Wenn man durch die Straßen von Wunstorf geht, dann ist die Chance nicht gering, dass man früher oder später auf jemanden von der Feuerwehr trifft. Über 580 Mitglieder haben die Freiwilligen Feuerwehren der Stadt, die sich auf 10 Ortswehren verteilen. Allein in der Kernstadt sind es inzwischen über 100. Wir haben Marvin Nowak trotzdem extra eingeladen, um uns von der Feuerwehr zu erzählen. Er ist einer dieser Freiwilligen – und einer der Pressesprecher der Stadtfeuerwehr.
Nicht alle Feuerwehrmitglieder stehen immer zur Verfügung, wenn es irgendwo brennt. Denn da jeder Einzelne bis hoch zum Stadtbrandmeister Freiwilliger ist, sind die Mitglieder für die Feuerwehr neben ihren Berufen da. Arbeitgeber müssen Feuerwehrleute für die Zeit der Einsätze zwar freistellen, erklärt Nowak, aber ein Großteil der Wunstorfer Kameraden arbeitet in Hannover. Da hilft auch keine Freistellung, wenn es in Wunstorf brennt. Tagsüber kommen also überwiegend die Kollegen zum Einsatz, die in Wunstorf arbeiten – oder im Schichtdienst sind. Und das sind je nach Brandart nicht wenige: 40 bis 50 Feuerwehrleute werden etwa für einen Brand eines Mehrfamilienhauses gebraucht. Viele wohnen tatsächlich in der Nähe der Wache, so dass zumindest das erste Feuerwehrfahrzeug immer schnell losfahren kann. Aber auch sie können nicht permanent im Einsatz sein. Ein Atemschutzträger muss nach etwa einer Viertelstunde Platz machen für den nächsten. Knapp 70 Mitglieder haben diese Zusatzausbildung in Wunstorf.
Auch Nowak selbst arbeitet in Hannover, er kümmert sich als Angestellter im öffentlichen Dienst bei der dortigen Stadtverwaltung um den Bau von Schulen. Die Feuerwehr hat einen guten Querschnitt durch alle Berufe, jedoch mit einer klaren Tendenz zum Handwerklichen. „Je höher der akademische Grad, desto geringer das Interesse an der Feuerwehr“, sagt Nowak. Auf die Vielfalt der Qualifikationen baut man auf: Jeder Dachdecker wird beim Dachstuhlbrand zum gefragten Experten, jeder Kfz-Mechatroniker ist beim Fahrzeugbrand unabdingbar.
Tagsüber im Job in Hannover und dazu ehrenamtlich bei der Wunstorfer Feuerwehr, das stellen wir uns schwierig vor. Die meisten bekämen das aber gut unter einen Hut, beschwichtigt Nowak. Wenn jemand dann doch einmal nicht könne, dann sei das eben so. Nur mittelbar steckt die Berufsfeuerwehr auch ein wenig in der Wunstorfer Feuerwehr drin: Einige Berufsfeuerwehrleute sind zusätzlich auch noch in Wunstorf ehrenamtlich dabei. „Diese Kameraden machen dann nichts anderes mehr als Feuerwehr“, lacht Nowak, um dann ernster zu erklären: Einige hätten sich tatsächlich der Feuerwehr voll verschrieben, aber auch wenn man sein Hobby zum Beruf mache, bleibe man oft der alten Wehr verbunden.
Die Feuerwehr sei wie jedes andere Ehrenamt oder Hobby, mit dem Unterschied, dass man es oft ausübe, wenn man nicht damit rechne. Nowak selbst wurde als 15-Jähriger von seinen Freunden mit zur Jugendfeuerwehr genommen. „Komm mal mit, guck dir das mal an“, sei ein typischer Karrierebeginn bei der Freiwilligen Feuerwehr. Seitdem sei er davon nicht mehr losgekommen, sagt er. So ginge es vielen. Die Kumpels von damals sind auch noch alle dabei.
Mit 16 kann man bereits von der Jugendfeuerwehr in die Einsatzabteilung wechseln. Aber wie schwierig ist es, als älterer Interessent einen Einstieg zu finden, wollen wir wissen. „Das ist total einfach“, sagt Nowak überzeugt, ohne eine Sekunde zu überlegen. Es gebe aktuell erfreulich viele „Quereinsteiger“, wie man bei der Feuerwehr sage. Zugezogene, technisch Interessierte oder auch wer seine Feuerwehrleidenschaft entdeckt hat. Man schreibt eine Mail, meldet sich bei Facebook, kommt zum nächsten Übungsdienst in die Feuerwache, schaut sich um, ob es einem gefällt. Wenn das der Fall ist, bekommt man seinen Helm und die Kleidung und wird alsbald zum Grundlehrgang angemeldet. Damit hat ein Neuling dann auch seinen ersten Dienstgrad: Feuerwehrmannanwärter oder Feuerwehrfrauanwärterin. In der „Truppmannausbildung“ lernt man dann „Schlauch geradeausrollen, und alles, was man so tun muss“, sagt Nowak schmunzelnd. Nach einem knappen Jahr hat man den Grundlehrgang absolviert und steigt im Rang auf zum Feuerwehrmann oder zur Feuerwehrfrau.
