseinsatz von Kabul. Damals, im August 2021, waren „über 5.000 Frauen, Männer und Kinder aus unmittelbarer Gefahr“ gerettet worden. Dies sei die schwierigste Operation bisher gewesen und zweifellos ein Wendepunkt in der Entwicklung des LTG 62. Diese Militäroperation habe das Geschwader nachhaltig verändert, sagte John. Damals habe jede Flugstunde gezählt, in nur 3 Tagen sei die Einsatzbasis dafür in Taschkent aufgebaut worden, die Bedingungen auch in Usbekistan waren schwierig, nachdem wegen des Afghanistan-Abzuges kaum noch Ressourcen bereitgestanden hätten. Die Einsatzzentrale sei ein Flugzeug gewesen – immer eines, das gerade nicht flog. Auf Aluminiumkisten sitzend, habe man dort gearbeitet. Die Piloten seien unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen geflogen.
Die Kabul-Mission habe die Fähigkeiten des LTG 62 als First Responder unterstrichen – es sei gewesen, „als hätte man im Geschwader einen Schalter umgelegt“, so John. Vor allem mit diesem Einsatz sei das Image vom „Pannenflieger“ abgelegt worden und habe das Geschwader zu einer Gemeinschaft zusammengeschweißt. „Solche Leistungen lassen sich nur im Team erbringen“, unterstrich John den Korpsgeist beim Lufttransportgeschwader. „Die werden das schon irgendwie hinkriegen“ sei die Erwartung der Bundeswehr an das LTG 62 gewesen – und man habe es auch immer irgendwie hinbekommen.
Diese Erwartungshaltung sei inzwischen zum Selbstverständnis der Flieger in Wunstorf geworden: Man begegne solch schwierigen Einsätzen nun mit einer gewissen Gelassenheit, mit der Überzeugung, dass man es schaffen werde, beschrieb John es und adressierte die LTG-62-Angehörigen direkt: „Ihre Attitude, wie es im Fliegerjargon heißt, sucht ihresgleichen in der Bundeswehr.“ Damit schloss John auch alle nicht direkt Unterstellten mit ein, namentlich z. B. die Fliegerhorstfeuerwehr.
„Meist sind wir die Ersten, die gebraucht werden, und die Letzten, die die Einsatzgebiete wieder verlassen“, sagte John, und für die Zukunft des LTG 62 gelte, aus den Sprints einen Staffellauf zu machen – das Geschwader nachhaltiger aufzustellen. „Wenn es die Realität ist, dass wir rund um die Uhr und an den Wochenenden gebraucht werden, dass kurzfristig große Ressourcen freizusetzen sind, dann muss dem langfristig auch Rechnung getragen werden.“
Vom Rückblick leitete John damit direkt zum Ausblick über – und verband diesen auch mit Kritik am Hersteller der Flugzeuge, die auf dem Fliegerhorst Wunstorf beheimatet sind. Ohne Airbus direkt zu nennen, ging die Kritik auch in Richtung des Flugzeugbauers, als John an die Industrie appellierte: „Sie haben ein fantastisches Flugzeug gebaut, wahrscheinlich das modernste militärische Transportflugzeug der Welt. Aber: Wir brauchen mehr davon, einsatzklar auf unserem Vorfeld!“ Noch immer stünde ein viel zu großer Anteil der Flugzeuge nicht zur Verfügung, weil sie sich in Wartungsmaßnahmen befänden – und kämen nicht innerhalb der geplanten Zeiten aus der Wartung zurück.
Das nun im Bau befindliche A400M-Wartungszentrum sei ein guter Ansatz, er könne aber nur funktionieren, wenn er durch klare leistungsorientierte Vereinbarungen mit der Industrie begleitet werde. Insbesondere zeitliche Vorgaben und die Verfügbarkeit von Luftfahrzeugen müssten klar definiert und verlässlich eingehalten werden, um als verlässliche Größe in die operativen Planungen des LTG einfließen zu können. Nur so könne den Anforderungen der Zeit und dem Anspruch der Luftwaffe, First Responder zu sein, Rechnung getragen werden.
Dank wiederum sprach John in Richtung der Vertreter der umliegenden Kommunen aus, die zur Kommandoübergabe gekommen waren: Denn eine Armee könne nur gut sein, wenn sie Rückhalt in der Zivilgesellschaft fände, die Gesellschaft den ein oder anderen Nachteil in Kauf nehme. Das sei mehr als einmal deutlich geworden, so John. Die Menschen teilten nicht nur die Faszination, sondern auch die Zielsetzungen und Einsätze mit dem LTG. Nachbar eines Flugplatzes zu sein, auf dem bei Notwendigkeit Tag und Nacht und auch am Wochenende geflogen werde, könne durchaus belastend sein – dennoch habe er etwa nach Air Defender gehört, dass man gerne noch mehr Flugzeuge in Wunstorf gesehen hätte. Die Wunstorfer hätten den Stolz auf „ihr Geschwader“ zum Ausdruck gebracht. Einen besseren Rückhalt könne man sich nicht wünschen, sagte John und dankte allen im Namen des Verbandes. Auch seine Familie habe Rückhalt geboten: „Papa, du warst nie da“ habe er sich nie anhören müssen, obwohl er dafür Anlass geboten hätte, so John.
Generalmajor Peter Klement, der das Kommando über das LTG 62 von John auf seinen Nachfolger Markus Knoll übertrug, sprach Johns Führungsleistung der vergangenen Jahre an: John habe den Verband während einer globalen Krise übernommen – der Corona-Pandemie, in der die „fliegenden Intensivstationen“ des A400M zur Verlegung von Schwersterkrankten in spezialisierte Kliniken ermöglichten. Für 126 Menschen seien die Maschinen der „rettende Anker“ gewesen, so Klement. Die Einsätze seien ein bewegter Anfang, aber leider nicht die einzige Herausforderung gewesen. Die Einsatzrealitäten hätten dem LTG 62 immer wieder Höchstleistungen abverlangt – bei der Evakuierungsoperation aus Afghanistan, als innerhalb von 11 Tagen über 5.300 Menschen aus 45 Nationen aus Kabul ausgeflogen worden waren. „Eine militärische Meisterleistung und Feuertaufe für das Waffensystem A400M“ sei das gewesen – und Mensch wie Maschine hätten sie mit Bravour bestanden. „Sie waren immer der Kommodore zum Anfassen, den ihr Verband brauchte“, sagte Klement, „im Routinebetrieb und im Krisenmodus“.
Das Kommando über das Lufttransportgeschwader wurde an diesem Tag auf Oberst Markus Knoll übertragen. Seinem Nachfolger wünschte John neben dem obligatorischen Quentchen Fliegerglück die „nötige Gelassenheit, Geduld und den Mut, Dinge ungefiltert offen anzusprechen, auch wenn dir der Wind dabei mal ins Gesicht bläst“. Manchmal müsse man unbequem sein, Verbesserungen ließen sich nur auf diesem Weg durchsetzen.
siehe auch: Der Neue ist da: Kommodore Markus Knoll führt nun das LTG 62 der Luftwaffe in Wunstorf
Dann wurde es noch einmal richtig sentimental. Direkt Gänsehaut unter den Anwesenden verursachte Johns letzte Äußerung als Kommodore des LTG 62:
Mit dem Wahlspruch der Transportflieger schloss John die an sein Geschwader gerichteten Worte: „Es war mir eine Ehre. Anytime, anywhere – wir sind das LTG.“
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