„Ist ja nichts mehr los.“ So lautete in jüngerer Vergangenheit oftmals das Urteil, wenn das Gespräch auf die Wunstorfer Kommunalpolitik kam. Wer dieser Meinung war, ist in diesen Wochen von der SPD eines Besseren belehrt worden. Vermutlich unfreiwillig. Monatelang pfiffen die Spatzen die Namen von Kandidaten für den Bürgermeisterstuhl von den Dächern. Aber alle duckten sich weg.
Dann erscheint zum Stand der Dinge ein Text in der Auepost. In Windeseile fabriziert die SPD eine Presseerklärung und wiegelt ab, um nur Stunden später urplötzlich den Kandidaten Martin Ehlerding zu küren. 32 Genossinnen und Genossen haben das eingefädelt – hinter verschlossenen Türen. Im selben Atemzug wird ein anderer respektabler Bewerber desavouiert und demontiert. Das hatte schon was von Kabale. Dass der Brüskierte – wiederum nur Stunden später – seinen Hut doch in den Ring wirft und den offiziellen Kandidaten der Partei herausfordert, kommt einer Sensation gleich. Das hat es in der an Volten reichen Stadtgeschichte noch nicht gegeben.
Zunächst: Die Ära Eberhardt geht im September zu Ende, und das ist gut so. 22 Jahre sind mehr als genug. Grundsätzlich betrachtet und unabhängig von der Person. Es ist Eberhardts Verdienst, die Stadtverwaltung zu einer modernen, leistungsfähigen Dienstleistungseinheit geformt zu haben. Er hat Zank, Zoff und juristische Streitigkeiten vergangener Jahrzehnte vergessen gemacht und Wunstorfs Ansehen in der Region gestärkt. Natürlich ist nicht alles Gold, und natürlich verleitet eine so lange Amtszeit zu Selbstgerechtigkeit. Aber Eberhardt ist ein Macher, wo andere fabulieren. Er hat eine klare Vorstellung von seinem Amt und der folgt er. Widrigkeiten schrecken ihn nicht ab, und selbst wenn seine CDU Front gegen ihn macht wie vor einigen Jahren, bleibt er sich und seiner Linie treu. Da gab es eine Gruppe in der Fraktion – Eberhardt hat sie mal mit Salafisten verglichen –, mit der er völlig über Kreuz lag. Aber er hat sich letztlich durchgesetzt, auch wenn bei einem der Wortgefechte seine Armbanduhr auseinanderflog, weil er in der Rage zu kräftig auf den Tisch gehauen hatte.
Wer seine Nachfolge antritt, ist offen. Die CDU scheint überzeugt, es werde so etwas wie eine natürliche Erbfolge geben und ihr Parteichef Martin Pavel als Kandidat einen klaren Sieg landen. Altgediente CDU-Mitglieder warnen vor dieser Einschätzung und meinen, Pavel habe als Bürgermeister-Kandidat keine Chance bei den Wählern. Die Zeichen stünden auf Rot-Grün, und wenn es den Grünen gelinge, einen starken Kandidaten zu finden, werde das den Erfolg bringen. Mit einer Kandidatin erst recht.
Was die SPD-Führung in diesen Wochen leitet, ist nicht wirklich klar. Parteichef Torben Klant hebt nach der Entscheidung Ehlerdings „Kenntnisse der Wunstorfer Kommunalpolitik und umfangreiches kommunalrechtliches Wissen“ hervor. Das habe den Ausschlag für den Großenheidorner gegeben. Ehlerding kenne nicht nur Politik und Verwaltung, sondern auch die Menschen vor Ort. Diese Argumentation muss verwundern. Piellusch, der zweite Bewerber um die Kandidatur, ist in Wunstorf geboren und zur Schule gegangen, lebt seit 2004 wieder hier mit seiner Familie. Im Rathaus ist er der allgemeine Vertreter des Bürgermeisters und zuständig für Ordnung, Feuerwehr, Soziales, Kultur, Bildung und Bürgerbüro. Kennt er die Kommunalverwaltung nicht oder weniger gut als sein Konkurrent? Der 54-Jährige hat ein Jura-Examen mit Auszeichnung und in etlichen öffentlichen Verwaltungen zwischen Brüssel, Hameln und Hannover gearbeitet, außerdem als Richter und in der Staatskanzlei für vier Ministerpräsidenten von SPD und CDU.
das Zustandekommen des knappen Votums von 17 zu 15 wirft erst recht Fragen auf
Fehlen ihm Kenntnisse im Verfassungsrecht? Gehört hat man nicht davon. Wenn er fachliche Defizite haben sollte: Wieso übt er dann sein Amt seit mehr als fünf Jahren aus, ohne dass davon etwas an die Öffentlichkeit gelangt ist? Es gibt keine Beschwerden. Allerdings weiß man, dass er Anliegen von Bürgern und Interessenvertretern ernst nimmt und sich kümmert. Trifft er weniger „Menschen vor Ort“ als Ehlerding? Schon die abgeschottete Kandidatenkür hat einen Beigeschmack. Es riecht stark nach Kungelei, und das Zustandekommen des knappen Votums von 17 zu 15 wirft erst recht Fragen auf. Ehlerding hat als Mitglied der roten Ratsfraktion an dem Treffen teilgenommen – und abgestimmt. Sehr wahrscheinlich also sich selbst gewählt. Piellusch war in der Runde dabei. Abstimmen durfte er nicht.
