Wunstorfer Auepost
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Über die Schulzeit, volle Terminkalender, alte Russischkenntnisse und was der Bürgermeister im Kalten Krieg gemacht hat

05.03.2023 • Daniel Schneider • Aufrufe: 1192

Ansichten eines Bürgermeisters – im Gespräch mit Wunstorfs Bürgermeister Carsten Piellusch …

05.03.2023
Daniel Schneider
Aufrufe: 1192

Wunstorfer Auepost: Wie ist das, wenn man als Schüler selbst das Hölty-Gymnasium besucht hat und nun als Bürgermeister dem Schulleiter zum Jubiläum gratuliert?

Carsten Piellusch: Toll. Da läuft regelrecht ein Film ab. Ich habe an die eigene Schulzeit gedacht. Die Räumlichkeiten haben sich von der Grundstruktur ja nicht viel verändert. Die Lehrer sind natürlich andere.

Welche Leistungskurse hatten Sie in der Oberstufe?

Geschichte und Mathematik. Als P3 Latein und P4 Sport. Ich musste mich entscheiden, ob ich Mathe mache oder Englisch. Ich mochte beides, aber im Englisch-LK, in den ich hätte gehen können, waren die ganzen Amerika-Austauschschüler, die von der Highschool kamen – da habe ich mich nicht getraut, dachte, da gehe ich unter. Im Nachhinein betrachtet war das ein Fehler, ich habe immer gern Fremdsprachen gemacht.

Welche Sprachen sprechen Sie?

Französisch, Englisch, habe auch eine Zeitlang Griechisch gelernt. In meiner Bundeswehrzeit habe ich mich mit Russisch beschäftigt. Da war ich in der Fernmeldeeinheit. Die 15 Monate damals wollte ich nicht vertun, sondern irgendwie Verwendung haben mit Fremdsprachenbezug, irgendetwas bei der Nato. Da bot sich die Fernmeldeaufklärung an – „Horchfunker russisch“ nannte sich das. Ich hatte dann tatsächlich kaum Gefechtsausbildung, sondern habe im Sprachlabor gesessen. Vormittags gab es Unterricht bei einer Muttersprachlerin und nachmittags wurde militärisches Hörverstehen gelernt.

„Wenn es gut lief, war das Wasser warm, wenn es schlecht lief, war es kalt.“

Die Gefechtsausbildung beschränkte sich auf eine Woche Biwak. Wir durften einmal duschen. 10 Sekunden Wasser, Einschäumen, nochmal 10 Sekunden Wasser, abspülen. Dann kamen die Nächsten dran. Wenn es gut lief, war das Wasser warm, wenn es schlecht lief, war es kalt. Anschließend war ich im Harz stationiert, in einem Turm auf dem Stöberhai. Das war 1989, genau während der Mauereröffnung. Die Frage war damals: Bleiben die russischen Panzer in der Kaserne oder nicht? Heute wissen wir die Antwort, damals war das nicht so klar.

Haben Sie einmal daran gedacht, zu verweigern?

Nein. Ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte, wenn es ein echtes Wahlrecht gegeben hätte – Wehrdienst oder Zivildienst –, dann hätte ich vielleicht etwas Soziales gemacht oder etwas mit Ökologie. Aber die Wahl gab es nicht, die Rechtslage war eindeutig: die primäre Pflicht war, Wehrdienst zu leisten. Die Frage habe ich mir so nicht gestellt. Wir hatten auch eine gute Zeit, die Ausbildung war anspruchsvoll, die Behandlung war gut. Der Wunsch wurde erfüllt, etwas mit Fremdsprachen machen zu können.

Achten Sie darauf, dass Sie gleichmäßig zu Schulterminen gehen, damit sich keine Schule benachteiligt fühlt? Wie ergibt sich die Terminplanung?

Eigentlich regeln das die Zeitfenster. Natürlich versuche ich, zu allen Schulen zu gehen. Aber es liegt auf der Hand, dass wenn drei Entlassungsfeiern parallel stattfinden, ich nicht zu drei Feiern gehen kann. Ich achte dann schon drauf, dass ich es mal so und mal so mache. Es hängt dann wirklich davon ab, welches Zeitfenster frei ist. Beim Hölty-Gymnasium wäre ich gerne dabei gewesen, als der Holocaust-Überlebende zu Gast war, aber der Termin war vorverlegt worden, und das war dann so ein Fall, wo der Kalender gesagt hat: Nee, geht nicht. Das ist aber nicht schulspezifisch, das ist bei allen Terminen so.

Piellusch gratuliert Heizmann zum Schuljubiläum | Foto: Daniel Schneider

Wie ist das organisiert, wie muss man sich einen Bürgermeisterkalender vorstellen?

Ich habe bestimmte Bürozeiten, damit sich die Post nicht stapelt – ich muss jeden Tag eine Chance haben, Post zu machen und in die E-Mails reinzuschauen. Dann gibt es viele interne Besprechungstermine – und externe, wie zum Beispiel dieser hier. 20 Prozent sind Bürozeit, der Rest verteilt sich in etwa hälftig auf Termine.

Was machen Sie lieber: externe oder interne Termine?

Das ist beides wichtig. Externe Termine werden oft auch intern vorbereitet. Die ganzen Gremientermine. Man muss schauen, dass man ungefähr eine Balance hinbekommt. Ich bin ja auch Behördenleiter, muss mich also um meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern – und ich muss die Projekte mit externen Partnern voranbringen. Das ist ein Balanceakt. Der Laden muss laufen, ganz einfach.