Dienstgrade sind letztendlich aber überhaupt nicht wichtig, sagt Nowak, der sich selbst Oberlöschmeister nennen darf. Nur weil jemand einen höheren oder niedrigeren Dienstgrad hat, habe er deswegen nicht mehr oder weniger zu sagen. Es gibt keine klare Hierarchie wie etwa bei der Polizei. Man ist eine Truppe. Korpsgeist im militärischen Sinne gebe es bei der Feuerwehr nicht. Aber der Zusammenhalt ist trotzdem eng. „In vielen Situationen müssen sich die Leute aufeinander verlassen können“, sagt Nowak, gerade in lebensgefährlichen Situationen sei es wichtig, dass man ein Vertrauensverhältnis habe.
„Wir machen die Tür auch schon mal mit der Kettensäge auf.“
Die 14-täglichen Übungsdienste stehen fest im Kalender wie das Fußballtraining oder der Schützenverein. Alle 14 Tage trifft man sich für zwei Stunden in der Feuerwache. Das sei tatsächlich vergleichbar wie mit einem Sportverein. Man sei nicht mit jedem eng befreundet, aber ein Großteil des Freundeskreises rekrutiere sich auch aus der Feuerwehr. Ob sich auch jemand nicht für die Feuerwehr eigne, fragen wir. „Jemand, der ins Extreme neigt“, meint Nowak nach kurzer Bedenkzeit. Man sei dafür da, allen Gesellschaftsschichten zu helfen. Wer das nicht könne, also etwa Frauen oder Migranten nicht helfen wolle, solche Leute wären bei der Feuerwehr nicht gefragt. Man müsse ein Teamplayer sein und Verantwortung übernehmen können, dann sei man zwischen 16 und 67 Jahren herzlich willkommen.
Das Ehrenamt Feuerwehr übe man auch nicht aus, um Anerkennung zu bekommen, man fühle sich auch nicht ungerecht behandelt, wenn man quasi denselben Job mache wie eine Berufsfeuerwehr. Da gebe es keinen Neid. Für den Bürger dürfe es auch keinen Unterschied machen, ob eine freiwillige oder Berufsfeuerwehr zum Einsatz kommt. Viele merken den Unterschied wirklich nicht und wünschten nach dem Einsatz noch „eine schöne Schicht“, erzählt Nowak. Schichtende gibt es für die Freiwilligen aber nicht. Nach dem Einsatz fahren sie wieder nach Hause oder zurück zu ihrem Job. Wenn der Einsatz morgens um vier geendet habe, dann lohne es sich nicht einmal mehr, wieder ins Bett zu gehen.
Über Dank und Anerkennung des ehrenamtlichen Einsatzes freut man sich daher immer. „Ein Kaffee und ein Dankeschön ist die beste Bezahlung für einen Feuerwehrmann“, würde er immer sagen, sagt Nowak. Der Kaffeeverbrauch ist tatsächlich hoch während der Einsätze. Wenn nachts ein Großbrand bekämpft werden muss, sollte man schon einmal alle Maschinen anwerfen, berichtet Nowak grinsend. Dann würden auch die paar Teetrinker unter den Kameraden nicht Nein sagen. Die Mentalität unterscheidet sich in Kernstadt und Ortschaften hier etwas. Auf den Dörfern wird die Feuerwehr anders wahrgenommen und eher wertgeschätzt. Aber auch in der Kernstadt wird den Feuerwehrleuten schon einmal eine Kanne Kaffee spendiert. Bei lange dauernden Großeinsätzen kommt ohnehin professionelle Verpflegung: Dann werden die Johanniter dazualarmiert.
