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„Hier geht’s um die Gefahr des 3. Weltkrieges“: Die Friedensdemo vor dem Fliegerhorst Wunstorf

18.06.2023 • Daniel Schneider • Aufrufe: 2374

Für die einen ist es nur eine Luftwaffenübung, für die anderen der mögliche Auftakt zum Dritten Weltkrieg. Ein breites Bündnis aus Friedensdemonstranten zog deshalb vor die Tore des Fliegerhorstes Wunstorf und forderte Diplomatie statt Militärübungen.

18.06.2023
Daniel Schneider
Aufrufe: 2374
Der Demonstrationszug trifft am Fliegerhorst ein | Foto: Daniel Schneider

Sie sind aus ganz unterschiedlichen Motiven zur Demonstration gekommen. Für eine waffenfreie Welt, für internationale Verständigung, für basisdemokratische Mitbestimmung, für eine Welt ohne Krieg oder zumindest eine ohne NATO. Die einen erinnern an die Taten des Militärs im Zweiten Weltkrieg, die anderen an die jetzige Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Aber eines eint sie: Die Überzeugung, dass in der Air-Defender-Übung nichts Gutes liegen kann – und dass sie zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt stattfindet.

Auf Einladung der Friedensinitiative Neustadt/Wunstorf sind Demonstranten am Samstagmittag des 10. Juni vor die Tore der Hauptwache des Fliegerhorsts Wunstorf gezogen und haben diesen damit vorübergehend blockiert – zwei Tage vor Beginn der eigentlichen Luftwaffenübung am zurückliegenden Montag, für die in den Monaten zuvor in Wunstorf die Vorbereitungen getroffen worden waren.

Das Zusammentreffen

Am Eingang der Wunstorfer Luftwaffenbasis wehen die Flaggen von Ungarn, den USA und Deutschland in einer Reihe – den Ländern, deren Militärangehörige derzeit vorwiegend auf dem Fliegerhorst zusammenarbeiten. Den Gefallen, explizit NATO-Symbolik zu bieten, erweist die Bundeswehr den Demonstranten nicht, es bleibt bei dem multinationalen Eindruck. Hinter dem Zaun gegenüber des Kundgebungsmittelpunktes parkt ein Fahrzeug der Feldjäger – der Militärpolizei der Bundeswehr. Die Soldaten selbst haben sich in den Schatten des Hauptwachengebäudes gestellt und beobachten die anwachsende Demonstration aufmerksam, aber mit Abstand.

Für den Schutz der Demonstranten und des Fliegerhorstes von außen sorgt die niedersächsische Polizei. Neben den Beamten des zuständigen Wunstorfer Kommissariats war die Bereitschaftspolizei hinzugezogen worden – allein schon deshalb, weil die Demonstration als Fahrraddemo und auch Schweigemarsch aus Neustadt und Poggenhagen begonnen hat. Entsprechend viele Wege seien abzusichern gewesen, erklärt Thorsten Fette von der Wunstorfer Polizei nebenbei auf eine Reporterfrage, während er vor dem Fliegerhorst weiterhin niemanden aus den Augen lässt.

Nur fürs Foto direkt vor das Tor der Hauptwache | Foto: Daniel Schneider

Doch dann sind die Fahrradfahrer am Ziel, und auch die Fahnen und Transparente Tragenden biegen eine Viertelstunde vor dem geplanten Auftaktbeginn in die Fliegerhorstzufahrt ein. Manche in Wunstorf hatten gar nur mit einem kleinen Grüppchen gerechnet, angesichts der neu erwachten Popularität von Bundeswehr und Landesverteidigung infolge ausgerufener Zeitenwende. Diesen Gefallen tut die Demonstration den Beobachtern nun wiederum nicht: Wir zählen grob 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich unmittelbar eingefunden haben.

Die Polizei nennt die Zahl 270. Aber auch nach Kundgebungsbeginn um 11.55 Uhr treffen stetig weitere Teilnehmer ein, die sich individuell auf den Weg gemacht haben und nun erst zur Demonstration stoßen. Am Ende sind es wohl deutlich über 300 Menschen, die vor dem Fliegerhorst Wunstorf stehen. Braunschweiger, Hannoveraner, Bremer und Hamburger sind darunter. Hier steht keine kleine Delegation von örtlichen Friedensaktivisten, hier steht nun eine ausgewachsene Demonstration, die ein deutliches Zeichen setzen kann gegen die anstehende Luftwaffenübung auf der anderen Seite des Zaunes.