Es ist anzunehmen, dass andere Aspekte als die zitierten ausschlaggebend waren. Wer sich umhört, schnappt die Vokabeln „Stallgeruch“ und „Hausmacht“ auf. Beides sind Begriffe aus der guten alten Zeit der SPD. Hatte sich jemand hoch gearbeitet aus den Gliederungen der Partei, umwehte ihn Stallgeruch. Wer sich erfolgreich Partner und Unterstützer gesucht hatte und sich auf diese verlassen konnte, der hatte eine Hausmacht. Heute geht es um „Netzwerke“. Die hat Martin Ehlerding: Früh in die SPD eingetreten, ist er in der Führung der Ratsfraktion jetzt fest verankert. Er habe es immer eilig gehabt, sagt der 34-jährige Rechtsanwalt in einem Interview. Offensichtlich: mit 19 Genosse, mit 35 designierter Bürgermeister-Kandidat. Ehlerding gilt als guter Redner, vor allem aber als bodenständig. In Großenheidorn wird er als Ortsbürgermeister hoch geschätzt, ist verwurzelt in MTV und Schützengilde. Von Carsten Piellusch ist bekannt, dass er in den Vorständen von Kulturring und Musikschule aktiv ist.
Im Rathaus heißt es, er sei ein ausgesprochen konzilianter Mann, eher ein Intellektueller. Dass er seine Ellenbogen einsetze, könne man ihm nicht nachsagen. Ohne die, so hört man weiter, werde er es schwer haben. Und von einer alten Rechnung ist die Rede. Als Piellusch 2015 zum Ersten Stadtrat gewählt wurde, hatte die Wunstorfer SPD eine heftige interne Debatte hinter sich. Denn unter den Bewerbern war auch der damalige Parteichef Bernd Maschke. Die Zahl seiner Unterstützer in Partei und Fraktion war erheblich. Maschke sollte das Amt bekommen – mit der Option, Eberhardt als Bürgermeister zu beerben. Piellusch kam nicht auf die Liste der Männer, die zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wurden.
gleich zwei potente Anwärter, aber versäumt, ein schlüssiges Konzept für und mit beiden zu erarbeiten
Eberhardt, bekanntlich ein Mann der CDU, machte der SPD aber einen Strich durch die Rechnung. Er nutzte sein Vorschlagsrecht, Piellusch auf die Kandidatenliste zu setzen, und berief sich auf dessen Qualifikation. Im Rathaus heißt es jetzt, in der SPD seien manche immer noch verärgert. Einflussreiche Mitglieder von Parteiführung und Fraktion hätten Piellusch damals nicht gewollt und auch heute nicht. Dass ein guter Mann jetzt in einem zweifelhaften Nominierungsverfahren düpiert und ohne Not beschädigt wurde, scheint als Kollateralschaden abgetan zu werden. Von Weitsicht und überzeugendem Kalkül zeugt das nicht. Mit Pielluschs Kandidatur hat offenbar niemand gerechnet, nicht mit seiner Charakterstärke und seinem Mut. Die SPD kann in diesen Wochen froh sein, dass Corona erst einmal alle anderen Themen überdeckt, und der Termin für die Mitgliederversammlung völlig unklar ist. Wer weiß, wer als Kandidat noch im Rennen ist, wenn schließlich die Basis das Wort hat.
Bis dahin und vermutlich auch noch danach hat die SPD-Führung gut zu tun, den Riss zu kitten, der bei der Entscheidung für Ehlerding deutlich geworden ist. Zwei Lager stehen sich offensichtlich fast gleich stark gegenüber. Das hätten kluge Regisseure voraussehen können und vermeiden müssen. Jahrelang hat die SPD keine Alternative zu Eberhardt präsentiert. Jetzt hat sie gleich zwei potente Anwärter, aber versäumt, ein schlüssiges Konzept für und mit beiden zu erarbeiten. Es ist noch nicht zu spät dafür, aber fraglich, ob es dazu kommt. So steht eine Kampfabstimmung in der Mitgliederversammlung bevor. Allerdings wird es Verlierer geben. Einer der beiden Kandidaten wird unterliegen – um dann was zu tun? Weitere Verlierer stehen schon fest: die 32 Funktionsträger, die es für richtig gehalten haben, den Kandidaten in vertraulichem Kreis zu bestimmen. Diese Rechnung ging nicht auf, weil Piellusch intern Ehlerding herausfordert. Gut für die innerparteiliche Demokratie, schlecht für die Strippenzieher in Partei und Fraktion.
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