„Der Laden muss laufen, ganz einfach“

Wie viel Vorlauf haben Sie bei Ihren Terminen?

Bei Standardterminen, bei denen es nicht auf Fristen ankommt, habe ich einen Terminvorlauf von 3 bis 4 Wochen. Bei eiligen Sachen versucht man eine Lücke zu finden oder anderes zu verschieben.

Sie wissen heute also schon genau, wo Sie zur gleichen Uhrzeit in vier Wochen sind?

Ja, vielleicht nicht zu hundert Prozent, aber zu einem großen Prozentsatz. Teilweise reichen die Termine auch 2, 3 Monate weiter. Die Sitzungstermine stehen ohnehin schon fest, da hat man Termine für das ganze Jahr. Man ist schon ganz schön durchgetaktet.

Im Rat gab es anlässlich des Barne-Turnhallenbaus scharfe Kritik wegen Alleingängen der Verwaltung. Wie reagieren Sie darauf?

Alleingang ist der falsche Begriff. Was gemeint war: Die Beteiligung sei zu spät erfolgt. An den Bäumen hat sich das entzündet. Natürlich greifen wir das auf. Es gibt Fälle, in denen aus verschiedenen Gründen eine Vorlage sehr spät kommen kann. Auch ich bekomme Vorlagen manchmal spät. Jetzt haben wir besprochen, was wir verändern können. Das ist eine ständige Aufgabe, Prozesse zu optimieren. Unser Wunsch ist, dass es ein Grundvertrauen gibt – was es glaube ich auch gibt –, dass wir nicht anstreben, irgendwen zu ärgern. Das liegt mir völlig fern, so ticke ich nicht.

Können Sie die Kritik in der Sache nachvollziehen oder finden Sie sie übertrieben?

Teils, teils. Für diejenigen, die länger in der Kommunalpolitik tätig sind, also vor der letzten Kommunalwahl, kann ich es nicht verstehen. Dem Grunde nach war das alles bekannt. Die energetischen Details oder die genauen Meterzahlen natürlich nicht. Aber im Vorgang, der durch viele Gremien ging, war der Standort dieser Halle genau eingezeichnet. Also jeder, der vorher in der Kommunalpolitik war, hätte das wissen können. Detailschärfer hatten wir es vor dem Förderantrag noch nicht. Die andere Hälfte, die seit dem 1. November 2021 ins Amt gekommen ist: da ist die Kritik berechtigt. Die Neuen konnten die Pläne nicht kennen. Da wäre es hilfreich gewesen, wenn wir vorher noch einmal eine Beschlussrunde gehabt hätten.

„Wir machen das nicht, um irgendwen zu ärgern“

Dann wäre es vielleicht besser gelaufen, vielleicht aber auch nicht. Denn das Grundproblem wäre gleich geblieben, dass man sich manchmal im Leben entscheiden muss: Ziehe ich das Projekt durch oder sind mir die Bäume so wichtig, dass das eben nicht geht. Das ist uns in der Verwaltung ja auch nicht leichtgefallen. Keiner sägt gerne alte Bäume ab. Aber wenn ich eine Gesamtabwägung machen muss für ein Projekt, dann kann ich es an diesem Punkt nicht scheitern lassen. Oder ich begebe mich in einen Zustand der Selbstfesselung. Das würde bedeuten, dass man zahlreiche Infrastrukturprojekte vergessen kann. Das ist gar nicht mein Fall, ich will gestalten.

Was machen Sie, wenn es in der Stadt zu einem großflächigen Stromausfall kommt und auch im Rathaus der Strom fehlt?

Man begibt sich ins Lagezentrum zur Feuerwehr. Dort gibt es Stromeinspeisung aus unabhängiger Stromversorgung, da habe ich dann einen Arbeitsplatz. Von dort verwalten wir dann die Situation. Aber nicht nur bei Stromausfällen. Der letzte Fall war die Bombenräumung an der Aue, das wurde auch von dort koordiniert.

Die Feuerwache Wunstorf dient auch als Krisenkommunikationszentrale | Foto: Malte Süß

Im Rathaus gibt es keine Notstromgeneratoren wie bei Polizei oder Feuerwehr?

Bislang nicht, aber darüber werden wir nachdenken, damit auch hier in einem solchen Fall die Verwaltung weiterarbeiten kann.

Sie sind nun ein Jahr im Amt. Was hat Sie überrascht in diesem Jahr, und was ist andererseits genau so gekommen, wie Sie es erwartet haben?

Unerwartet war natürlich der 24. Februar 2022, der Angriff auf die Ukraine und die damit ausgelöste Flüchtlingswelle, die uns gefordert hat und auch weiterhin fordern wird. Das war völlig unerwartet und beschäftigt uns weiterhin. Erwartungsgemäß war zum Beispiel das Corona-Krisenmanagement, es war absehbar, dass dies 2022 noch nicht vorbei sein würde. Auch die neuen Beteiligungsformate, wie wir sie etwa bei der ISEK-Umfrage umgesetzt haben, oder dass wir Frau Nickel als Erste Stadträtin gewinnen konnten, waren erwartungsgemäß.

zuerst erschienen in Auepost-Magazin Nr. 24 (Dezember 2022)

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