Der Anblick der großen Schornsteine in der Wunstorfer Oststadt ist vielen vertraut, auch das Stahlbetongerippe mit dem blauen Dach am Ort der ausgebrannten Halle, die man von der Bahnhofsseite oder von der Hochstraße aus sehen kann. Doch wie es im Innern der Anlagen und auf dem übrigen Gelände der ehemaligen Lebensmittelfabrik heute wirklich aussieht, das wissen wenige. Es ist normalerweise nicht zugänglich.
Die alten Industrieanlagen liegen in einer Art Dornröschenschlaf, werden aber nie wiedererweckt werden. Sie hätten längst abgerissen sein sollen, um Platz zu schaffen für ein neues urbanes Wohnquartier. Aber weil sich Stadt und Investor nicht einigen konnten, bleibt der Status quo nun auf unabsehbare Zeit bestehen. Mitten in Wunstorf liegt damit ein großes Areal brach, in dem viele Industrieanlagen stehen, auf dem sich die Natur inzwischen teilweise wieder ihren Platz zurückerobert.
Bäume wachsen innerhalb von Gebäuden, Pflanzen brechen durch den Asphalt und bewuchern alte Gastanks und Rohrleitungen. Im nun stockdunklen Untergeschoss einer Produktionshalle steht das Wasser hoch. Glasscheiben sind eingeworfen, erste Graffiti an den Wänden zu sehen. Doch das Gelände ist bewacht, ein Hausmeister kümmert sich um alle notwendigen Arbeiten. Instand gehalten werden hier aber nur noch die Zäune und Türen, der Rest ist bis auf wenige Ausnahmen dem Verfall preisgegeben. Die Polizei nutzt es regelmäßig als Kulisse für taktisches Training.
Einst war das Werk einer der großen Arbeitgeber in Wunstorf. Zu den Blütezeiten in den 1970er Jahren arbeiteten hier über tausend Beschäftigte. Die Ursprünge liegen in der Margarineherstellung Ende des 19. Jahrhunderts, die „Wunstorfer Margarine-Werke“ bauten hier erste Fabrikhallen. Vor rund 85 Jahren, Ende der 1930er Jahre, wurde dann erstmals Tiefkühlkost hergestellt.
Anfang der 1960er Jahre taucht der Name Iglo auf, das später Teil von Langnese-Iglo wird. Solo Feinkost, Ranch Master, Bestmeat, Vion – weitere Namen kommen und gehen. Es gibt Unglücke auf dem Gelände, ein Großbrand geht 2006 in die Stadthistorie ein. 2013 ist Schluss mit der Produktion, das Gelände wird über das vergangene Jahrzehnt hinweg zur Ruinenlandschaft.
Nur das ehemalige Verwaltungsgebäude auf der Nordseite am Luther Weg bekommt eine neue Bestimmung: Es wird zum Wunstorfer Flüchtlingsheim sowie als befristete, aber immer wieder verlängerte Notlösung zur Schulaußenstelle und damit zum Ausweichquartier für IGS und Hölty-Gymnasium. Langfristig soll das gesamte Gebäude für die Wunstorfer Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung stehen.
Nicht mehr geltende Warnschilder verbieten das Öffnen von Türen, verweisen auf Ammoniak und Gasanlagen, die Krankenstation ist ausgeschildert. Das markante Blau, das an vielen Gebäuden zu finden ist, verschmilzt mit dem gleichfarbigen Himmel zu einer Einheit, gestört nur von den hohen gemauerten Kaminschloten. Unter diesem Eindruck taucht man hinein in eine untergegangene Welt, in eine Zeit der Wunstorfer Industriegeschichte, die sich in ihrer einstigen Ausdehnung heute schon kaum noch jemand an diesem Ort vorstellen kann.
Es ist ein eigenwilliges Zusammenspiel von starken Kontrasten, von Hell und Dunkel. Noch immer kräftige Farben finden sich neben schon längst verblassenden Anstrichen. Die lichte Weite des Geländes und die dunklen Ecken der aufgegebenen Gebäude scheinen in direktem Widerspruch zueinander zu stehen. Doch gerade in den hohen Produktionshallen wird der Betrachter überrascht, das erwartete Bild stimmt nicht mit der Realität überein. Zwar wirken die großen verlassenen Hallen allein aufgrund des ungenutzten Raumes bereits dystopisch, aber sie sind dabei nicht düster. Die vielen großen Oberlichter sorgen dafür, dass allein der Sonnenschein ausreicht, um das Innere in einen lichtdurchfluteten Ort zu verwandeln. Es wirkt so hell und aufgeräumt, als ob die Belegschaft nur kurz zur Mittagspause gegangen ist – und dabei auch die Maschinen mitgenommen hat.