Friedenstaubenweiß

Die Farben der Demonstrationen sind Blau und Weiß, auch regenbogenfarben – und zwischendrin auch einmal tiefes Rot. Eine deutsche und eine russische Flagge laufen ineinander. Verhandeln statt Schießen wird gefordert, Diplomatie statt Kriegüben – und ein Verlassen der NATO.

Die Demonstration vor der Hauptzufahrt beginnt mit Sprechchören und Musik, und trotz laut gerufener Parolen kann man durchaus sagen: in entspannter Atmosphäre. Vehemenz und Dringlichkeit liegen in der Luft, aber keine Konfrontation. Das Verbindende, die gemeinsame Zielsetzung der Friedensgemeinschaft strahlt aus. Die Stimmung ist nahezu festivalartig. Für die Live-Musik sorgt die Peace Development Crew aus Hannover.

Das Menschenmeer der Demonstranten vor den Fliegerhorsttoren | Foto: Daniel Schneider

Die Demo kommt allerdings mit klaren Ansagen: Die Veranstalter legen Wert darauf, dass die Versammlung überparteilichen Charakter hat. Plakate von Parteien will man nicht sehen, keine parteipolitischen Botschaften hören. Trotzdem stechen auch die ins Auge: Anhänger etwa der MLPD und der DKP nutzen die Demonstration als Plattform. Man lässt sich am Rand der Menge nieder, geht den Hauptrednern aus dem Kreise der Friedensinitiative aus dem Wege. Raggae-Klänge legen sich über die Szene.

Angst vor der Eskalation

Mit Blick auf die zuvorderst geparkten A400M auf dem Vorfeld sprachen die Redner. Die Uhrzeit des Kundgebungsbeginns hat ganz bewussten Symbolgehalt: Es ist fünf vor zwölf, so die daraus sprechende Botschaft.

Das ist der rote Faden, der sich durch die Demonstration zieht. Die Luftwaffenübung wird nicht als Manöver gesehen, sondern als weiterer Schritt zu einer Eskalation, die direkt zum nächsten Weltkrieg führen kann – einem Atomkrieg. „Train as you fight“ sei den Übungsteilnehmern gesagt worden – sie sollten kämpfen, als wären sie schon in einem richtigen Krieg, berichtet Gerhard Biederbeck von der Friedensinitiative Wunstorf/Neustadt der Menge.

Gerhard Biederbeck spricht | Foto: Daniel Schneider

Es würden Kriegsszenarien geprobt, auch im Baltikum bis zur russischen Grenze. „Dass dieses Manöver ernsthaft abschrecken soll, das glaubt doch kein Mensch“, ruft Biederbeck. Es sei vielmehr die Vorbereitung auf einen Krieg. „Das ist dann hier auch nicht ein harmloses Manöver, hier geht es um Tod und Leben, hier geht’s um die Gefahr des Dritten Weltkrieges“, ruft Biederbeck energisch über den Platz. Die Demonstranten applaudieren, blasen in die Trillerpfeifen, rufen Zustimmung.

Teilnehmer aus Neustadt in „Strahlenschutzkleidung“ symbolisieren uniformartig die Atomkriegsgefahr – und lassen sich medienwirksam fallen vor dem Gelände der „Ju-Halle“ – dem Museumsbereich am Fliegerhorst, das mit Atomwaffen und Air Defender 2023 allerdings ähnlich viel zu tun hat wie das Dritte Reich mit erfolgreicher Völkerverständigung.

Die drohende atomare Vernichtung symbolisiert | Foto: Daniel Schneider

Die ehrenamtliche Museums-Crew hat die Ausstellung an diesem Tag vorsorglich gar nicht erst geöffnet. In der Vergangenheit hat man schlechte Erfahrungen gemacht bei direktem Kontakt mit der Friedensbewegung. Militärinteressierte und Militärgegner sollen nicht aufeinandertreffen. Der Museumsleiter sitzt im Schatten der ausgestellten Transall und beobachtet den Aufzug. Normalerweise wäre an diesem Samstag Besuchertag gewesen. Einzelne Interessenten stehen vor der verschlossenen Tür und schielen irritiert hinüber zur Demonstration, bevor sie wieder kehrtmachen. Von den Demonstranten verirrt sich sonst niemand vor die Museumstüren.