So viel Aufmerksamkeit man sich auch für die eigene Arbeit wünscht, so sehr schlägt es ins Gegenteil um, wenn man tatsächlich im Einsatz ist. Dann wünscht sich die Wunstorfer Feuerwehr Zurückhaltung. Sie braucht freie Bahn am Einsatzort, und auf das Herumspekulieren auf Facebook, wenn die Sirenen zu hören waren, könnte man auch verzichten. Es geht darum, zu vermeiden, dass etwas aufgebauscht wird, was nicht den Fakten entspricht. „Giftwolke über Wunstorf“ habe man dort schon lesen müssen. Aber auch am Einsatzort selbst machen immer mehr Menschen Handyfotos oder Videos. Da reagieren die Einsatzkräfte jedoch sehr resolut. Sie passen auf, dass Unfall- oder Brandopfer nicht abgelichtet werden und später im Internet landen. „Gehen Sie bitte weg und hören Sie auf, Fotos zu machen“, bekämen die Hobbyreporter dann zu hören. Wer die Einsatzkräfte sogar stört, wird zum Ermittlungsgegenstand der Polizei. Mit ihrer „Gafferplane“ war die Wunstorfer Feuerwehr vor einigen Jahren sogar bundesweit in den Medien. „Wir haben damals den Nerv der Zeit getroffen“, sagt Nowak. „Nicht gaffen, Mitglied werden“, steht durchaus provokativ auf der Bauplane, mit der man Einsatzorte vor neugierigen Blicken abschirmt. Das will man augenzwinkernd verstanden wissen, betont Nowak. „Diejenigen, die sich echauffieren, fühlen sich meist auch angesprochen“, schmunzelt er. Natürlich wolle man auch nicht, dass alle Gaffer bei der Feuerwehr eintreten. Wenn jedoch jeder, der sich angesprochen fühlt, Fördermitglied würde, wäre schon viel geholfen. Eine Mitgliedergewinnung auf diesem Wege ist ihm aber nicht bekannt.
Wenn die Sirenen auf den Dächern heulen, dann wissen die Wunstorfer: Etwas Schlimmes muss passiert sein. Denn der sogenannte Vollalarm wird nur ausgelöst, wenn die Feuerwehr buchstäblich auch „den letzten Mann“ benötigt – und auch diejenigen Kräfte zur Feuerwache kommen sollen, die nicht mit dem Funkmeldeempfänger, dem „Pieper“ alarmiert werden. Es ist die höchstmögliche Alarmierungsstufe. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn aus der Feuerwache fahren, bahnt sich ein Einsatz sonst eher still an. Nur wenn wirklich alle gebraucht werden, weil im Wald ein Kind vermisst wird, eine Granate in der Westaue liegt oder im Altenheim Feuer gemeldet wurde, gehen auch die Sirenen los, die von der Einsatzleitstelle in Hannover gesteuert werden.
„Wir sind EINE Feuerwehr“
Das bedeutet dann allerdings nicht, dass besonders viele weitere Feuerwehrleute zum Einsatz kommen, räumt Nowak mit der falschen Vorstellung auf: Maximal 5 bis 10 Feuerwehrleute zusätzlich kommen aufgrund des Sirenentons zusätzlich zur Wache. Der Großteil der Kameradinnen und Kameraden wird über Funk verständigt. Dass nach der Sirenenalarmierung 50 Leute an der Wache auftauchen, das gebe es nicht mehr und sei bereits Teil der Feuerwehrgeschichte.
Wie viele Feuerwehrleute tatsächlich ausrücken, hängt vor allem davon ab, was ein Anrufer am Telefon meldet, erklärt Nowak. Wer die 112 wählt, landet in der hannoverschen Leitstelle, die die Einsätze in der gesamten Region verwaltet. Je nach genanntem Stichwort werden dann mehr oder weniger Kräfte zum Einsatzort geschickt.
Zunächst nehmen sie aber den Umweg über die Feuerwache, wo sie sich zuerst umziehen müssen. Die Mitglieder fahren in ihren Privatfahrzeugen zur Feuerwache, ohne Blaulicht und Martinshorn. Der Verkehr in Wunstorf bremst daher auch die Feuerwehr aus, vor allem im Berufsverkehr. Doch anders geht es nicht. Sonst würden 30 Leute mit Blaulicht aus allen Richtungen erst einmal zur Wache fahren. Was dann wieder bei Facebook los wäre, mag sich Nowak gar nicht ausdenken.
Interview/Text: Daniel Schneider
Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost #7 (04/2020)
D a n k e ein wunderbarer informativer Bericht !
Für Gaffer und Behinderer: Harte Arbeit und wenig Brot !!!
Volle Zustimmung! Falls ich mal in eine prekäre Lage komme: schon mal vielen Dank im voraus für eure Hilfe! Ihr seid echte Helden des Alltags!! Und eigentlich seid ihr auch unbezahlbar!!
Denke auf lange Sicht gesehen macht doch eine Berufsfeuerwehr Sinn dann sind die feuerwehrmännern und Frauen immer parat !