Auch die übrigen Gebäude sind dank teils großer Fensterfronten lichtdurchflutet. Wirklich düster und unwirtlich ist es nur an einem einzigen Ort auf dem Gelände: Im Untergeschoss einer der Produktionshallen. Es hat keine Fenster und liegt tief unter der Erde, die künstliche Beleuchtung funktioniert nicht mehr.
Treppen führen hinab in die Dunkelheit. Auch der Lichtkegel starker Taschenlampen wird dort scheinbar nach einer Weile verschluckt und lässt nur undeutlich die vielen Stützpfeiler erkennen, die den Boden der Produktionshalle stützen. Das Licht der Umrisse eines gegenüberliegenden Ausgangs reflektiert im Wasser, welches den Boden vollständig bedeckt.
Auch der Eingangsbereich rund um die Hauptzufahrt sieht im Grunde noch so aus, als könnte das Gelände jeden Moment wieder in Betrieb genommen werden. Schlagbäume, Gitter und die Pförtnerloge wirken weiterhin repräsentativ. Kein Anzeichen von Zerstörung, nur der Zahn der Zeit nagt an den Einrichtungen, die in ihrer Zeit stehengeblieben sind.
In der Pförtnerloge vergilbt ein Kalender vor sich hin, auch alte Schlüssel zu den Gebäudetüren, die heute nicht mehr funktionieren oder längst offen stehen, hängen noch herum. Der Stuhl hinter der Fensterluke sieht aus, als wäre gerade noch darauf gesessen worden. Doch bewacht wird das Gelände nur noch von Kameras, kein Mitarbeiter begrüßt die Schichtarbeiter oder lenkt den Lieferverkehr. Das Schiebetor bleibt geschlossen, die Schlagbäume zeigen stets nach oben.
Labyrinthartig mutet das Gelände an, die Dimensionen lassen es unübersichtlich werden. Die Menschen, die hier ihr Arbeitsleben verbracht haben, dürften widersprechen – doch dem Außenstehenden erschließt sich die Komplexität der Anlagen nicht ohne Weiteres.
Hier eine Durchfahrt, dort eine Abzweigung, da eine Absperrung. Das Gelände wirkt wie eine kleine Stadt innerhalb der Stadt, mit eigenen Straßen, eigenen Häusern, eigenen Regeln und eigenen Geschichten. Die Infrastruktur scheint komplett: Eine Poststelle gibt es, eine Krankenstation existiert. Eigene Parkplätze gibt es ebenso auf dem Areal.
Die Zukunft des Geländes ist unterdessen ungewisser denn je. Nachdem ein Architektenwettbewerb für das Areal ein urbanes Wohnquartier mit großem Parkgelände vorhergesehen hatte, scheiterte dessen praktische Umsetzung an Differenzen zwischen Stadt und dem gefundenen Investor.
Inzwischen zeichnet sich eine völlige Blockade ab. Für das alte Fabrikgelände bedeutet dies im Ergebnis: Die Ruinen werden auch in den kommenden Jahren, vielleicht Jahrzehnten weiterhin in der Mitte Wunstorfs ihren Platz haben. Die Wunstorfer Geschichte bleibt an dieser Stelle eingefroren. Das Dornröschen der Industrieruinen versinkt wieder in den Schlaf.
Gänse haut Kommentar ich lebe seit 1980 im wunstorf kenne so wiel leute die bei iglo Langnese gearbeitet haben traurig das sowas werkommt seit Jahren iglo Langnese gehorte zur wunstorf damals alles fur iglo angebaut die bauern leider alles vorbei traurig
Wieso, muß sich im D Staat immer wieder über irgendetwas gestritten werden??? Ach was war das früher angenehmer
Solange die Stadt Wunstorf an dem gigantomanischen Südwestwall stur festhält, dessen Kosten für Bau und Unterhalt sie dem Investor aufdrücken will, wird dieses Areal wohl ein Lost Place bleiben.
Bitte informieren Sie sich zu dem Sachverhalt auch auf unserer Website
http://www.deutsche-siedlungsbau.de/projekte/nmw-neue-mitte-wunstorf/
Gute Fotos, schön umschrieben für Inkompetenz und mangelnde Kompromissbereitschaft. Erinnert mich an das das Ihmezentrum und die alten, noch vorhandenen, Gebäudeteile der Conti in Hannover-Limmer. Auch da scheinen die Probleme ähnlich zu sein.