Unverständnis über das Ergrauen der Friedensbewegung

Unter den Teilnehmern fehlt oft merklich das Verständnis für die Abwesenheit der Jüngeren. Der Schulterschluss zur jungen Generation, zur Klimabewegung wird gesucht, aber er gelingt bislang kaum.

Warum junge Menschen wegen des Klimawandels auf die Straße gehen, aber nicht gegen Krieg und Aufrüstung, das ruft bei vielen Friedensaktivisten Kopfschütteln hervor. „Liebe Grüne Jugend, Fridays for Future: Der größte Umweltverschmutzer ist das Militär“, lässt Biederbeck die Menge wissen und erntet tosenden Applaus. Wenn der Dritte Weltkrieg begonnen habe, dann würde Klimaschutz keine Rolle mehr spielen.

Gunther Eberhard | Foto: Daniel Schneider

So sieht das auch Gunther Eberhard. Der 72-Jährige ist aus Laatzen zur Demonstration gekommen und stellt die rhetorische Frage: „Sehen Sie hier jemanden unter 50?“ Tatsächlich sind junge Leute unter den Teilnehmern, aber nicht aus der organisierten Umweltbewegung – und sie sind deutlich in der Minderheit. „Die meisten haben das Rentenalter erreicht“, sagt Eberhard. Fast wehmütig denkt er zurück an alte Zeiten, als man Anfang der 1980er Jahre zu Zehntausenden auf Friedensdemonstrationen unterwegs war.

„Sehen Sie hier jemanden unter 50?“

Friedensarbeit ist nun Sache der Älteren, so scheint es. Die Friedensbewegung ergraut, und mit der Farbe Grün fremdelt man. Der Name Hofreiter fällt. Dass sich der Bundespolitiker über Nacht vom Landwirtschafts- zum Waffenexperten gewandelt habe, das hat Eindruck hinterlassen – hier nicht zum Positiven.

Mit der Geburt der Tochter zum Pazifisten geworden

Der Laatzener kennt beide Seiten des Zaunes: Heute engagiert er sich beim Friedensbüro Hannover, einst ist er Unteroffizier bei der Bundeswehr gewesen. Aus der Soldatenlaufbahn heraus hat er den Dienst mit der Waffe verweigert – als seine Tochter geboren wurde, erzählt er. „Es hat keinen Sinn, dass ich einen russischen Vater erschieße“, sei ihm damals klar geworden. Es seien immer die kleinen Menschen, die das Leid des Krieges ertragen müssten – die Eliten in Russland und der Ukraine seien nicht involviert, stellt er fest.

Symbolhaftes Symbol: Eine Friedenstaube macht Pause | Foto: Daniel Schneider

Biederbecks Befürchtungen teilt er. Die NATO-Maschinen würden an die russische Grenze fliegen: „Wenn da was schiefgeht, weil irgendwelchen Kommandeuren die Nerven durchgehen …“, malt er die Bedrohung aus. Wie sieht er persönlich ein Ende des Krieges in der Ukraine? Man müsse zu einem Waffenstillstand kommen, lautet die Antwort. In diesem Moment, wo er das sage, würden wieder zwei junge Männer im Krieg sterben. „So sinnlos.“ Vielleicht seien auch sie Väter.

Die NATO wäre Russland weit überlegen – wenn es nicht Atomwaffen hätte, sagt Eberhard und schlägt den Bogen zurück zur Luftwaffenübung, die den Anlass geboten hat für das Zusammenkommen. „Wozu braucht es da noch ein Manöver zur Abschreckung?“ Man wolle positive Signale senden, will die diplomatische Seite gestärkt sehen, nicht die militärische.

Brieden lässt nichts aus

Hubert Brieden bleibt bei seinem bekannten Stil und holt weit aus – sehr weit. Der Mitorganisator der Demonstration hält einen Vortag, der vom Ersten Weltkrieg bis zu Air Defender 2023 reicht. Wie ein Professor im Hörsaal referiert er über die Bombardierung Gernikas im Zweiten Weltkrieg, über Straßennamensgebung in Wunstorf, über militärhistorische Zusammenhänge mit aktuellen Konflikten. Es wird eine Linie von den Verbrechen der Wehrmacht bis zu den heutigen Soldaten der Bundeswehr gezogen.

Hubert Brieden mit Helgard Lorenz | Foto: Daniel Schneider

Ob das Publikum wirklich aufmerksam zuhört, wird lange nicht deutlich. Applaus erntet Brieden, als er zum Ende kommt: „Wir werden sie an ihre Verbrechen erinnern. Warum? Um einen erneuten und diesmal atomaren Weltkrieg zu verhindern.“

Biederbeck trifft den Nerv

Gerhard Biederbeck übernimmt die emotionalere Ansprache. Der ehemalige Deutschlehrer spricht charismatisch, redet frei und eloquent. Seine Zuhörer aber braucht er nicht mitzureißen, er spricht ihnen bereits aus der Seele. „Ich ziehe meinen Hut vor euch, danke, dass ihr alle hier seid“, beginnt er seine Abschlussrede. Trotz Zeitenwende und russischem Angriffskrieg so öffentlich für den Frieden einzutreten und zu seinen Prinzipien zu stehen, dafür braucht es Mut.

„Ich ziehe meinen Hut vor euch, danke, dass ihr alle hier seid“

Er fordert mehr Respekt ein für die jahrzehntelange Arbeit der Friedensbewegung, vor allem von den Medien. Manche Journalisten würden von vornherein bezweifeln, dass man etwas ausrichten könne. Auch fälschlicherweise als Realitätsverweigerer, als Putin-Falschversteher werde man abgestempelt. Dass er und seine Mitstreiter in die „Kleine-Minderheiten-Ecke“ gestellt werden, das ärgert ihn sichtlich.

Gerhard Biederbeck zieht das Medieninteresse auf sich | Foto: Achim Süß

Biederbeck geht analytisch vor, untermauert seine Worte mit den Ergebnissen seiner eigenen Forschung. Militäranalyse ist Teil seiner Friedensarbeit. „Die Eskalation zum Dritten Weltkrieg stoppen, mit bescheidenen Mitteln.“ So formuliert Biederbeck das Ziel. Erreicht werden könne es nur durch Diplomatie. Er nennt beispielhaft den Friedensvorschlag von Indonesien für einen zunächst kleinen Schritt zwischen den Kriegsparteien: sich einige Kilometer beiderseits der Front zurückziehen. Monotones Schreien nach mehr Waffen sei jedenfalls keine Lösung, schickt er in Richtung der Ukraine.

Im Hintergrund steckt im Kanonenrohr einer gebastelten Panzerattrappe ein Blumenstrauß. Die Medienpräsenz ist deutlich geringer als zwei Tage später beim Start der Luftwaffenübung, aber sie ist ebenfalls international: Ein Reporter filmt für eine russische Nachrichtenagentur. Biederbecks letzte Worte an diesem Tag: „Weg mit den Waffen, weg mit Air Defender 23 – und euch ein gutes Wochenende.“

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Kommentare


  • Lydia Bertani sagt:

    Ziemlich bizarr, dort zu demonstrieren, wo die Umsetzung, nicht die politischen Entscheidungen getroffen werden.
    Genauso gut könnte man auf einer Mülldeponie demonstrieren, dass zu viel Verpackungsmaterial verbraucht wird.
    Irgendwie die falschen Ansprechpartner!

  • Joachim Begerow sagt:

    Es liegt mir fernst, die Ernsthaftigkeit der Demonstranten diskreditieren zu wollen, aber drei kritische Anmerkungen bzw. Fragen seien mir dann doch erlaubt: Sehr geehrter Herr Biederbeck, glauben Sie allen Ernstes, dass eine vergleichbare Demonstration in Russland toleriert worden wäre? Sie werden mir kaum widersprechen können, dass eine solche dort im Keim erstickt worden wäre von der staatlichen Polizei, notfalls mit militärischer Unterstützung. Glauben Sie allen Ernstes, dass man mit solch einem Regime verhandeln kann, ohne sich bedingungslos unterwerfen zu müssen? Möchten Sie das Schicksal eines Herrn Nawalny teilen?

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